© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/01 14. Dezember 2001

 
„Die Sonne scheint auf jedes Dach“
Interview: Der Umweltjournalist Franz Alt über falsche Energiepolitik und die jüngst eingeweihte, größte deutsche Solaranlage
Jörg Fischer

Herr Dr. Alt, am 21. November wurde nahe dem oberpfälzischen Hohenfels das größte Sonnenkraftwerk Deutschlands eingeweiht (JF 50/01 berichtete). Durch diese Solaranlage soll der Umwelt in den kommenden beiden Jahrzehnten die Emission von 32.000 Tonnen CO2 erspart werden. Zwar ist das eine beeindruckende Zahl, kann diese Technologie aber wirklich die Zukunftslösung für die Energieversorgung eines 80-Millionen Volkes sein?

Alt: Es ist ein Beitrag. Wichtig ist aber vor allem, daß damit deutlich wird, daß es auch anders geht, als mit Atom- oder Braunkohlestrom. Was dort jetzt beispielhaft installiert wurde, kann man auch auf 24 Millionen deutschen Dächern installieren. Wir sollten die Sonnenenergie endlich als das begreifen, was sie sein kann: Nicht mehr nur eine sympathische Ergänzung zur herkömmlichen Energiegewinnung, sondern Einstieg und Baustein einer hundertprozentigen Energiewende, aus Wasser-, Wind- und Sonnenkraft, Biomasse und solarem Wasserstoff. Menschen, die das für utopisch halten, entgegne ich, daß alleine die Sonne uns jeden Tag 15.000 mal mehr Energie schickt, als alle sechs Milliarden Menschen täglich zusammen verbrauchen. Worauf warten wir also eigentlich noch? Die Lösung aller Energieprobleme steht am Himmel.

Allerdings ist die Frage, inwieweit wir diesen Reichtum wirklich für uns nützen können, denn die Anlage in Hohenfels kann mit 1,5 Millionen Kilowattstunden jährlich gerade mal 2.000 Deutsche mit Strom versorgen und das bei 60.000 Quadratmeter Solarfläche.

Alt: Anders als Ihre Frage nahelegt, brauchen wir uns über den Flächenverbrauch keine Sorgen zu machen, denn die Sonnenkraft hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber allen anderen Formen der Energiegewinnung: Die Infrastruktur dafür steht schon bereit, die Sonne scheint nämlich auf jedes Dach und an beinahe jede Wand. Die Fläche ist sowieso schon verbraucht. Sie liegt im Moment brach. In Freiburg wird inzwischen die Solarsiedlung „Solarplus“ betrieben, das sind Wohnhäuser, die bereits doppelt soviel Strom durch Sonnenkraft erzeugten, wie die jeweiligen Haushalte verbrauchen.

Werden bei dieser Mustersiedlung nicht noch weitere alternative Energiekonzepte genutzt, um diese erstaunliche Energiebilanz zu erzielen?

Alt: Durch Niedrigenergiebauweise wird nur wenig Energie zum Heizen gebraucht. Sie kommt aus einem Blockheuzwerk, daß mit Holzhackschnitzeln beheizt wird. Ich selbst wohne in Baden-Baden, in einem ganz gewöhnlichen Einfamilienhaus aus dem Jahre 1972. Dennoch gewinnt die Solarstrom-Anlage auf unserem Dach doppelt soviel Strom, wie ein Haushalt verbraucht. Die Sonne hat uns noch nie eine Rechnung geschickt.

Selbst wenn der Individualverbrauch über Hausdach-Anlagen gedeckt werden kann, wo sollen die gewaltigen Mengen Energie, die in Industrie und Verkehr verbraucht werden, herkommen?

Alt: Ich habe vor kurzem eine Schwermaschinenfabrik in Süddeutschland besucht, die mit Hilfe eines Wasserkraftwerkes nicht nur ihren gesamten Strombedarf deckt, sondern sogar noch einen zweifachen Überschuß produziert. Oder ich denke an ein kürzlich von mir eingeweihtes Installationsunternehmen mit sechzig Mitarbeitern, das sich komplett über ein Dach-Sonnenkraftwerk versorgt. Natürlich ist die Versorgung etwa von Daimler-Benz in Stuttgart mit 25.000 Mitarbeitern heute noch ein Problem. Wenn die alternativen Techniken aber erst einmal im großen Maßstab zum Einsatz kommen, dann werden ganz schnell auch solche Probleme gelöst werden. Wir haben für 3sat eine Fernsehreportage über Städte in Kalifornien gedreht, die heute bereits zu zwei Dritteln über Solarstrom versorgt werden - nicht nur Privathäuser, sondern auch Industrieanlagen.

