© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/01 30. November 2001

 
Reemtsma kämpft weiter
Wehrmachtsausstellung: Das Dogma von der „verbrecherischen“ Wehrmacht bleibt bestehen
Alexander Barti

Im November 1999 trat Jan Philipp Reemtsma und sein „Hamburger Institut für Sozialforschung“ (HIS) den Rückzug an: Die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ wurde geschlossen, nachdem Fachwissenschaftler ihre Zweifel an einigen Bildern und Bildlegenden beweisen konnten. Die problematischen Fotos sollen jüdische Pogromopfer gezeigt haben, obwohl es sich um Ermordete des sowjetischen Geheimdienstes NKWD gehandelt hatte. Letztlich waren es aber nicht die Zweifel unabhängiger ausländischer Historiker, die Reemtsma zum Einlenken bewegt haben. In der aktuellen Pressemitteilung räumt das HIS offen ein, daß „die Reaktion auf diese Kritik (der Fachwissenschaftler, Anm. d. Verf.) in der Öffentlichkeit ein Ausmaß erreichte, die zu einem Glaubwürdigkeitsverlust des Instituts und der Gesamtaussage der Ausstellung zu führen drohte“. Man fürchtete einen pädagogischen „Rohrkrepierer“, denn bis zum November 1999 hatten Hunderttausende die Ausstellung besucht, waren tausende von Schulklassen in die Reemtsma-Show geschleust worden. Sogar der Bundestag debattierte zweimal über die Ausstellung, ebenso die Landtage.

Nachdem die Ausstellung so erfolgreich war, konnte Reemtsma es nicht zulassen, sang und klanglos - noch dazu mit dem Makel des Betrügers behaftet - in der Versenkung zu verschwinden. Er verkündete am 4. November ein Moratorium und setzte eine Historikerkommission ein, die die Ausstellung gründlich überprüfen sollte. Das Gremium, bestehend aus den Fachwissenschaftlern Omer Bartov, Cornelia Brink, Gerhard Hirschfeld, Friedrich Kahlenberg, Manfred Messerschmidt, Reinhard Rürup, Christian Streit und Hans-Ulrich Thamer, kam in ihrem 103seitigen Bericht zu dem Ergebnis, daß die „Ausstellung 1. sachliche Fehler, 2. Ungenauigkeiten und Flüchtigkeiten bei der Verwendung des Materials und 3. vor allem durch die Art der Präsentation allzu pauschale und suggestive Aussagen“ enthalten habe (JF 30/01). Trotz dieser eindeutigen Rüge sprach die Kommission Reemtsma bzw. seinem Ausstellungsleiter, dem Alt-Kommunisten Hannes Heer, von dem Vorwurf der Fälschung frei. Lobend bemerkte man sogar, daß die Ausstellung „sinnvoll und nötig“ gewesen sei.

Viele hatten geglaubt, daß die angekündigte überarbeitete Ausstellung nie Realität werden würde. Sie haben sich getäuscht, denn ab dem 28. November ist die neue Konzeption „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944“ in den für moderne Kunst bekannten Räumen der „Kunst-Werke“ (KW) in Berlin zu sehen.

In der Pressekonferenz am Dienstag betonte Reemtsma, daß der Veranstaltungsort die Ausstellung nicht in den Bereich eines Kunstobjektes verschieben wolle. Sie bleibe eine historische Dokumentation. Eine neue Ausstellung sei nötig gewesen, weil er dem Eindruck entgegenwirken wollte, daß die These von den „Verbrechen der Wehrmacht“ falsch gewesen sei. Außerdem habe man die Fehler der ersten Schau berichtigen wollen. Ein weiterer Aspekt der Neukonzeption sei das überwältigende Interesse an dem Thema gewesen. Man habe auf den Bedarf mit mehr und detailierterer Information reagiert, die Ausstellungsfläche habe sich dadurch verdoppelt. Die neue Ausstellungsleiterin, Ulrike Jureit, erläuterte das Ausstellungskonzept, das vor allem darin besteht, die „Dimensionen der Vernichtung“ anhand von sechs Themenkomplexen zu verdeutlichen: 1. Völkermord an den sowjetischen Juden, 2. Massensterben der sowjetischen Kriegsgefangenen, 3. Ernährungskrieg, 4. Deportationen und Zwangsarbeit, 5. Partisanenkrieg und 6. Repressalien und Geiselerschießungen.

Jureit betonte, daß man die Verbrechen der Wehrmacht nicht pauschalisieren könne („Die Forschung läßt keine Aussagen über die Anzahl der an diesen Verbrechen beteiligten Wehrmachtsoldaten zu“). Vergessen dürfe man auch nicht, daß vieles, was damals geschah, vom Kriegsrecht gedeckt gewesen sei. Man habe aber auch zeigen wollen, daß der Krieg keine anonyme Maschinerie ist, denn „jede Situation war durch konkrete Handlungsbedingungen geprägt, von aktuellen Einflüssen bestimmt und durch Verhaltens- und Handlungsmuster der Akteure beeinflußt“. In der Dimension „Repressalien und Geiselerschießungen“ wird anhand von acht Beispielen verdeutlicht, daß man auf Befehle sehr unterschiedlich reagieren konnte - es gab Handlunsgspielräume. Man habe keinen Hinweis darauf gefunden, daß Soldaten, die den Befehl einer Exekution von Zivilisten verweigert haben, dafür bestraft worden wären.

Im Gegensatz zur alten Ausstellung, die vor allem mit überdimensionierten Fotos wirkte, wird der Besucher in der neuen Schau mit einer Textflut konfrontiert, die er in 24 Stunden schwerlich bewältigen wird. Daher kann man annehmen, daß die Ausstellung vor allem Fachpublikum anziehen wird. Dem komplexen Thema wird das nur hilfreich sein. Die Ausstellung schließt mit einem Rückblick auf die zwischen 1995 und 1999 geführten Debatten zu ihrer Vorgängerin.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen