© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/01 01/02 21. Dezember / 28. Dezember 2001

 
Staatsbürgerschaft - beliebig zu vergeben
Europäisches Staatsbürgerrecht zwischen Abstimmungs- und Bodenprinzip
Josef Schüßlburner

Bei einer Sammelveröffentlichung über das Staatsbürgerschaftsrecht in Europa, die auf eine Veranstaltung zurückgeht, welche diese Problematik mit dem amerikanoiden Begriff „Zivilgesellschaft“ verbunden hat, geht man zunächst davon aus, daß das Ende des Nationalstaates verkündet und die Staatsangehörigkeit für jedermann propagiert wird. Auch wenn derartige Töne nicht ganz fehlen, so ist das Werk erfreulicher Weise als insgesamt ausgewogen zu kennzeichnen und es kann aufgrund seines Faktenreichtums jedem zur Lektüre empfohlen werden, der sich mit der rechtlichen und historischen Problematik von Einwanderung, Nationalstaat und Staatsbürgerschaftsrecht beschäftigen will.

Als Ergebnis kann wohl festgehalten werden, daß die Unterschiede zwischen den grundlegenden Ansätzen des Staatsangehörigkeitsrechts, nämlich dem ius sanguinis (Abstammungsrecht) einerseits und dem ius soli (Geburtsortsprinzips) nicht übertrieben werden sollten, sieht man sich die konkreten Regelungssysteme in allen Aspekten an. Wenn etwa der Erwerb der Staatsangehörigkeit nach dem Geburtsort unter dem konsequent praktizierten Vorbehalt des Widerrufs bei mangelnder Integration steht, dann kann damit eine einheimische Leitkultur sehr wohl gegenüber Einwanderern erzwungen werden. Wie das Beispiel Griechenlands nach der Unabhängigkeit zeigt, kann man mit dem Geburtsortprinzip etwa bei Verknüpfung mit religiösen Gesichtspunkten in größerem Ausmaß eine ethnische Politik durchsetzen als mit dem von bundesdeutschen Ideologen als „rassistisch“ abgestempelten Abstammungsprinzip. Gerade in Deutschland ist letzteres bei seiner erstmaligen Rezeption in Preußen - aus dem französischen Recht - völlig unethnisch verstanden worden, so wurden zum Beispiel Polen eingeschlossen, nichtpreußische Deutsche dagegen ausgeschlossen. Die unterschiedlichen Ansätze können ohne ideologische Vorverurteilung untersucht werden.

Allerdings dürfte es etwas übertrieben sein, wenn im Band generell davon gesprochen wird, daß sich eine Konvergenz der Systeme der Staatsangehörigkeit einstellen würde. Diese Vorstellung ergibt sich, neben einer stärkeren Betonung des Abstammungsprinzips in bisherigen ius-soli-Staaten wie Großbritannien, nicht zuletzt daraus, daß osteuropäischen Staaten wie etwa den baltischen Staaten, vergleichbar der Situation der Balkanstaaten im 19. Jahrhundert, vom Westen schon wieder Staatsangehörigkeitsregelungen aufgenötigt werden.

Sollte es diese Konvergenz geben, dann weichen zumindest zwei Systeme innerhalb des weit verstandenen „Europa“ eklatant davon ab: Einmal das israelische Staatsangehörigkeitsrecht, das Einwanderungspolitik mit einem konsequenten ius sanguinis-Konzept bei Ausklammerung der Masse der Araber, die nach dem abgelehnten ius soli-Prinzip einzubürgern wären, verbindet. Zum anderen ist das türkische Staatsangehörigkeitsrecht zu nennen, das die Türken in einer fast metaphysischen Weise ethnisch vereinnahmt, wobei die Ethnizität trotz Kemalismus letztlich religiös (islamisch) bestimmt ist. Hier liefert das Buch gute Argumente gegen die Anmaßungen von Interessengruppen, die in Deutschland etwas als „rassistisch“ diffamieren, was sie für die Türkei und Israel als selbstverständlich ansehen.

Zu kritisieren ist, daß der demokratietheoretische Aspekt zu kurz kommt und nicht systematisch aufgearbeitet ist. Zwar kann man Versuche hierzu in den beiden Schlußkapiteln, wohl die schwächsten Darstellungen des insgesamt instruktiven Werkes, finden. Diese sehen jedoch Demokratie zu sehr als Frage der Menschenrechtsmoralität, wobei sich daraus leicht ein Gegenargument machen läßt: Gerade weil zentrale Grundrechte ungeachtet der Staatsangehörigkeit beachtet werden müssen, besteht eigentlich viel weniger ein Bedürfnis nach Einbürgerung, die dann im wesentlichen nur noch das Wahlrecht verschafft. Letztlich geht es demokratietheoretisch um die Frage, ob sich Staat und Verwaltung beliebig ihr Volk zusammenbasteln können, oder ob die Herrschaft des Volks über die Gewählten (Demokratie) dadurch gesichert wird, daß letztere ihr Volk so akzeptieren müssen, wie es nun einmal ist. Dies spricht eindeutig für das ius sanguinis (Abstammungsrecht) als Regelprinzip, das erlaubt, den Staat vereinsmäßig als Körperschaft mit Mitgliedern zu konstruieren. Dagegen steht ius soli für die feudalistische Anstalt (Menschen als Anhängsel und bloße Nutznießer des Bodens) und Imperialismus (Auffüllung eroberter Gebiete). Deshalb kann bei einer Demokratie das Geburtsortsprinzip allenfalls das Abstammungsprinzip modifizieren, aber nicht ersetzen.

Dabei ist es erforderlich, eine Leitkultur durchzusetzen, welche die Legitimität des Mehrheitsprinzips sichert. Dies ist nur gegeben, wenn die Minderheit die realistische Aussicht hat, zur Mehrheit zu werden. Dieser Mechanismus funktioniert nur im Nationalstaat, von dessen Fortexistenz auch der vorliegende Band ausgeht. Josef Schüßlburner

Christoph Conrad und Jürgen Kocka: Staatsbürgerschaft in Europa. Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2001, 340 Seiten, 34 Mark


 
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