© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/01 01/02 21. Dezember / 28. Dezember 2001

 
Unzählige verenden in Kraftwerksturbinen
Naturschutz: Die europäischen Aale sind vielfältigen Gefährdungen ausgesetzt / Wanderungen über tausende Kilometer
Adrian Gerloff

Der Aal (Anguilla anguilla) gehört zu den schmackhaftesten Fischen der einheimischen Gewässer und ist deshalb bei Fischern und Anglern gleichermaßen beliebt - aber leider auch gefährdet. Das ist das Ergebnis einer kürzlich erschienenen Studie des Umweltministeriums in Nordrhein-Westfalen. Wasserkraftanlagen mit ihren Turbinen, Wehranlagen und Fischreusen einerseits sowie die wachsenden Bestände an Kormoranen und Haubentauchern andererseits gefährden den einstigen Massenfisch.

Der Aal zählt zu jenen europäischen Fischen, die sowohl im Meer als auch im Süßwasser leben. Der Aal gehörte schon immer zu den Arten, deren Leben für den Menschen viel Geheimnisvolles barg. Besonders die Fortpflanzung der Aale war lange Zeit rätselhaft. Aristoteles nahm an, daß die im Süßwasser lebenden Fische keine Geschlechtsorgane besitzen und von den Meerestiefen gezeugt werden oder aus dem Dunst und Nebel über dem Wasserspiegel stammen. Erst im 19. Jahrhundert stellte sich heraus, daß die Aale in den Tiefen der Sargassosee zwischen den Bermudas und dem Golf von Mexiko laichen und nach der Paarung verenden. Die Jungtiere wandern in zwei bis drei Jahren 7.000 Kilometer durch den Ozean an die Küsten der Nordhalbkugel. Von dort aus dringen sie als „Glasaale“ die Flüsse hinauf. Sobald sie das Süßwasser erreicht haben, färben sie sich dunkel.

In unseren Gewässern kommt überwiegend der europäische Aal vor, doch zeigen neuere Untersuchungen, daß hier in kleiner Zahl auch sein naher Verwandter, der amerikanische Aal (Anguilla rostrata) lebt, dessen Heimatgewässer eigentlich die Flüsse und Seen Nordamerikas sind. Beide sind optisch nicht voneinander zu trennen. Sie unterscheiden sich lediglich in der Anzahl der Wirbel. Die erwachsenen Aale verlassen nach zehn Jahren das Süßwasser, durch die Flüsse gelangen sie ins Meer und schließlich wieder in ihr Laichgebiet, im subtropischen Teil des nordwestlichen Atlantiks. Der Wandertrieb veranlaßt sie manchmal, in regnerischen Nächten ein offenes Gewässer zur Abwanderung zu suchen. Dabei sind Aale durch die schützende Schleimhaut und die verdeckten Kiemenhöhlen in der Lage, größere Strecken über Land zurückzulegen. Die Laichplätze der Aale liegen zwischen 500 und 600 Meter unter dem Meeresspiegel. Von ihrem Geburtsort werden die Larven vom Golfstrom auf die europäischen Küsten getrieben, wobei sie durch Eigenbewegung aktiv dazu beitragen. Wenn die Aale die flachen Küstengewässer vor dem europäischen Festland erreichen, messen sie etwa sieben Zentimeter. Nun beginnen sie die typische Aalgestalt anzunehmen, tauchen dann in die Flußmündungen auf und steigen stromaufwärts in das Binnenland vor. Massenhafte Züge sind von den französischen Flüssen Loire und Rhône, den Wasserläufen Rhein, Weser und Ems sowie dem englischen Severn-Fluß bekannt.

