© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/01 14. Dezember 2001


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Versöhnung
Karl Heinzen

Rudi Völler bleibt bis zum Jahr 2006 Teamchef der DFB-Auswahl. Sein „Ja-Wort um Mitternacht“ (Bild) schafft zwar dem deutschen Fußball nicht unbedingt eine Perspektive, baut aber dem deutschen Fußballpublikum daheim am Bildschirm eine Brücke zur Wiederversöhnung mit dem Geschehen auf dem Spielfeld, ganz gleich, welche Resultate unsere Nation im einzelnen auszuhalten hat.

Ein Jahrzehnt der Entfremdung scheint ausgestanden. Unter Berti Vogts hofften die Menschen in schamloser Offenheit auf eine Niederlage seiner Mannschaft, um den Haß auf seine Person, in der sie ihre eigene Erbärmlichkeit wiederfanden, auf sozusagen wissenschaftlicher Grundlage ausleben zu dürfen. Der Triumph bei der EM 1996 ist ihnen als Ausrutscher nicht unvergeßlich, sondern unverzeihlich. Vor seinem Nachfolger Erich Ribbeck hingegen hatte man von Anfang an jenen Respekt, den man dem unterklassigen Verein als Außenseiter in Pokalspielen entgegenbringt: Es ist beachtenswert, daß er alles versucht, aber eigentlich aussichtslos, daß er etwas erreicht. Erich Ribbeck hat die Menschen nicht enttäuscht. Niemand kann ihm ein Strohfeuer nachsagen.

Rudi Völler nun ist ein Mann, an dessen Erfolgen man sich gegebenenfalls zwar freut, den man aber nicht an ihnen mißt. Wie Wolfgang Petry ist er in der glücklichen Rolle, daß die Menschen sich gerne mit ihm identifizieren, weil sie sich durch ihn auch in ihren Schwä­chen als liebenswürdig empfinden dür­fen. Der Verrat, den Franz Beckenbauer am Fußballvolk begangen hat, indem er vom Populisten zum Business-Mogul mu­tierte, ist Ruuudi schon physiognomisch nicht zuzutrauen. In schwerer Stunde hat er Schande und Unrecht für uns alle ausgehalten, als ihm Frank Rijkaard ins Gesicht spuckte und er dafür auch noch vom Platz gestellt wurde. Eingedenk dieser Szene werden sich die Älteren unter uns, die ihr Zeuge wurden, stets ein despektierliches Urteil über ihn verbitten, auch wenn die DFB-Auswahl ihrer Nach-Beckenbauer-Tradition verhaftet bleiben sollte.

Die Zuneigung der Öffentlichkeit wird Rudi Völler benötigen, um sich im Kreise der von ihm berufenen Fußballdarsteller, die als Angehörige eines letzten Aufgebots um ihre Exklusivität wissen, behaupten zu können. Sein Salär von jährlich gerade einmal 4,5 Millionen Mark stattet ihn hier nämlich nur mit der Autorität eines kleinen An­gestellten aus. Seine Vergangenheit als Spieler wiederum liegt zu weit zurück, um in einer geschichtslosen Zeit Respekt einflößen zu können. Vielen unserer Talente, die aus anderen Kultur­kreisen stammend, sich nun für unser Nationalteam empfehlen, dürfte sie zudem unbekannt sein. Rudi Völler ist kein Stratege, aber er kann ein Spiel instinktiv lesen. Im Spiel seiner Auswahl steht geschrieben: Es wird immer Teams geben, die man schlagen kann. Es wird aber immer mehr Teams geben, gegen die man wohl eher verlieren dürfte. Mit Rudi Völler werden wir begreifen, daß es eine andere Wahrheit als jene, die wir auf dem Rasen sehen, nicht gibt.


 
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