© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/01 01/02 21. Dezember / 28. Dezember 2001


Eine Apologie des Massenmordes
Schuld an der Vertreibung sind die Vertriebenen: Guido Knopps Buch zur Fernsehserie
Wolfgang Müller

Was bleibt von der DDR? Ihr „antifaschistisches“ Geschichtsbild. Verglichen mit dem SED-verordneten Original weist die bundesdeutsch perfektionierte Version allerdings eine gravierende Abweichung auf: Jeder im Arbeiter- und Bauernstaat wußte, daß die Historiker ihrem Beruf im Auftrag der Partei nachgingen. Niemand erwartete von den ideologischen Vorgaben abweichende Ergebnisse. Hingegen glauben in der BRD viele noch, daß, da die Freiheit der Forschung ja grundgesetzlich garantiert sei, ein Geschichtsbild so entsteht, wie Verfassungsjuristen sich politische Entscheidungsfindung idealer Weise erträumen: im herrschaftsfreien „Kampf der Meinungen“, der die „Wahrheit“ gebiert.

Von diesem Ideal ist der realexistierende Parteienstaat weit entfernt. Deshalb kann dieser Staat, der sich permanent „historisch“, mit der „besonderen Verantwortung“ der Deutschen legitimiert, auch keinen „freien“ Prozeß gerade zeitgeschichtlicher Forschung zulassen. Schon gar nicht dort, wo Geschichte für ein breites Publikum aufbereitet wird, in den vom Parteienproporz beherrschten öffentlich-rechtlichen und den vorgeblich „privaten“ Medien. Hier ist die „Freiheit von Wissenschaft und Forschung“ deshalb am deutlichsten als Fassade erkennbar, die Übereinstimmung mit den ideologisch motivierten Geschichtsklitterungen totalitärer Staaten am größten.

Auf diesem Feld heißt der unbestritten erfolgreichste „Dokumentarist“ und Autor Guido Knopp. Da trifft es sich für seine Auftraggeber gut, daß der gelernte Historiker mit seinen zeitgeschichtlichen Produktionen keine wissenschaftlichen Ansprüche erhebt. Er wolle, so neulich gegenüber Bild am Sonntag, schließlich keine „Doktorarbeit“ erstellen. Und daß, obwohl er mit seiner eigenen, ungedruckt gebliebenen Dissertation über die „Einheitsdebatte in der SPD und der USPD zwischen 1917 und 1920“ (Würzburg 1976) die Meßlatte schon erstaunlich niedrig angelegt hat, ein bißchen wie sein Historikerkollege Helmut Kohl, an dessen Doktorarbeit über die rheinland-pfälzische Parteienentwicklung zwischen Ende Oktober und Anfang November 1950 (oder so ähnlich) sich Kabarettisten immer wieder gern erinnern.

Knopps Buch zum Film, das opulent bebilderte Werk zu seiner Fernsehserie „Die große Flucht“, verzichtet darum konsequent auf alles, was nach Wissenschaft aussieht und der Wahrheit dienen könnte. Obwohl üppig zitiert wird, fehlt ein Quellen- und Literaturverzeichnis. Folglich gibt es auch keine Quellenkritik, keine Bedenken, etwa die in einem PDS-nahen Verlag publizierten Forschungen von Bernhard Fisch zum Komplex „Nemmersdorf“ zu übernehmen. Das gesamte Material, die Erinnerungen der von ihm befragten Zeitzeugen, das Knopp so vielstimmig entfaltet, preßt er zugleich ins Prokrustesbett der für ihn zentralen ideologischen Maxime: An der Vertreibung sind die Vertriebenen selber schuld. Hier folgt Knopp nur den Autoren des Werkes über „Hitlers letzte Opfer“ (JF 19/01), die bereits die Devise ausgaben: Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuld. Die Deutschen hätten „die halbe Welt“ angegriffen und dafür 1944/45 mit Tod, Verelendung und Heimatverlust bezahlt. Für die regierungsamtliche Bestätigung dieser sozialpädagogischen Vorstellungen von Weltpolitik sorgt das von Knopp zitierte einstige ostpreußische Flüchtlingskind Uwe Karsten Heye, heute das Sprachrohr des Bundeskanzlers: Ursache des deutschen Leids sei die deutsche Alleinschuld am Zweiten Weltkrieg.

