© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/02 12. April 2002 |
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Einheit in der Gleichheit, oder vom Glück der Tiere Günter Rohrmoser über Nietzsche, Konservative Revolutionäre und den geistigen Weg in den Nationalsozialismus Jürgen Neumann Man sollte meinen, daß der Stuttgarter Sozialphilosoph Günter Rohrmoser inzwischen resigniert hat. Ein halbes Denkerleben hindurch war er unablässig bemüht, seiner Zielgruppe, den parteipolitisch organisierten Christdemokraten, den Mut zur "geistig-moralischen Wende" einzuhauchen, ohne daß dies den Kurs der im Fahrwasser eines radikalisierten, hegemonialen Liberalismus segelnden C-Parteien beeinflußt hätte. Aus seiner tiefen Enttäuschung über die intellektuelle Indolenz der bundesdeutschen "Konservativen" oder "Bürgerlichen" macht Rohrmoser gerade in seinen letzten Veröffentlichungen deshalb so wenig ein Hehl wie in seinen jetzt vorgelegten Vorlesungstexten über den "geistigen Weg in den Nationalsozialismus". Was bleibt ihm auch mehr als schier grenzenlose Verzweiflung, wenn er von Konfrontationen mit Kapazitäten wie Heiner Geißler oder Kurt Biedenkopf erzählt, die Hegel für den Vater des linken Totalitarismus hielten. Solchen Leuten erklären zu wollen, daß die Hegelinterpretation keine akademische Frage sei, sondern eine eminent politische, sie, die doch nach Rohrmosers eigener Einschätzung für "intellektuelle Prozesse der Politik kein Organ" haben, über die ideologische Bedeutung der Semantik, die von linksliberaler Seite virtuos beherrschten Spielregeln des Krieges um Begriffsräume, ins Bild setzen zu wollen, gleicht einer Sisyphosarbeit. Trotzdem rollt Rohrmoser den Stein nochmals bergan. Sein umfangreiches Werk über "Deutschlands Tragödie" ist darum auch mehr als eine ideengeschichtliche Rückschau, denn er versteht seine Analyse der weltanschaulichen Ursprünge des Nationalsozialismus zugleich als Beitrag zur "geistigen Situation der Zeit" (Karl Jaspers, 1932). Und die hat sich nach Rohrmosers Ansicht seit Ende des 19. Jahrhunderts nicht wesentlich verändert. Nach einem rasanten Prozeß der Entchristlichung leben die Europäer und die von ihnen dominierten Kulturen seitdem im "postmetaphysischen Zeitalter". Der Nationalsozialismus hat darauf eine Antwort gegeben, die für das deutsche Volk ein katastrophisches Ende nahm. Diese Weltanschauung sei daher im Orkus der Geschichte verschwunden, von ihr werde sich keine politische Bewegung mehr herleiten lassen. Da aber die Lage, die geistige Verfassung, die es erlaubt habe, daß aus dem Bewohner eines Wiener Männerasyls der Herr Europas wurde, sich seit hundert Jahren stabil zeige, schließt Rohrmoser "mildere" Lösungsversuche autoritär-faschistischen Musters für das 21. Jahrhundert nicht aus. Diese Lage sei zu Beginn des industriellen Zeitalters von der Auflösung christlich-religiöser Bindungskräfte gekennzeichnet. Ein Prozeß, den niemand präziser analysisiert und auf den Begriff der "Dekadenz" gebracht habe als Friedrich Nietzsche. Daß der Röckener Pfarrerssohn deshalb nicht, wie das unter dem Einfluß von Georg Lukács Kampfschrift "Die Zerstörung der Vernunft" (1954) noch über 1989 hinaus zum marxistischen Basiswissen zählte, schon als Ahnvater Hitlers gelten darf, hat Rohrmoser bereits in seinem Buch über den Zeitdiagnostiker Nietzsche (München 2000) demonstriert. Deshalb muß die auf Nietzsches Beziehungen zum Nationalsozialismus konzentrierte Auslegung des Philosophen, die immerhin ein Drittel des Buches ausmacht, für den Kenner der Schriften Rohrmosers zahlreiche Redundanzen aufweisen. Auch ist beklagenswert, daß die - bei einigen nicht unerheblichen Übereinstimmungen, unter denen die radikale Negation des Fortschrittsdenkens die beachtlichste ist - entscheidenden Differenzen zwischen Nietzsches Kulturkritik und dem Antimodernismus des Nationalsozialismus, die doch den "Grundwillen" teilen, die Dekadenz zu überwinden, nicht scharf konturiert werden. Dabei erkennt Rohrmoser klar, daß Nietzsche ein glänzender Diagnostiker, aber ein miserabler Therapeut war: Nietzsche, dieser "grandiose Sophist", sei an der Frage nach der "Normativität der Maßstäbe seiner Kritik" gescheitert. Kunst und Religion hat nur der junge Nietzsche als Gegenkräfte der Auflösungsprozesse empfehlen