© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   52/01 01/02 21. Dezember / 28. Dezember 2001


Licht in der Finsternis
Trotz Verfolgung und Glaubenskrise bleibt die Frohe Botschaft gültig
Michael Wiesberg

Einmal mehr steht das Weihnachtsfest vor der Tür und einmal mehr wird dieses Fest in einer friedlosen Welt stattfinden. Das Heilige Land selber ist davon nicht ausgenommen, sondern derzeit ein Hauptkampfplatz entfesselter Gewalt. Eine Folge dieser Friedlosigkeit wird sein, daß viele Christen nicht zu den Heiligen Stätten in Jerusalem aufbrechen werden. Normalerweise ist das Heilige Land Jahr für Jahr für zehntausende Touristen „Weihnachtsland“. Für Protestanten und Katholiken ist die Mitternachtsmesse in der Geburtskirche von Bethlehem oder in der Jerusalemer Grabeskirche der Höhepunkt des Weihnachtsfestes.

Lang ist inzwischen die Liste gut gemeinter Lösungsansätze zur Beilegung des schwelenden israelisch-palästinensischen Konfliktes. Jüngstes Beispiel: Arabische Staaten hatten in der Nacht zum 15. Dezember im Weltsicherheitsrat einen maßvollen Resolutionsentwurf mit einem Aufruf zum sofortigen Stop der Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern und der Entsendung einer Schutztruppe vorgelegt. In diesem Entwurf wurde Israel nicht direkt erwähnt. Verlangt wurde ein sofortiges Ende der Angriffe auf Zivilisten, illegaler Exekutionen, unangemessenen Gewalteinsatzes und der breit angelegten Zerstörung von Eigentum in den Autonomiegebieten. Auch dieser Entwurf scheiterte, wie andere vorher auch, am Veto der USA.

Wie wenig diesmal die vorweihnachtliche Zeit zur Einkehr geeignet ist, zeigt auch ein Blick auf die weltweite Situation der Christen, die insbesondere in Asien und Afrika einer zunehmenden Bedrängnis ausgesetzt sind. Diese spiegelt sich in einer Unzahl von Meldungen der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA), des Informationsdienstes der Evangelischen Allianz (IDEA) und des Evangelischen Pressedienstes (EPD) wieder. Islamische Länder spielen bei der Christenverfolgung eine unrühmliche Vorreiterrolle. Saudi-Arabien, Turkmenistan, der Iran und auch die Malediven gehören zu den zehn schlimmsten Verfolgerstaaten. Aber auch kommunistische Staaten wie Laos, China, Nordkorea oder Vietnam sowie das buddhistische Königreich Bhutan stehen islamischen Staaten nicht viel nach. Der Religionsstatistiker David Barrett (Richmond/USA) schätzt, daß die Zahl der christlichen Märtyrer in diesem Jahr auf 167.000 steigen wird. Im Jahr 2000 sollen 165.000 Christen wegen ihres Glaubens umgekommen sein. Das Bekennen des Wortes Gottes ist in vielen Teilen der Welt zu einer lebensgefährlichen Angelegenheit geworden.

In hiesigen Kreisen heißt die Bedrängnis, der der christliche Glaube ausgesetzt ist, Gleichgültigkeit, Indifferenz (sogenannter „interreligiöser Dialog“) und Überzeugungsleere. „Fluchend, blasphemisch, tabuverletztend“, so schreibt beispielsweise der Schriftsteller Botho Strauß, „darf man sich jederzeit auslassen. Aber die ernste Überzeugung stößt ab und macht verlegen wie eine üble Zote“. Hier mag die Einsicht des großen kolumbianischen Einzelgängers Nicolás Gómez Davila, nach der der „Pöbel das Konfuse“ mehr als „das Komplexe“ bewundere, seine tiefste Wahrheit finden. Dennoch haben Vertreter der christlichen Kirchen der „satirischen Intelligenz“ (Strauß) immer wieder ihre Referenz erwiesen. Auch hierzu hat Davila die passenden Worte gefunden, als er feststellte, daß der „progressive Christ“ sich dermaßen schnell dazu bereitfinde, „mit dem Gegner zu paktieren, daß der Gegner schon niemanden mehr vorfindet, mit dem er paktieren könnte“. „Kritische“ Theologen hatten das ihrige getan, um den christlichen Glauben in Westeuropa immer weiter zu entsubstanzialisieren (Stichwort: „Entmythologisierung“). Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, daß den Deutschen zu Weihnachten die Geschenke wichtiger sind als die religiöse Bedeutung des Festes, von der laut Umfragen nur jeder vierte spricht.