Der Aal hat einen für Fische untypischen Schlangenkörper mit einer dicken, schleimigen Haut, die von einem System von Blutkapillaren durchwoben ist. Neben ihrer Schutzfunktion trägt die Haut beträchtlich zur Versorgung des Körpers mit Sauerstoff bei und vervollständigt so die Atmungsfunktion der Kiemen. Im Süßwasser hält sich der Aal in Verstecken in Grundnähe auf. Er ist ein Individualist, der seinem Revier, daß etwa zweihundert Meter des Flusses ausmacht, treu bleibt. Aktiv wird er besonders in der Nacht oder bei trübem Wasser, wobei er dann in seiner Jagd nach Nahrung auch den Standort ändert. Eine Gefahr stellt der Aal für den Flußkrebs dar, dessen Bestände er besonders in Talsperren und Staubecken enorm zu dezimieren vermag. Die kalte Jahreszeit verbringt er in einem latenten Zustand ohne Nahrungsaufnahme, im Sand oder Schlamm vergraben. Am aktivsten ist er von Mai bis September. Der Aal gehört zu den sogenannten euryhalinen Fischen, denen weder hohe noch niedrige Salzkonzentrationen im Wasser Probleme bereiten. Zu den Hauptbestandteilen seiner Nahrung zählen wirbellose Tiere, dabei vor allem die bodenbelebenden, aber auch kleinere Fische und verschiedene im Wasser lebende Würmer.

Ebenso wie den Lachsen, macht der Mensch auch den Aalen mit seinen Wasserbauten die Wanderung stromaufwärts unmöglich. Daher werden heute an den wasserbaulichen Hindernissen besondere Übergänge für die wandernden Aale errichtet. Sie haben die Form eines Troges, der einen künstlichen, langsamen Wasserstrom mit geringer Wasserführung bildet. So müssen beispielsweise gar nicht mal so billige Fischtreppen gebaut werden, damit Lachs und Aal als Wanderfische auch Hindernisse wie Staustufen, Wasserwehre und Wasserkraftwerke überwinden können. Im vergangenen Jahr ist im Rheinoberlauf, an der Staustufe Iffezheim bei Rastatt, Europas teuerste Fischtreppe gebaut worden - für sage und schreibe fast 18 Millionen Mark.

Etwa 30.000 Aale nutzen den Iffezheimer Fischpaß, das heißt über die Hälfte der gezählten Fische im letzten Jahr. Leider verenden immer noch tonnenweise abwandernde Aale in den Turbinen der Wasserkraftwerke, weil viele der vorgesehenen Fischtreppen oft sehr unzulänglich sind. Trotz das der Aal eine ökologisch sehr anpassungsfähige Art ist und geringe Ansprüche an die Gewässergüte seine Ausbreitung begünstigen, kann er diese Bauwerke nicht immer nutzen. Auch moderneTechnik wird eingesetzt, damit die Aale nicht in Turbinen verenden: Mit Hilfe eingepflanzter kleiner Elektronikbauteile, deren Entwicklung die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) mit fast 400.000 Mark unterstützt, soll seit diesem Jahr die Abwanderung so frühzeitig vorhergesagt werden, daß Kraftwerke kurzzeitig ihre Turbinenleistung senken und die Fische unbeschadet passieren können. Doch ab einer Gewässergüte von IV, welche als stark verschmutzt gilt, ist es auch dem Aal nicht mehr möglich zu existieren oder derart belastete Gewässer auf seiner Wanderung zu durchqueren. Der Aal ist in Mitteleuropa nur deshalb noch nicht ausgerottet, weil sein Bestand regelmäßig durch Besatzmaßnahmen gestützt wird. Die vielen Staustufen in den Flüssen behindern den natürlichen Aufstieg der Aale aber so stark, daß das gegenwärtige Vorkommen auch in Zukunft nur durch Besatz erhalten werden kann.

Ein beständiges natürliches Siedlungsverhalten und Wandergeschehen kann nur durch massiven Rückbau der Stauanlagen und die Reaktivierung der Wasserturbinen erreicht werden. Außerdem gilt es den Schutz der Oberflächengewässer vor Stoffeinträgen weiter zu intensivieren. Wird dies nicht realisiert, müssen wir uns daran gewöhnen, daß mit dem schmackhaften Räucheraal in einheimischen Gewässern nur eine künstlich am Leben erhaltene Fischart auf den Tisch kommt.


 
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