Doch weder wir Deutschen noch die Amerikaner, sondern die Japaner sind heute Vorreiter in puncto Sonnenenergie.

Alt: Die Japaner haben in den neunziger Jahren leider sämtliche deutschen Solarpatente aufgekauft und allein im Jahr 2000 mehr Solaranlagen auf ihren Dächern installiert, als wir Deutschen in den letzten zwanzig Jahren zusammen. Mit unserer Technik - und wir müssen sie jetzt reimportieren. Wir Deutschen hatten zu lange ein Brett vor der Sonne.

Unweit der neu eingeweihten Anlage in Hohenfels steht das tschechische Atomkraftwerk Temelín. Die ärmeren Länder Europas können sich die Sonnenenergie doch gar nicht leisten.

Alt: Atomstrom ist nur deshalb billig, weil die Folgekosten - und zwar immerhin für die nächsten 3.000 Generationen - einfach ignoriert werden. Das wird sich eines Tages rächen. Nach einer Berechnung des Frauenhofer-Instituts in Karlsruhe müßte die Kilowattstunde Atomstrom tatsächlich 3,60 Mark kosten. Michail Gorbatschow sagte mir einmal, die Tschernobyl-Katastrophe habe die sowjetische Volkswirtschaft 500 Milliarden Dollar gekostet. Das ist die Wahrheit über die angeblich günstige Atomenergie. Die herkömmlichen Energieformen, nicht nur die Atomenergie, sind absolut nicht marktwirschaftlich, wir Verbraucher bemerken diesen Betrug nur deshalb nicht, weil unsere Stromrechnung künstlich niedrig gehalten wird und die wahren Kosten über unsere Steuern gedeckt werden. Wir Steuerzahler zahlen heute noch jedes Jahr acht Milliarden Mark in die alte Kohle - und das nennt irgendjemand noch preiswert?

Sie kritisieren auch die Schäden, die diese alte Form der Energiewirtschaft weltweit anrichtet. Warum?

Alt: Wenn wir uns die globalen Auswirkungen der herkömmlichen Energien anschauen, dann ist die Bilanz noch viel verheerender: Allein die Schäden durch den Treibhauseffekt sind kaum noch zu beziffern, oder denken Sie an die Ausbreitung der Wüsten! Ex-Umweltminister Klaus Töpfer, heute Chef des UN-Umweltprogramms, sprach mir gegenüber von 18 Millionen Wasserflüchtlingen in Afrika. Die heutige Energiewirtschaft ist der größte Betrug an künftigen Generationen. Wir verbrauchen die Zukunft unserer Kinder und Enkel.

Auch wenn Sonnenkollektoren auf Dächern versteckt werden können, Windkraftwerke fallen dagegen sehr ins Auge und bedeuten eine erhebliche Lärmbelästigung.

Alt: Die Zeit der lärmenden Windgeneratoren ist schon lange vorbei. Ein modernes Windrad hören Sie heute schon aus zweihundert Meter Entfernung nicht mehr. Ich habe dutzende von Windparks eingeweiht und weiß wovon ich spreche. Das sind Vorurteile, „Argumente“ aus der Mottenkiste, in der Regel ideologisch motiviert. Gerne wird kolportiert, Windkraftwerke bedeuteten den Tod der Vögel in der Umgebung, auch das hat sich bei keiner Anlage in Deutschland je bestätigt. Und dem Einwand vom verstellten Landschaftsblick kann ich nur erwidern: Wie sexy sind denn Atomkraftwerke? - Ich frage mich, wie wir bei diesem primitiven Argumentationsniveau Deutschland jemals zukunftsfähig machen wollen?

Am Mittwoch vergangener Woche haben Sie die Verleihung des deutschen Solarpreises 2001 in Berlin moderiert. Wie „wirksam“ sind solche Preise eigentlich?

Alt: Ich habe in den letzten Jahren selbst den deutschen und den europäischen Solarpreis erhalten. Das hat mir bei meiner Arbeit sehr geholfen. Denn ich habe zum Beispiel bei meinem Kampf gegen die Atomenergie sogar im eigenen Haus immer wieder große Probleme bekommen. Da waren mir diese Auszeichnungen stets sehr hilfreich.

 

Dr. Franz Alt, 63, Fernsehjournalist beim SWR, war von 1972 bis 1992 Chefredakteur von „Report“. Heute ist er Leiter und Moderator des Magazins „Grenzenlos“ auf 3sat.

 

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