© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/01 23. November 2001

 
„Er war einfach ein Genie“
Klaus Kinski: Ausstellung und Filmretrospektive zum 75. Geburtstag und 10. Todestag des Schauspielers
Werner Olles

Am 18. Oktober wäre Klaus Kin ski 75 Jahre alt geworden, vor zehn Jahren starb er am 23. November in Kalifornien. Das Leben dieses von einem Mythos umwehten Künstler zeigt jetzt das Frankfurter Filmmuseum in der Ausstellung und Filmreihe mit dem programmatischen Titel „Ich, Kinski“. In der Bundesrepublik gehörte der Schauspieler neben Curd Jürgens und Gert Fröbe zu den ganz wenigen Darstellern mit internationalem Format, der wie kaum ein zweiter das neue Nachkriegsdeutschland verkörpertet.

Der 1926 im heutigen polnischen Zoppot bei Danzig als Klaus Nakszynski geborene Sohn eines Apothekers und einer Krankenschwester spielte als deutscher Kriegsgefangener im Lagertheater im englischen Essex das Klärchen in Goethes „Egmont“ und gab später auf der Bühne zunächst die Guten und Sanften. Seine filmische Laufbahn, die insgesamt 127 Kinofilme umfaßt, begann unmittelbar nach dem Krieg mit einer Nebenrolle als KZ-Häftling in Eugen Yorks „Morituri“. In Laszlo Benediks „Kinder, Mütter und ein General“ durfte er 1955 - nachdem ein Selbstmordversuch gottlob erfolglos geblieben war - erstmals den Skrupellosen spielen. Er kam als begnadeter Rezitator klassischer Texte Villons, Rimbauds, Wildes, Baudelaires, Goethes, Schillers und berühmter Dramenmonologe zu Ehren, trug 1959 bei den kommunistischen Weltjugendfestspielen Brecht vor und glänzte in den überaus erfolgreichen Edgar Wallace-Filmen als „Irrer vom Dienst“. Später drehte er - abgesehen von Sergio Corbuccis „Leichen pflastern seinen Weg“ - drittklassige Italo-Western und zahllose B-Pictures, die er bediente, wenn nur die Gage stimmte.

1972 entdeckte ihn der Regisseur Werner Herzog für den Film „Aguirre, der Zorn Gottes“ sozusagen neu. In den nächsten zwanzig Jahren lebten Herzog und Kinski in einer Art Haßliebe mit- und gegeneinander. Als Höhepunkt seines Schaffens empfand Kinski den zwei Jahre vor seinem Tod gemeinsam mit seinem Sohn Nikolai verwirklichten Film „Paganini“, den er selbst inszeniert und für den er auch das Drehbuch geschrieben hatte.

All dies ist in der Ausstellung nachzuerleben. Sie beginnt im ersten Raum mit Familienfotos, die ihn - entgegen seiner autobiographischen Erzählung - in behüteter Kindheit zeigen. Mit Tondokumenten und weiteren Fotographien ist die spannungsgeladene Atmosphäre eines Rezitationsabends nachgezeichnet. Und wie um den Titel der Ausstellung noch einmal zu unterstreichen findet sich auf den Schallplattenhüllen seiner Rezitationen immer nur ein Name: „Kinski“. Es folgt ein Rückblick auf seine ersten Bühnenauftritte: Kritiken, Manuskripte und Szenenfotos, das Typoskript zu Jean Cocteaus „Die menschliche Stimme“ mit Kinskis eigenen handschriftlichen Abänderungen und Ergänzungen.

Die Stationen seiner Filmkarriere begleitet eine umfassende Retrospektive, in der die Zuschauer den Schauspieler in legendären, betörenden und miserablen Rollen erleben. Daneben zeigt die Ausstellung aber auch einen Menschen, der - wie Minhoi Loanic, die vietnamesische dritte Ehefrau des Künstlers in dem im Begleitprogramm als Weltpremiere laufenden Film „Babyboy“ erzählt - seinen Sohn geradezu abgöttisch liebte, ihn mit obsessiver Liebe überschüttete. Rührend wirken die roten Herzchen, mit denen er in seinem Kalender die Treffen mit Nikolai datierte oder seine Briefe an ihn dekorierte. Als der damals Elfjährige während der Dreharbeiten zu „Paganini“ am Set erscheint - er spielte den Sohn des Geigers - läßt Kinski alles stehen und liegen, stürmt auf ihn zu, umarmt, küßt und drückt ihn, als hätten sie sich seit Jahren nicht mehr gesehen.

Zu den am wenigsten bekannten Seiten des Schauspielers gehören neben den im spätexpressionistischen Stil verfaßten Gedichten aus den fünfziger Jahren, die nun unter dem Titel „Fieber. Tagebuch eines Aussätzigen“ erschienen sind, auch seine Zeichnungen und Malereien. Aber auch die von ihm selbst entworfenen Kostüme und Bühnenbilder für zumeist nicht verwirklichte Projekte zeigen einen höchst vielseitig begabten Menschen. Und in der Flut von Bildern, die vor allem den jungen Kinski in allen nur erdenklichen Posen präsentieren, wird ein Mann sichtbar, der sich deutlich vom Klischee des dämonisch blickenden Bösewichts der einschlägigen Wallace-Filme und B-Pictures abhebt. Die Standfotos aus Werner Herzogs „Fitzcarraldo“ lassen indes dunkel die Tobsuchtsanfälle ahnen, mit denen der legendäre Rüpel Kinski während der äußerst strapaziösen Dreharbeiten im Dschungel den Regisseur und seine Kollegen bis zum Exzeß überzog. Herzog soll dann auch die Tatsache, seine fünf gemeinsamen Filme mit ihm einigermaßen unbeschadet überlebt zu haben, heute noch wie ein Ehrenzeichen vor sich hertragen.

Dagegen führte die Filmwissenschaftlerin Ulrike Rechel, die die Ausstellung mitkonzipierte, mit den Menschen Interviews, die Kinski in seinen letzten Lebensjahren begleiteten. Und dabei wird dem Klischee vom tobenden Wüterich eine ganz neue und überraschende Facette hinzugefügt: Man hört und liest von einem freundlichen, älteren Mann mit schlohweißem Haar, der gemeinsam mit einem Schäferhund in einem einsamen Blockhaus in dem entlegenen Nest Lagunitas im Norden Kaliforniens verborgen hinter gewaltigen Redwoodbäumen in der Nähe seines Sohnes und seiner mittlerweile geschiedenen Frau lebte, in einem kleinen Gärtchen Gemüse anbaute und mit seinen Nachbarn über das Wetter, den Salat und die Weinlese plauderte.

Eine ausgezeichnete Ergänzung zur Ausstellung bietet der reich bebilderte Katalog mit teils sehr persönlichen Beiträgen von Journalisten, Familienmitgliedern und Kollegen, darunter der spanische Regisseur Jess Franco, Produzent Erwin C.Dietrich, Joachim Fuchsberger, Karin Dor und der berühmte Pantomime Marcel Marceau. Letzterer überschreibt seine Erinnerungen an Klaus Kinski mit der zutreffenden Bemerkung: „Er war einfach ein Genie!“

 

Die Ausstellung im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main, Schaumainkai 41 (Tel: 069 / 2 12 38 80 oder im Internet unter www.deutsches-filmmuseum.de .) ist noch bis zum 27.Januar 2002 zu sehen. Der Katalog kostet im Museum 45 Mark.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen