© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    52/01 01/02 21. Dezember / 28. Dezember 2001


Potsdamer Garnisonkirche
Die Beatles und der preußische Geist
Dieter Stein

Heiligabend sind die Familiengottesdienste meist proppenvoll. Eingekeilt zwischen genervten Eltern bekommt man einen Anhaltspunkt für die Ursache des nach der „Pisa-Studie“ attestierten Zustands deutscher Pädagogik: Die Alten haben ihre Gören schlicht nicht im Griff. Randalierend drängen sie auf vorzeitigen Abbruch des Gottesdienstes. Wacker leisten Pfarrer, Kinderchor und Organist Widerstand gegen den anschwellenden Geräuschpegel. Nur das tapfer von der Gemeinde geschmetterte „Oh Du fröhliche“ kann das Geschrei kurzzeitig übertönen.

Wer da einen langen Anlauf genommen hatte, wieder einmal eine Kirche zu besuchen, schwört sich: Frühestens wieder in einem Jahr! Wenn es hochkommt, verirrt man sich zu Ostern wieder in ein Gotteshaus. Falls es einen doch mittendrin in die Kirche verschlagen sollte, glaubt man, angesichts der Leere, sich verirrt zu haben. Die Kirchen, vor allem die Evangelische, verlieren seit Jahren Millionen von Mitgliedern. Die Ursache liegt in einer Entfernung der Amtskirche vom Volk, das sich daraufhin scharenweise verabschiedet. Die Evangelische Kirche (zu der ich nunmal gehöre) scheint zu einer Vorfeldorganisation der SPD verkommen zu sein, die sich mit dem Niedergang arrangiert hat.

Nicht anders als mit dieser geistigen Desorientierung und Volksferne ist zu erklären, wie die Evangelische Kirche in Potsdam auf das Projekt des Wiederaufbaus der Ganisonkirche reagiert. Seit Jahren sammelt die konservative „Traditionsgemeinschaft Glockenspiel“ für den Aufbau der durch US-Bomber zerstörten Kirche, deren Überreste unter Walter Ulbricht gesprengt worden waren. Bis heute haben Privatleute 10,2 Millionen Mark gesammelt. Die Kirche ist wenig begeistert. Allerlei Einsprüche sollen nun den Initiatoren die Arbeit vermiesen, die Innenminister Schönbohm (CDU) als Schirmherr gewonnen haben. So hätte die Kirche gerne das „Nagelkreuz von Coventry“ statt der preußischen Wetterfahne auf dem Dach. In einem „Nutzungskonzept“ vom 2. September 2001 das den bezeichnenden Titel „Veränderung ist möglich - The spirit of change“ trägt, heißt es ferner: „Die Garnisonkirche mit ihrer zweideutigen Geschichte sollte ein exponierter Lernort und eine verheißungsvolle Zukunftswerkstatt werden. Zu lernen ist, was auf dem Spiel steht, wenn Ideologien von rechts und links das sichere Wissen über den Menschen verdunkeln.“

Inzwischen wurde bekannt, daß nach Wunsch des Potsdamer Vikars Martin Vogel die Idee aufkam, neben dem traditionellen „Üb’ immer Treu und Redlichkeit“ und „Lobe den Herren“, das vom bereits nach der Wende aufgestellten Glockenspiel intoniert wird, künftig auch „All You Need is Love“ spielen zu lassen. Da der Beatles-Song mit der Melodie der Marseillaise beginne, frohlockte die Märkische Allgemeine schenkelklopfend, bestehe „die Aussicht, mehrfach am Tag mit der Nationalhymne des einstigen ‚Erbfeindes‘ konfrontiert zu werden“, was „Revanchisten endgültig die Freude an einer eventuellen Wallfahrtsstätte“ nähme. Auch deshalb sind die Kirchen so leer.


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