© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/01 01/02 21. Dezember / 28. Dezember 2001

 
Weltrekord bei Selbstmordanschlägen
Sri Lanka: Terror begleitete die Wahlen auf der früheren Insel Ceylon / Anschläge von Tamilen gefährden das idyllische Feriendomizil
Lennart Lopin

Handgranaten in Einrichtungen mißliebiger Parteigegner zu werfen, Tankstellen anzuzün-den oder Bombenattentate an prominenten Ministern zu verüben, ist in Sri Lanka, dem kleinen Inselstaat und deutschen Urlauberparadies im indischen Ozean, mittlerweile trauriger „Volkssport“ geworden: Eine grausame Kleinkriegsstimmung, die mit blutiger Berechenbarkeit jede Neuwahl begleitet und das Land in einen wochenlangen wüsten Tumult stürzt. Bei den jüngsten Wahlen gipfelten die Ausschreitungen in der Ermordung einer Gruppe muslimischer Wahlgänger; einen schrecklichen Höhepunkt erreichten die wahlbegleitenden Unruhen als ein siebenjähriges Mädchen auf tragische Weise ums Leben kam. Während im Norden der Insel 100.000 Tamilen nicht zu ihren Wahllokalen gelangten, da das Militär Straßenzüge abriegelte, um Bombenanschlägen vorzubeugen, waren westliche Wahlbeobachter vom Wahlgeschehen entsetzt und erklärten die Stimmabgabe in drei Bezirken für ungültig. Über sechzig Todesopfer und Hunderte Verletzte, das ist die erschreckende Bilanz der am fünften Dezember abgehaltenen Parlamentswahlen.

Doch für das von Korruption, Bestechung und Bürgerkrieg erschütterte Land kommen diese Unruhen keineswegs als Überraschung: Drohende politische Instabilität, die das Land insbesondere in den letzten Monaten erneut an den Rand eines politischen Kollaps‘ drängte, mobilisiert hauptsächlich die arbeitslose Jugend, der das hoffnungslos übervölkerte Land kaum Zukunftsperspektiven bieten kann.

Bei den Wahlen vor zwei Wochen gewann die oppositionelle „Vereinigte Nationale Partei“ (UNP) 114 Mandate der neu zu vergebenden 225 des Einkammerparlamentes und verpaßte damit knapp die absolute Mehrheit bei einer Wahlbeteiligung von 75 Prozent. Zur Wahl kam es, als die amtierende Präsidentin Chandrika Kumaratunge im Oktober das Parlament überraschend auflöste und Neuwahlen ansetzen ließ, da sie einem Mißtrauensantrag zuvorkommen wollte. Um sich selber die absolute Mehrheit zu sichern, schmiedete die regierende „Volksallianz“ (PA) unter Billigung der Präsidentin ein Bündnis mit der extremistischen, neo-marxistischen „Volksbefreiungspartei“ (JVP). Die linksnationalistische Volksallianz, die seit 1994 an der Macht ist und 1999 die Präsidentin stellte, propagiert seit etwa einem Jahr einen unbeugsamen Kurs in der Tamilenfrage. Jahrelange Friedensbemühungen wurden durch Anschläge auf den internationalen Flughafen Katunayake sowie die Nationalbank von den „Befreiungstigern Tamil Eelam“ (LTTE) systematisch zunichte gemacht.

Noch im Sommer 1994, als die beliebte Tochter aus der einflußreichen Politikerfamilie der Bandaranayakes, Chandrika Kumaratunge, an die Macht kam und die UNP nach siebzehn Regierungsjahren ablöste, setzte man vor allem auf die von ihr angekündigten, langersehnten Friedensverhandlungen und hoffte auf ein baldiges Ende des seit über zwanzig Jahren ungebrochen währenden Bürgerkrieges, der annähernd 70.000 Menschen das Leben kostete und die Wirtschaftskraft des Landes lähmt. Die erfolgversprechenden Verhandlungen wurden immer wieder von Anschlägen überschattet. Mit 57 verübten Selbstmordattentaten führt die Rebellenmiliz LTTE einen zweifelhaften Weltrekord an.

