© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/01 07. Dezember 2001


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Lebensglück
Karl Heinzen

Mehr und mehr wagen sich die Verantwortlichen unseres Landes an den Versuch eines Beweises, daß die Zustimmung der Menschen zu der ihnen offenbarten Ordnung nicht ein wachsendes Wohlleben voraussetzt, sondern sehr wohl auch auf die Einsicht in die Alternativlosigkeit allein gegründet wer­den kann. Die Rahmenbedingungen dafür sind günstig. Der Krieg wird als Vor­bote nicht bloß neuer Kriege, sondern auch von Reformen unseres Staates ver­standen, die totaler und radikaler sein dürften, als wir es uns heute überhaupt erst vorstellen können.

Niemand wird den Menschen einzureden versuchen, daß das, was sie als ihr Lebensglück betrachten, ihnen ein solches gar nicht zu bieten vermag, bloß, weil sie es sich in Zukunft nicht mehr leisten können. Jeder wird in seinen Bedürfnissen ernst genommen, auch wenn diese unbefriedigt bleiben. Der Konsu­ment bleibt der Souverän, auch wenn er nicht konsumiert.

Nicht bloß, wer keine Arbeit hat, muß aber an sich arbeiten: Wir sollten auch die Wohlstandseinbußen der Mehrheit unserer Mitmenschen zur Kenntnis nehmen, bevor wir uns über unsere eigenen beklagen. Wir sollten lernen, uns am guten Leben anderer aufrichtig zu er­freuen, zumal ihre Zahl schrumpft. Nicht zuletzt aber sollten wir uns fragen, ob es nicht vielleicht auch Mög­lichkeiten der Gestaltung von Lebensglück gibt, an die wir bislang nicht oder nicht in erschöpfendem Maße gedacht haben, weil wir ganz einfach noch nicht so sehr auf den Preis schauen mußten.

Lebensglück, das wir in uns selbst finden zum Beispiel. Erst unlängst fanden schwedische Forscher heraus, daß die Zufriedenheit der Menschen dann am größten ist, wenn sie eine Blutalkoholkonzentration von ziemlich genau 0,5 Promille erreichen. Das ist nicht viel, um wirklich vergessen zu können, aber doch mehr, als die meisten durchgängig nachzuweisen vermögen.

Der Politik läßt keine Chance aus, um die Voraussetzungen für eine Renaissance der Innerlichkeit zu schaffen. So hat die EU durch ihre neue Aromaverordnung sogar die ein Jahrhundert währende Illegalität des Absinth beendet, der einst wesentliche Impulse in unserem Kulturleben zu setzen vermochte. An ihm werden daher insbesondere Intellektu­elle ihre Freude haben, zumal seine ei­gentümliche Wirkung nicht dem Alkohol geschuldet ist und man selbst bei einem intensiven Zuspruch das Niveau des bloßen Trinkers in der Rezeption durch das soziale Umfeld transzendiert. Im Nim­bus wird er trotz seiner Zulassung auf jeden Fall mit Cannabis-Produkten mit­halten können, hinsichtlich der Intensität der ermög­lichten Halluzinationen dürfte er sie wohl sogar in den Schat­ten stellen. In­wieweit er in dieser Konkurrenz Marktanteile erobert oder neue Märkte erschließt, wird aber von der Preisgestaltung abhängen. Es wäre politisch unklug, die Menschen in der Entdeckung neuer Lebensqualität hier ohne Schutz dem Spiel von Angebot und Nachfrage auszuliefern.


 
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