© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    07/02 08. Februar 2002

 
Nur sachlich aufklären
Eine Reform des Verfassungsschutzes ist dringend vonnöten
Klaus Kunze

Eine völlige Abschaffung des Verfassungsschutzes, wie von manchen gefordert, könnte das Kind mit dem Bade ausschütten. Sollten wir nicht alle objektiv interessiert sein an einem System, das unsere Freiheit sichert? Kein Staat kann stabil bleiben, kein Herrschaftssystem kann sich erhalten, das für die eigene Abschaffung offen ist. Wogte nicht bis 1989 das „rote Meer“ um West-Berlin, schleichen nicht schon bärtige Mullahs um den Bundestag, allzeit bereit zur Machtergreifung? Schützt uns nicht eine starke VS-Truppe vor allem Bösen, Schild und Schwert unserer Demokratie, deren Verfassungsinterpretationen wir willig folgen kraft des unauflöslichen Zusammenhangs von Schutz und Gehorsam?

Leider nein. Die Mauern liegen nieder, der Glaube ist zerstört. Ein Trüppchen von Dilettanten kennt die tragenden Grundsätze der Verfassung selbst nicht, die sie doch verteidigen soll. Sie erklären zum inneren Feind, wer ein Präsidialsystem fordert, wie es unsere westlichen Freunde Frankreich oder die USA haben. Stets gut verkappt, sind sie nur am Pawlow’schen Bellen erkennbar, wo jemand Wörter benutzt wie Umerziehung, die sie nicht begreifen, die aber in ihrem Zettelkasten braun angestrichen sind. Verdächtig sind ihnen jeweils die Partei-Antipoden ihrer regierenden Arbeitgeber; mit dem jene koalieren, der gilt prinzipiell als sauber. Ihr Maßstab ist nicht die geltende Verfassung: Wo die Regierungspartei von einem multikulturellen Nirvana träumt, da darf auch schon einmal zum Verfassungsfeind erklärt werden, dessen Meinung sich nicht mit dem „friedlichen Zusammenleben von Völkern und Kulturen in der BRD“ verträgt.

Wo eine Oppositionspartei gefährlich wird, setzt man ihr so viel VS-Spitzel in den Pelz, wie ein Straßenköter Flöhe hat. Wo selbst Vorsitzende bespitzelter Gruppen als gelenkt feststehen, sehen wir sie vom Verfassungsschutz wie am Nasenring in die Illegalität abgeführt. Den Feind in den eigenen Reihen zu haben, heißt nicht nur, ausgespitzelt zu werden. Wer für den VS arbeitet, blockiert und sabotiert jede authentische, vielleicht sinnvolle und verfassungskonforme Parteiarbeit.

Daß nicht nur der VS Recht und Gesetz mißbraucht, ist aktenkundig spätestens, seit in ministeriellem Auftrag der Karlsruher Polizeibeamte „Axel Reichert“ 1994 und 1995 Hooligans um sich scharte, um eine schlagkräftige Neonazitruppe aufzubauen, mit denen er auftragsgemäß die Republikaner hatte infiltrieren sollen. Er beglückte halbtrunkene Kameraden mit markigen Reden, in denen er die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung anprangerte, und organisierte Aufmärsche. Die Reden hatte er im Landeskriminalamt geschrieben. Wo die schlimmen Sprüche ersonnen wurden, die Minister Schily heute der NPD vorwirft, ist noch nicht aufgeflogen.

Der real existierende Verfassungsschutz ist eine Gefahr für unsere Freiheit und Demokratie. Wer seine fragwürdige Existenz retten will - der ums Haus schleichenden Extremisten wegen - müßte ihm eine Kur verordnen. Als unwiderstehlich hat sich die parteipolitische Verlockung erwiesen: Verfassungsfeinde sind immer die anderen. Wer die ideologischen Blütenträume der jeweils Herrschenden nicht als Offenbarung und letzten Maßstab der Verfassung anerkennt, wird in den VS-Berichten der Regierung angeprangert. Dieser parteipolitische Mißbrauch würde erschwert, wenn der gesamte Verfassungsschutz einem vom Volk direkt gewählten Bundespräsidenten unterstellt würde. Als nicht mehr unmittelbar im Parteienkampf stehenden potentiellen Hüter der Verfassung würde ihm die Aufsicht über ein Amt obliegen, das Umsturzversuche rechtzeitig erkennt, ohne im Ruch des Provozierens, Sabotierens und des Beschaffungsextremismus zu stehen.

Ein solches Amt müßte einen Leiter haben, der über die Grundlagen der Verfassung und nicht nur über die Offenbarungen des Johannes Bescheid weiß. Ohne genaue Kenntnis der maßgeblichen verfassungsrechtlichen und politischen Theorien und Ideologien kann ein VS nur Unsinn produzieren. Die jetzige intellektuelle und juristische Kapazität reicht eben noch aus, einen Nazi zu erkennen, der eine Hakenkreuzfahne aus dem Fenster hält. Die Verfassung künftig durch Fachleute schützen zu lassen, würde erhebliche Finanzmittel erfordern.

Mit Abendschulwissen läßt sich ein Neo-Nazi ebenso wenig von einem Konservativen unterscheiden wie ein laizistischer Moslem von einem Fundamentalisten. Türkisch- und Arabischkenntnisse sind mindestens nötig, wenn man mehr als folkloristische Eindrücke von einem Taliban-Vortrag wie vor einigen Monaten in Hamburg an sein Amt melden will. Und ohne Grundkenntnisse der Geschichte der 68er wird der vor einem Staatssekretär oder Minister katzbuckelnde Beamte kaum frühere maoistische Steineschmeißer, potentielle Polizistenmörder oder Stamokap-Stalinisten von bloß extremen Pazifisten und Fortschrittsträumern unterscheiden können.

Vielleicht herrscht in den maßgeblichen Parteizentralen nur geringes Interesse, mehr Geld als heute für parteiunabhängige, qualifizierte Fachleute auszugeben, weil nur die guten alten Schlapphüte die Freiheit sichern: ihre Freiheit - nicht unsere.

 

Klaus Kunze ist Rechtsanwalt in Uslar.


 
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