© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/01 07. Dezember 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Union für Folklore statt Nationalstaat
Carl Gustaf Ströhm

Hätte es nicht am 27. November in der FAZ gestanden, wäre die Meldung nicht wie eine Bombe bei einigen Mittel- und Osteuropäern eingeschlagen. So aber las man bei den EU-Kandidaten, daß ausgerechnet die CDU/CSU im Rahmen der „Europäisierung“ das Auswärtige Amt, das Verteidigungsministerium, den deutschen diplomatischen Dienst und - die Bundeswehr abschaffen bzw. auflösen wolle. Ausgerechnet CSU-Chef Stoiber - immerhin Nachfolger von Franz Josef Strauß - soll sich, laut FAZ, für eine solche Lösung stark gemacht haben.

Das vom früheren CDU-Chef und Kohl-Adlatus Schäuble und vom bayerischen Staatsminister Bocklet erarbeitete Papier bedeutet faktisch die Auflösung des deutschen Nationalstaates: „Den Nationalstaaten in der EU“, so zitierte die FAZ, „will die Union ... die Zuständigkeit für Tradition und Kultur, für inneren Staatsaufbau, für Familienstrukturen - sowie Bildung, Kultur und Sport belassen.“

Nun sind die östlichen Kandidatenländer bereit, um der EU-Mitgliedschaft willen auf manches zu verzichten und ihre Volkswirtschaften dem eisigen Wind westlicher Konkurrenz auszusetzen. Es erscheint allerdings völlig undenkbar, daß etwa Polen einer Auflösung seiner Armee und Diplomatie zugunsten nebulöser EU-Strukturen zustimmen könnte. Das gleiche gilt für alle übrigen postkommunistischen Staaten: die Europa-Begeisterung läßt nach, die Euro-Skeptiker werden lauter.

Jene Unionspolitiker, die das von der FAZ veröffentlichte Europa-Papier zu verantworten haben, sind sich der verheerenden Folgen offensichtlich nicht bewußt, die ihre Formulierungen bei den Ost- und Mitteleuropäern auslösen müssen. Alle diese Länder und Völker haben Jahrzehnte der Unfreiheit hinter sich, in denen ihre nationalen Symbole zugunsten aufgepfropfter kommunistischer Embleme zurückgedrängt, manche Länder als selbständige Staaten überhaupt ausgelöscht wurden. Sogar ihre Fahnen und Hymnen waren verboten.

Der Fall der Mauer und das Ende des Kommunismus war für sie identisch mit nationaler Befreiung. Wenn jetzt ausgerechnet CDU und CSU, die für sich in Anspruch nahmen, ein besonderes Verständnis für die Nöte und Anliegen der kleinen, vom Kommunismus unterjochten Nationen zu haben, mit der Idee eines europäischen „Einheitsstaates“ aufwarten, dann kann das östlich von uns nur Befremden, Entfremdung und tiefe Enttäuschung auslösen.

Im Gegensatz zur deutschen politischen Klasse, die auf nationale Traditionen überhaupt keinen Wert zu legen scheint, ist in allen ehemals kommunistisch regierten Staaten die „nationale Idee“ sehr lebendig. Slowenen und Tschechen, Slowaken, Esten, Letten und Litauer haben den Wunsch, ihrer nationale Identität zu wahren. „Bei den Deutschen mit ihren achtzig Millionen Einwohnern und ihre industriellen Kapazität mag es noch angehen, die eigenen Armee und Diplomatie abzuschaffen“, meinte ein hoher Diplomat eines EU-Kandidatenlandes. „Wenn man aber mein kleines Volk dazu verurteilt, sich gewissermaßen nur noch folkloristisch zu äußern, dann stößt man uns in den gleichen Zustand zurück, den uns seinerzeit die sowjetischen Kommunisten aufgezwungen hatten.“

Den mittel- und osteuropäischen Politikern und Intellektuellen kann man nur empfehlen, sich gegen solche Unsinnigkeiten energisch zu wehren. Und es bleibt ihnen der Trost, daß die Union ohnedies kaum eine Chance haben, in absehbarer Zeit in Deutschland an die Regierung zu kommen.


 
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