© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/01 01/02 21. Dezember / 28. Dezember 2001

 
Für 80 Prozent prinzipiell wählbar
Schill-Partei: Nach Sachsen-Anhalt sollen auch in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein Landesverbände entstehen
Peter Freitag

Der Hamburger Zweite Bürgermeister und Innensenator Ronald Schill muß sich als bislang ranghöchstes Regierungsmitglied in der Geschichte der Bundesrepublik in einem Strafprozeß verantworten. Das wiederaufgenommene Verfahren gegen den Amtsrichter a.D. wegen Rechtsbeugung wird dieser Tage fortgesetzt (die JF berichtete), ein Urteil wahrscheinlich am 21. Dezember gefällt. Schills Verteidiger Walter Wellinghausen rechnet zuversichtlich mit dem Freispruch seines Mandanten. Davon könnte der Anwalt mit dem SPD-Parteibuch selbst auch profitieren, denn für den 22. Dezember ist seine Ernennung zum Staatsrat des Innensenators geplant.

Das Vorgehen des Innensenators Schill gegen die Drogenszene am Hauptbahnhof, die nach seinen Vorstellungen in den Hamburger Freihafen „verlegt“ werden soll, hat durch den Tod des 19jährigen Dealers Achidi J. zusätzlichen Zündstoff erhalten. Schill verteidigte den Einsatz des Brechmittels Ipecacuanha als sinnvoll. Im Fall des J. handele es sich um einen so bisher noch nie geschehenen Unfall, der Getötete sei zudem kein harmloses Opfer, sondern in erster Linie ein krimineller Täter gewesen.

Die Hamburger Republikaner wittern nun einen Skandal in der vom bürgerlichen Senat geplanten Veräußerung des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK). Von einer - nach Meinung der Republikaner unter Wert erfolgenden - Privatisierung könnte der Klinikbetreiber und Schill-Parteifreund Ulrich Marseille profitieren. Die Rechtspartei sieht in diesem Fall Ansätze für neuen Filz in der Hansestadt. Die Pläne der Klinik-Privatisierung entspringen jedoch eher aus den Programmen von Union und FDP (und aus einer Zeit, in der Marseille noch gar nicht Mitglied der Schill-Partei war), sie sind auch keineswegs eine hamburgische Spezialität, sondern liegen bei zahlreichen Kommunen ebenfalls im Trend. Es dürfte zudem schwer werden, eine öffentliche Ausschreibung derart zu manipulieren, daß die Marseille-Klinik AG einseitig bevorteilt werden könnte.

Nach Sachsen-Anhalt ist Mecklenburg-Vorpommern für die Partei Rechtsstaatlicher Offensive die zweite Etappe zur bundesweiten Ausdehnung. Der Arzt Helmut Schmidt koordiniert in diesem Bundesland vor Ort den Aufbau der Partei, die voraussichtlich Ende Januar nächsten Jahres Ortsverbände in Rostock, Schwerin und Greifswald gründen will, aus denen dann im März oder April ein Landesverband hervorgehen soll. Die Ausgangslage für Schills Ableger ähnelt am ehesten der in Sachsen-Anhalt; wie dort wird man sich im rot-rot-regierten und strukturschwachen Norden programmatisch vorrangig auf die Förderung der mittelständischen Wirtschaft und die Schaffung neuer Arbeitsplätze konzentrieren müssen. Derweil geht die Konstituierung der Partei in Sachsen-Anhalt weiter voran.

Nachdem am vorletzten Montag in Magdeburg der erste Kreisverband gegründet worden ist, stellten der vor Ort tätige Koordinator Gordon Kleinau und Landespressesprecher Toni Rupprecht die neue Alternative interessierten Zuhörern vor. Die Mitgliederzahl beläuft sich nach Angaben der Partei auf über 700 (mit steigender Tendenz).

Stoff für Besorgnis unter den Etablierten liefert zudem das Ergebnis einer aktuellen Emnid-Umfrage im Auftrag des Fernsehsenders N-TV: Schill sei für 80 Prozent der Deutschen „prinzipiell wählbar“, für 27 Prozent sogar „eine echte Alternative“. Besonders interessant ist, daß nach der Studie 57 Prozent der Befragten die Schill-Partei nicht als rechtsradikal einschätzen. Unter Nichtwählern erreicht die Zustimmung für die neue Partei fast die Dreißigprozentmarke, ebenso unter Anhängern der Union. Für die kommende Wahl in Sachsen-Anhalt, wo die SPD mit Duldung der PDS regiert, dürfte von Bedeutung sein, daß 20 Prozent der SPD- und 22 Prozent der PDS-Wähler mit einem Kreuz bei Schill sympathisieren. Die Hälfte der Befragten sehen eine Profilierung von Schills Truppe zuungunsten der Union voraus, jedoch sehen 44 Prozent (gegen 41) in dieser Tatsache eher eine Chance denn ein Risiko für die Union, die mit Schill als Koalitionspartner wieder an die Regierung kommen könnte.

Umfrageergebnisse sprechen für die Schill-Partei

Ole von Beust, der auf eben diesem Weg - trotz eigener Verluste - Erster Bürgermeister in Hamburg wurde, sieht zwar in einem Gespräch mit den Dresdner Neuesten Nachrichten Schill als verläßlichen Partner, mahnt aber dennoch: „Rechts von CDU und CSU darf sich dauerhaft keine demokratische Partei etablieren. Lokal andere Entwicklungen sind nicht zu vermeiden.“ Die Emnid-Zahlen jedoch sprechen gegen Beusts Postulat und lassen eine Beschränkung auf „lokale“ Ausnahmen nicht zu. Emnid-Direktor Klaus-Peter Schöppner hält es für wahrscheinlich, daß die Partei Rechtsstaatlicher Offensive „aus dem Stand drittstärkste Kraft“ werden könnte: „Denn würde die Schill-Partei bundesweit antreten, käme sie heute bereits auf neun Prozent der Wählerstimmen“, so Schöppner.

Wie sehr sich die Union vor einer Ausdehnung und dem Erstarken der Partei Rechtsstaatlicher Offensive fürchtet, die sich als „CSU des Nordens ohne religiöse Ausrichtung“ (Schill) etablieren möchte, bekam jüngst der Lübecker Geschäftsmann Hans-Lothar Fauth zu spüren: Weil das CDU-Mitglied für einen zu gründenden Landesverband der Schill-Partei in Schleswig-Holstein seine logistische Unterstützung zugesagt hatte, sieht es sich nun mit Angriffen von Parteifreunden konfrontiert. Von sich aus möchte Fauth, dem parteischädigendes Verhalten vorgeworfen wird, die Union jedoch nicht verlassen. Einem möglichen Parteiausschlußverfahren sieht er gelassen entgegen. „Soll mich die CDU doch rausschmeißen!“ teilte Fauth den Lübecker Nachrichten mit. Fraglich ist, ob die skandalgebeutelte Nord-CDU ausgerechnet damit ihre Wahlchancen erhöht.


 
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