wollen. Ansätze zur Kreation einer neuen Einheitskultur im Werk zu entdecken, hat Generationen von Nietzsche-Interpreten beschäftigt, ohne daß sie zu überzeugenden Resultaten gelangt wären. Wenn, wie Rohrmoser andeutet, das "Glück des Tieres", das Glück des sich ganz im Augenblick selbst vergessenden Lebens, die normative Leitfunktion eines letztlich vitalistisch motivierten Kulturbegriffs Nietzsches erfüllen soll, dann hätte eine solche Lesart plötzlich eine Nähe zur NS-Ideologie hergestellt, die den Grundintentionen des Autors eigentlich widerspräche. Mit Walter Benjamins Formel vom Faschismus als der politisierten Ästhetik und nachdrücklichen Verweisen auf die Filmkunstwerke Leni Riefenstahls glaubt sich Rohrmoser im Augenblicksglück der "Einschmelzung des Individuums" im Zentrum nationalsozialistischer Faszinationsmacht, die eben nicht von einer Ideologie, sondern von einem "Stil" ausgegangen sei. Auch Rohrmosers zentrale These, wonach die Entchristlichung des deutschen Volkes die entscheidende Voraussetzung für den Aufstieg einer politischen Bewegung war, die sich 1933 zu einem totalitären System verfestigte, welches flottierende, seit der Säkularisation freigesetzte Erlösungssehnsüchte befriedigte und "einzigartige Energien" freisetzte, wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Hier zeigt sich die Unzulänglichkeit bloß geistesgeschtlicher Herleitungen. Wenn der Modernisierungsprozeß alle europäischen Völker erfaßt, wenn der zivilisatorische "Furor der Vernichtung" überall um sich greift, wo sich die politisch-ökonomisch-kulturellen Formen der industriellen Massengesellschaft etablieren - warum entstand dann allein in Deutschland eine radikale Gegenbewegung? Wenn die nationalsozialistische "Einheit in Gleichheit" die Erlösungsbedürfnisse befriedigt, welche Glücksverheißung liegt dann noch in einem "Eroberungskrieg", den Hitler hinter dem Rücken der "getäuschten Deutschen" offenbar allein geplant habe? Obwohl Rohrmoser wieder und wieder betont, der Aufstieg des Nationalsozialismus und seine Politik könne nur aus der kontingenten historischen Situation, etwa aus der Hypothek von Versailles, verstanden werden, sucht man bei ihm zur Erklärung der "Kontingenz" des Zweiten Weltkriegs vergeblich nach den Namen Churchills oder Roosevelts, und auch Stalin tritt nur als weltanschaulicher Antipode auf. Hier, wo Rohrmoser mehrfach nur psychologisierend auf Hitlers "Wahn", seine "Obsessionen" und seinen "Fanatismus" rekurrieren muß, zeigt sich die Pauschalität einer ideenhistorischen, monokausal auf "Entchristlichung" fixierten, engagiert aktualisierenden Geschichtsdeutung. Gemessen an dem christlichen Denken, das die Folie aller Zeitdiagnosen Rohrmosers abgibt, muß sein Urteil über Protagonisten der Konservativen Revolution, von denen Oswald Spengler und Ernst Jünger hier nur kurz, Martin Heidegger aber in einer instruktiven, gut zur ersten Einführung in dessen Denken geeigneten Kritik ausführlich gewürdigt wird, denkbar negativ ausfallen. Zu fragen bliebe allerdings, ob ein überragender Aristoteles- und Augustin-Kenner wie Heidegger wirklich nicht den Weg zu den von Rohrmoser als Antwort aus der Modernekrise angebotenen antiken und christlichen Kulturtraditionen gefunden hätte, wenn ihm das unter Wahrung intellektueller Redlichkeit nach Nietzsche noch möglich gewesen wäre. Die Idee des Herausgebers Michael Grimminger, die stets anregenden Analysen und Thesen seines Chefs Rohrmoser aus der Vortragsform ungekürzt zwischen zwei Buchdeckel zu befördern, mag ihren Reiz haben, weil sie den Leser an der Entwicklung der Gedanken teilhaben lassen will. Gleichwohl hätte ein umsichtiger Editor dafür sorgen müssen, die vielen Wiederholungen zu streichen, stilistische Härten (wenn Rohrmoser vom "Zustand der Euthanasie" des Christentums spricht, aber sicher die "Agonie" meint) zu beseitigen und Abschweifungen zu tilgen. Und natürlich die im Redefluß kaum zu vermeidenden sachlichen Irrtümer im transkribierten Text zu korrigieren, so etwa die falsche Aussage, Adolf von Harnack sei der "Hofprediger" Wilhelms II. gewesen oder Ernst Niekisch und Georg Lukács hätten in Moskau zusammengearbeitet. Günter Rohrmoser: Deutschlands Tragödie. Der geistige Weg in den Nationalsozialismus. Olzog Verlag, München 2002, 442 Seiten, geb., 39,90 Euro |