Das innenpolitische Scheitern der Regierungspartei verhalf der oppositionellen Partei wirtschaftsliberaler, konservativer Politiker, der Vereinten National Partei (UNP), zu einem neuen Aufschwung, obgleich sie in ihrer eigenen Regierungszeit eine enttäuschend ähnliche Entwicklung durchlief. Bezeichnenderweise gerieten diese beiden größten der fünfzig angetretenen Parteien bei den vorgezogenen Wahlen scharf aneinander: Da die Volksallianz eine Einigung mit den tamilischen Rebellen nach eigener Erfahrung für illusorisch erachtet, und ihr Plan zur Teilautonomie vom Rebellenführer Prabhakaram konsequent abgelehnt wurde (dieser sieht nur in einer vollständigen Separation der nördlichen Küstenregionen die Zukunft der Tamilen garantiert), plädiert die einstige charmante Friedensbringerin Chandrika Kumaratunge heute für den vollständigen Krieg, gegen den sich jedoch die Mehrheit der Bevölkerung wehrt. Die Vereinte National Partei (UNP) warb daher geschickt mit erneuten Friedensgesprächen. Die Landespresse, stets in der Hand der regierenden Partei, witterte hinter dieser Ankündigung geheime Verbindungen zwischen Opposition und der bewaffneten Rebellenmiliz. Trotz starker Anfeindungen stimmten dennoch über 45 Prozent der Wählerschaft für die oppositionelle UNP, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Koalition der Regierungspartei mit der extremistischen JVP, die in den siebziger und achtziger Jahren durch zwei blutige „Revolutionen“ Tausenden von Menschen das Leben gekostet hatte, für untragbar erachtet wurde.

Die JVP, die nach ihrer jetzigen zweiten Wiederbelebung den größten Stimmenzuwachs bei den Wahlen davontrug, ist eine sozialistisch geprägte Arbeiter- und Bauernpartei mit stark nationalistischem Flair. Dieser verunsichernden Koalition setzte die UNP ein Projekt nationalen Wiederaufbaus entgegen, daß hauptsächlich für eine wirtschaftsfreundlichere Politik steht, und der Verstaatlichung sowie dem wuchernden Wohlfahrtssystem Einhalt gebieten will. Nachdem vergangenen Sonntag der Führer der konservativen UNP, Ranil Wickramasinghe, von der Präsidentin trotz anfänglicher Ablehnung als neuer Premierminister eingeschworen wurde, hofft die Privatwirtschaft des Landes auf einen neuen Aufschwung. Bei einer Inflationsrate von 15 Prozent und einem Wirtschaftswachstum von lediglich 0,4 Prozent drängt insbesondere die betroffene Jugend des ressourcenreichen und geopolitisch günstig gelegenen Inselstaates auf eine Stabilisierung der Politik und eine baldige Beendigung des bewaffneten Konfliktes.

Einige einflußreiche Mönche, unabhängige Friedensinitiativen und ein starkes öffentliches Interesse stützten die Absicht des neuen Premierministers, eine Regierung der nationalen Einheit zu formen und sich der Probleme parteiübergreifend anzunehmen. Obzwar dieser Ansatz am Widerstand der Volksallianz scheiterte, bildete die UNP vergangene Woche zusammen mit der muslimischen Minderheitenpartei SLMC eine mehrheitsfähige Koalition. Trotz der angekündigten Friedensverhandlungen kamen bereits Anfang letzter Woche bei einem Angriff der Rebellen auf einen Militärstützpunkt erneut 25 Menschen um. Drohend ließ die LTTE verlautbaren, daß die neue Regierung schnell das Schicksal der alten ereilen würde, sollte sie nicht imstande sein den Konflikt zu lösen.

Damit ähnelt die derzeitige politische Lage auf erstaunliche Weise der Ausgangssituation des Jahres 1994 und die blutigen Ausschreitungen während der Dezember-Wahl lassen befürchten, daß einer parteiübergreifenden Zusammenarbeit wenig Erfolg vergönnt sein wird: Wieder scheint es allein vom guten Willen der marxistischen Befreiungstiger von Tamil Eelam abzuhängen, ob das idyllische Feriendomizil, die „Freudenträne Asiens“, durch Anschläge aufgewühlt wird oder das Blut- und Tränenvergießen in naher Zukunft ein Ende findet.

Ein Luftwaffensoldat vor dem Wrack einer durch Terroristen zerstörten Maschine: Die „Tamil-Befreiungstiger“ hatten eine Luftwaffenbasis und den benachbarten Flughafen von Colombo angegriffen


 
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