Darum wiederholt Knopp monoton die Mär von den „Rachegefühlen“ der Sowjetarmee, die sich aufgestaut hätten, weil die Rotarmisten bis zur Reichsgrenze über die von Deutschen hinterlassene „verbrannte Erde“ marschieren mußten. Kein Wort darüber, daß diese Armee vom ersten Tag an, dem 22. Juni 1941, keinen Krieg nach den Regeln des Völkerrechts führte, und daß sie zuvor als Instrument ihrer politischen Führung im Baltikum, in Finnland und Bessarabien, und nicht zuletzt im Umgang mit den bei Katyn ermordeten polnischen Offizieren, ihren Willen zum Vernichtungskrieg offenbart hatte. Wie sich die Rote Armee in Ost- und Mitteldeutschland verhielt, so hätte sie sich auch benommen, wenn das Dritte Reich ein friedliches Groß-Liechtenstein gewesen wäre und kein deutscher Soldat je seinen Fuß auf russische Erde gesetzt hätte. Selbst Knopp muß daher wie beiläufig einräumen, daß gerade jene Rotarmisten die „rücksichtslosesten Rächer“ gewesen seien, die weder aus den einst deutsch besetzten Landesteilen stammten noch deutsche Grausamkeiten selbst erlebt hätten.

Knopps Buch folgt der Machart seiner Fernsehserien: Was nicht ins Bild paßt, wird geschnitten. Diese manipulatorische Absicht kann Knopp in der Buchfassung sogar besser umsetzen als im Film. Weil er seine volkspädagogischen Unterweisungen dem gedruckten Text leichter implantieren kann als dem gesprochenen Wort. Knopps penetrante Art, die Zeitzeugenzitate didaktisch-moralisierend einzuspinnen, läßt dem Leser kaum die Chance, die der Zuschauer hat. Der darf nämlich erleben, wie die erzählte Geschichte, die persönliche Ausstrahlung vieler Opfer, die sich vor die Kamera wagen, Knopps belehrende Interventionen, die einzig der Apologie eines Massenmordes und einer ethnischen Säuberung von säkularem Ausmaß dienen, in ihrer ganzen Schäbigkeit zu Tage treten läßt. Dieser für den Leser etwas verdeckte Kontrast zwischen Knopps entorteter Existenz im Zeichen der Vergangenheitsenteignung und des Identitätsverbots und der preußischen Welt der östlichen Provinzen leuchtet im Film am stärksten dort, wo die Stunde der pommerschen Frauen schlägt. Etwa im Gespräch mit Isis von Puttkammer, geborene Zitzewitz, die den Namen der ägyptischen Göttin trägt, die von den Griechen mit Demeter verglichen wurde, ihrer mütterlichen Erdgöttin. Wie sie leise vom Aufwachsen in der Natur, mit den Tieren, von der Geborgenheit in der agrarischen Vor-Moderne erzählt und wie sie sich dann, einige Verse des Pommernliedes singend, für die Tränen entschuldigt, die nicht zur anerzogenen adligen Contenance passen. Das ist zugleich wohl die allerschlimmste Aussicht, die uns der ZDF-Mann in seinen Büchern und Filmen bietet: Wenn Menschen wie Isis von Puttkammer nicht mehr leben, werden wir mit den Knopps allein sein.

Guido Knopp: Die große Flucht. Das Schicksal der Vertriebenen. Econ, München 2001, 416 S., Abb., 48,90 Mark


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