© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/01 30. November 2001

 
„Die Russen haben auf alles geschossen“
Interview: Heinz Schön, Überlebender der „Gustloff“-Katastrophe, über die Verzerrung der Geschichte
Alexander Barti

Am 30. Januar 1945 wurde der KdF-Dampfer „Wilhelm Gustloff“ von dem sowjetischen U-Boot „S13“ torpediert (JF 48/01). 9.343 Menschen, darunter 3.000 Kinder, fanden in den eisigen Fluten der Ostsee den Tod. Nur 1.252 übelebten die Katastrophe. Da auch Soldaten an Bord waren, wird die Versenkung der „Gustloff“ von einigen Historikern als vom Kriegsrecht legitimiert angesehen. Andere halten die Tat des sowjetischen U-Boot Kommandanten Alexander Marinesco für ein Kriegsverbrechen. Im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT erklärt Heinz Schön, Überlebender der Schiffskatastrophe, weitere Details zum Fall „Gustloff“.

Herr Schön, waren wirklich 1.000 U-Boot Soldaten auf der „Gustloff“?

Schön: Das stimmt, es waren 978 U-Boot Soldaten. Das waren Soldaten der 2. Unterseeboot Lehrdivision (ULD), die auf der „Gustloff“ wohnten, daß heißt sie war Wohnschiff für die 2. Abteilung der 2. ULD. Die Soldaten wurden für den Einsatz auf dem neuen U-Boot Typ 21 ausgebildet.

War die „Gustloff“ demnach kein Lazarettschiff?

Schön: Das war sie nur am Anfang des Krieges. Bei ihrer letzten Fahrt hatte sie auch nicht mehr den Lazarettschiff-Anstrich, sondern einen grauen Tarnanstrich. An Bord waren außerdem - neben den rund 9.000 Zivilisten - etwa 170 verwundete Soldaten von der Ostfront, die man an Bord in einem Notlazarett untergebracht hatte.

War die „Gustloff“ ein militärisches Ziel?

Schön: Für die Russen war alles ein militärisches Ziel. Sie haben auch Fischkutter versenkt. Die „Gustloff“ war nach der Zusammensetzung ihrer Passagiere ein „Flüchtlingsschiff“, nur damals gab es diese Kategorie nicht. Sie war sicher kein Truppentransporter.

Wußte der sowjetische U-Boot Kommandant Marinesco, was sich auf seinem Ziel befand?

Schön: Nein, das wußte er nicht, wie mir der Torpedist der S13, mit dem ich nach dem Krieg gesprochen habe, bestätigt hat. Erst als die „Gustloff“ sank, haben sie die Schreie der Schiffbrüchigen gehört.

Alexander Marinesco wurde am 8. Mai 1990 posthum zum „Helden der Sowjetunion“ ernannt. Wieso erfolgte die fragwürdige Ehrung so spät?

Schön: Marinesco hatte sich mit der Partei angelegt, weil er nicht sofort zum „Helden“ ernannt wurde. Er war der Meinung, daß er mit dem Abschuß der „Gustloff“ die Besatzung von rund 30 U-Booten vernichtet hatte, und ihm somit die Ehrung zustände. Als er trotzdem nicht geehrt wurde, bildeten sich im ganzen Land sogenannte „Marinesco-Komitees“, die seine Ehrung vorantrieben. Ich halte das deswegen für unverständlich, weil ich noch im Februar 1990 vom kommandierenden Admiral der Baltischen Flotte nach Leningrad eingeladen wurde, um dort über den Untergang der „Gustloff“ zu sprechen. Ich konnte da richtigstellen, daß auf dem Schiff nicht - wie von den Russen immer behauptet - 3.000 U-Boot Soldaten waren und alles „voller Nazis“ gewesen sei.

Außerdem wurde Marinesco erst kürzlich noch ein Denkmal in Königsberg errichtet. Können Sie sich das erklären?

Schön: Nein! Marinesco hatte überhaupt keine Beziehung zu Königsberg. Allerdings lebt in der Stadt Viktor Gemanow, der das Buch „Die Heldentat der S13“ geschrieben hat. Dort schreibt er über das Märchen, daß vor allem Nazis und die SS an Bord gewesen seien, und daß die „Gustloff“ aus einem Konvoi von 100 Schiffen heraus beschossen worden sei, usw. Da steht viel Unsinn drin. 1992 habe ich mich öffentlich mit dem Autor auseinandergesetzt. Trotzdem wurde das Denkmal in Königsberg errichtet. Die Veteranen der Baltischen Flotte haben offenbar großen Einfluß in Rußland. 

 

weitere Interview-Partner der JF


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen