© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/01 30. November 2001

 
Irreales Image
Kino I: „Ein Mann sieht rosa“ von Francis Veber
Ellen Kositza

So doof-albern wie sein deutscher Titel (im Original wurde das mehrdeutige Le Placard gewählt) ist dieses Lustspiel mit Daniel Auteuil, der französischen Filmgröße, in der Hauptrolle nicht. Es darf seit geraumer Zeit als ein Markenzeichen französischer Filmkomödien gelten, Komik in ihren Tiefen auszuloten und mittels satirischem Verfahren geltende - das heißt: modische - Normen aufzuspießen und vorzuführen, als bestes Beispiel mögen Francoise Ozons schrille Streifen im Sitcom-Stil dienen.

Francoise Pignon, nomen est omen, ist in der kautschukverarbeitenden Fabrik als Buchhalter ein Rädchen im Getriebe. Diese Kennzeichnung darf auf sein gesamtes Leben übertragen werden. Seit zwei Jahren ist er geschieden von der Frau, die er noch immer liebt, er hatte ihr dereinst als Tröster nach einer Enttäuschung gedient und mit ihr einen mittlerweile halbwüchsigen Sohn gezeugt. Auf Francoises häufige Anrufe reagiert die Ex-Gattin nur noch mit einem Augenrollen, und auch der Sohn verspürt kein Bedürfnis, den Vater zu sehen - immer das gleiche: „Voilà, dein Lieblingsessen: Spaghetti, Tomatensauce, Basilikum!“

Francoise ist ein gutherziger Mensch und korrekter Angestellter, doch ein ganz und gar leidenschaftsloser Mann, der von seinen Kollegen belächelt wird. Durch Zufall erfährt er, daß er als Rationalisierungsmaßnahme entlassen werden soll. Damit wäre Francoise sein letzter Lebensinhalt genommen. Rettung naht in Gestalt seines neuen Nachbarn, Monsieur Belone, dessen Name, flüchtig gesprochen, als „Gutmensch“ erklingt. Welchen Grund könnte es für seinen Chef (Jean Rochefort) geben, die - noch gar nicht offiziell ausgesprochene - Kündigung rückgängig zu machen?

Belone kennt die Welt und kennt die Zeiten, er plant Francoises fingiertes Coming out als Homosexueller. Schwule sind in gewissem Rahmen eine geschützte Gattung, erst recht dann, wenn die Hauptproduktion der Firma Kondomen gilt Nicht auszudenken, wenn der so schnöde Entlassene die gesamte gay community im Rücken hätte - das gäbe nur negative Presse. Also reagiert der Vorgesetzte, nachdem er einen anonymen Brief mit kompromittierenden Photos, Francoise in eindeutiger Pose zeigend, wie erhofft: Er verzichtet auf die Entlassung. Die Bilder machen schnell die Runde, und das Kollegium reagiert höchst belustigt bis verzückt - und als intolerant gelten will ohnehin keiner. Allein für den feisten Félix (Gérard Depardieu) ist Political Correctness ein Fremdwort geblieben, er reißt einige Witze über die Wandlung des Langweilers zur heimlichen Betriebsschwuchtel und wird schnell von seinen Kollegen in die Schranken gewiesen.

Hier setzt ein Strang als Teil der Geschichte ein, der wegen seiner mangelnden Plausibilität selten komisch gerät. Félix nämlich versucht nun den moralischen Schaden, den er durch seine unbedachten Äußerungen angerichtet hat, durch gesteigerte Aufmerksamkeit gegenüber Francoise wiedergutzumachen. Das Rauhbein mit den Macho-Allüren schenkt dem vermeintlich Schwulen nun rosa Kaschmirpullover, teuerste Pralinen, führt ihn zum Essen aus, ohne daß der Sinn der übertriebenen Mühe ganz klar würde, schimpft aber still weiter über „die Schwuchtel“ - Feinsinn adé.

Mehr Tiefgang zeigt der Blick auf die veränderte Haltung der übrigen Mitarbeiter, seiner Frau und seines Sohnes. Ohne daß Francoise seine Art auch nur andeutungsweise geändert hätte, gilt er fortan als hochinteressanter Mensch, Frauen werben um seine Gunst, Männer halten ihn für kreativ und selbst sein Sohn ist begeistert von seinem Vater, der ihm nun ganz modern erscheint. Es ist nicht die Homosexualität an sich, es ist die gesellschaftliche Wertigkeit eines völlig irrealen Images, die hier genüßlich verlacht werden darf.


 
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