© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/01 14. Dezember 2001

 
Der Schwächere schluckt den Stärkeren
Medien: Mit der Fusion der Springer-Zeitungen „Welt“ und „Berliner Morgenpost“ droht ein Stück Alt-Berlin zu verschwinden
Andreas Wild

Die Nachricht von der Zusammenlegung der Welt und der Berliner Morgenpost (Mopo), die der Springer-Konzern vorige Woche bekanntgegeben hat, hat die Berliner Zeitungswelt erschüttert. Sie bedeutet über kurz oder lang (eher über kurz) das Aus für die traditionsreiche, 1898 gegründete Morgenpost, die älteste Zeitung Berlins und die einzige, die noch aus der Vorkriegszeit stammt. Ein Stück Alt-Berlin geht die Spree hinunter, und kein „Synergie-Effekt“ kann darüber hinwegtäuschen.

Von „Synergien bündeln“ sprach der designierte Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner. Redaktion und Geschäftsleitung der beiden Zeitungen werden unter Führung des bisherigen Welt-Chefredakteurs Weimer (37) und seines neuen Stellvertreters Jan-Eric Peters (36) zusammengelegt, die Titel sollen erhalten bleiben, doch alle Kommentatoren sind sich darüber einig, daß auch der Name „Berliner Morgenpost“ recht bald verschwinden wird. Denn alle wesentlichen, „vorderen“ Teile der neuen Einheitszeitung (Politik, Wirtschaft, Feuilleton, Sport) werden künftig von der Welt-Redaktion produziert werden, die um einige bisherige Mopo-Redakteure verstärkt werden mag; das Gros der Morgenpost-Mitarbeiter wird entlassen. Man spricht von 260 bis 400 Kündigungen, die demnächst ins Haus stehen. Dem Mopo-Chefredakteur Herbert Wessels (56) wurde bereits gekündigt.

Das ökonomisch Kuriose an der Fusion ist, daß hier der wirtschaftlich Schwache den Stärkeren schluckt; es ist wie der Biß eines Vampirs, der unbedingt frisches Blut braucht. Die Welt macht im Jahr 140 Millionen Verlust; die Berliner Morgenpost stand bisher, trotz großer Auflagenschwankungen, stets im Plus. Ob es den Springerleuten nun gelingen wird, die Käufer und die Anzeigenkunden der Morgenpost für das vereinte Produkt mit Welt-Charakter zu interessieren, ist äußerst fraglich. Allzu verschieden waren bisher die Leserkreise, allzu deutlich steht der forcierten Welt-Läufigkeit auf der einen Seite ein gemütlich provinzieller Mopo-Typ auf der anderen entgegen. Vor die Alternative gestellt, entweder das neue Welt-(Mopo)-Produkt oder zum Beispiel die Bild-Zeitung zu kaufen, würde sich die alte Mopo-Kundschaft wohl für Bild entscheiden.

Döpfner und Welt-Chefredakteur Weimer kalkulieren so: Durch die Fusion (und nach endgültiger Beerdigung des Morgenpost-Titels) werden der Welt etwa 170.000 Mopo-Käufer zuwandern, wodurch die „Zeitung für Deutschland“ auflagenmäßig endlich in jene Liga gelangt, in der die erklärten Konkurrenten, Frankfurter Allgemeine und Süddeutsche Zeitung, schon lange operieren. Die Welt wird in eine für die Wirtschaft attraktive höhere Anzeigenklasse aufsteigen. Außerdem wird durch die Übernahme des im Berlin-Geschäft immer noch starken Anzeigenaufkommens der Morgenpost das drückende Welt-Defizit weiter entlastet.

Döpfner ist in den Ruf eines Unheilsvogels geraten

Es ist dies aber eine Rechnung mit vielerlei Unbekannten. Bedingt durch Bevölkerungsschwund bzw. Bevölkerungsaustausch und Konkurrenz der Neuen Medien schrumpft der Berliner Zeitungsmarkt schon seit längerem dramatisch; gerade die Morgenpost ist stark davon betroffen, und es ist gut möglich, daß die jetzt eingeleitete Fusion den Abwärtstrend noch beschleunigen wird.

Andererseits sind Versuche der Welt, durch Lokalseiten in Boom-Regionen Boden zu gewinnen, ziemlich drastisch gescheitert. Ein kürzlich gestarteter, ambitionierter München-Teil wurde bereits wieder eingestellt. Berlin indessen in seiner derzeitigen wirtschaftlich-politischen Verfassung ist keine Boom-Region. Wer sich, wie die Welt, heute ausgerechnet auf dem Berliner Markt verstärkt positioniert, ja exponiert, könnte die allgemeine Krise um so schlimmer zu spüren bekommen.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor liegt in der Person und im Arbeitsstil des neuen Springer-Vorstandsvorsitzenden Döpfner, der zwar erst im Januar sein Amt antreten wird, jedoch schon seit geraumer Weile die Politik des Vorstands entscheidend beeinflußt und auch für die Modalitäten der Welt-Mopo-Fusion die Verantwortung trägt. Döpfner hat dem Haus Springer in der letzten Zeit derart gewaltige Verluste eingefahren, daß er bereits vor einem offiziellen Amtsantritt in den Ruf eines Unheilsvogels und „Königs der roten Zahlen“ geraten ist.

In kürzester Zeit verdoppelte er das Minus der Welt, und das von ihm ohne Gespür für die heraufkommende Krise massiv betriebene Engagement im Internet- und Fernsehbereich kostete noch einmal Hunderte von Millionen Mark. Außerdem sagt man Döpfner im Konzern mittlerweile eine einmalig brutale Art des „Hire and Fire“ nach. „Alle Redakteure und Korrespondenten, die über vierzig Jahre alt sind, werden von ihm rausgeschmissen“, heißt es. Und weiter: „Auch dem mächtigen Minderheitsaktionär Kirch hat er schon den Fehdehandschuh hingeworfen. Er betreibt Freunderlwirtschaft in extremem Ausmaß und schafft sich trotzdem immer mehr Feinde. Er wird für das Haus Springer ein Risikofaktor erster Güte sein.“

Die Aussichten für gewinnbringende Synergie-Effekte in Sachen Fusion Welt-Mopo sind also eher düster, auch wenn - wie ebenfalls mitgeteilt wurde - der beim ZDF ausscheidende Intendant Dieter Stolte (67) ab 1. April 2002 Herausgeber (sprich: Frühstücksdirektor) der vereinigten Zeitung sein wird. Die Kommentare in den Zeitungen der Konkurrenz wären wohl noch kritischer und noch hämischer ausgefallen, wenn man dort nicht seine eigenen Sorgen hätte. Überall stehen im kommenden Jahr bei den Zeitungen bittere Einschnitte in die Substanz bevor: wegbrechende Werbeeinnahmen, sinkende Gewinne, massiver Stellenabbau - und eben auch Fusionen, die letztlich nur verkappte Frontverkürzungen sind und den einzigen Sinn haben, Ausgaben zu sparen und irgendwie mit einem blauen Auge davonzukommen.


 
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