Dieser Befund zwingt zu einer Besinnung auf den Kern religiösen Denkens. Dieses schreitet nicht wie der sogenannte „gesellschaftliche Diskurs“ voran, sondern geht in die Tiefe. Das Weihnachtsfest erschließt uns beispielsweise, warum Gott „für uns“ Mensch geworden ist. Dieses „für uns“ ist das große Ziel der Geschichte Gottes mit den Menschen. Für wen, so fragte Martin Luther in seiner Weihnachtspredigt im Jahre 1531, ist Christus empfangen worden? Luthers Antwort ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Für uns, uns, uns!“

Konkret heißt das: Gott hat sich mit seinem Sohn dem Menschen gleichgemacht. Das ist die zentrale Weihnachtsbotschaft. Und genau dieses Ereignis feiern wir in diesen Tagen. Aus dem unsichtbaren Gott ist ein sich offenbarender Gott geworden. Der Gott, der sich zuvor in Gedanken und Worten vermittelte, in Zeichen und in Wundern, ist nun greifbar. Die Wahrheit Gottes vermittelt sich nicht mehr in abstrakten theologischen Reflexionen, sondern ganz konkret. Wie kann Gottes Botschaft anschaulicher werden als durch die Geburt seines Sohnes, als mit dessen Eintritt in die Welt des Menschen?

„In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen”. So lauten die plastischen Worte des Evangelisten Johannes. Jesus Christus ist das Licht der Welt. Dieses leuchtet in alle Winkel hinein. Licht ist das Gegenteil der Finsternis; Licht ist von seinem Wesen her die Aufhebung der Finsternis.

Das göttliche Licht kann auch als Gnade gedeutet werden. Der Mensch wird durch die Geburt Jesu zum Partner Gottes bestimmt. Gnade heißt: Der Mensch bleibt Partner Gottes. Durch die Verkündigung des Evangeliums kommt Gott täglich in die Welt. Heute und an jedem anderen Tag. Dieses Wort bestand nach dem Wort der Evangelisten vor aller Zeit, es besteht in der Zeit und wird über die Zeit hinaus da sein.

Dieses Wort sagt: In Jesus bin ich dein Freund, dein Bruder, dein Erretter. Wo du mich hörst, wo du mir glaubst, da bleibst du in Gemeinschaft mit mir und dem Vater. Es ist ein werbendes Wort, ein Wort mit der Eigenschaft von Licht und Wärme. Von Klarheit und Trost. Von Gerechtigkeit und Liebe. Von Wahrheit und Frieden.

In den Religionen ist die gemeinsame Feier der Menschen von besonderer Bedeutung. Dasjenige, was wir „Kult“ nennen, ist nicht nur ein Vollzug von religiösen Pflichten und Observanzen, sondern die Begegnung mit dem Heiligen selbst. Im Vorgang einer religiösen Feier erleben wir Menschen Freude oder Erschütterung, Befreiung von allem, was uns hier bindet oder ängstigt, Erhebung oder Erfüllung. „Die menschliche Seele“, um hier ein letztes Mal Davila zu zitieren, „reinigt sich nur in stillen Gewässern, in denen der Schlamm sich absetzen kann“. Hier liegt wohl der tiefste Sinn der „stillen“, der „heiligen Nacht“.


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