© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/01 23. November 2001

 
Pankraz,
Freya Klier und die Wurst im Weihwasser

In Mut, dem Zentralorgan für spätbekehrte Betschwestern, las Pankraz eine Suada von Freya Klier, in der sie sich darüber aufregte, daß die Linken dazu neigten, alle Politverbrechen, die von kommunistischen oder radikalsozialistischen Regimen begangen wurden oder noch begangen werden, zu ignorieren, schönzureden, irgendwie zu entschuldigen. Hier gebe es nichts zu entschuldigen, wetterte Freya, und außerdem sei das völlig unnötig. Denn alle diese Verbrechen seien, bei Lichte betrachtet, ja „rechte Verbrechen“, begangen von „Rechtsradikalen“, „Rechtsextremisten“, „rechten Reaktionären“.

Stalin - „ein Rechtsextremist“. Mao Tse-Tung - „ein rechter Staatsterrorist“. Robespierre - „der Urvater aller rechten Politverbrecher“. Das verflossene Regime in der DDR - „eine rechte Diktatur“. Solche Weisheiten werden jetzt also verbreitet von Wanderpredigerinnen, die „der CDU nahestehen“ und von dieser Partei auch freudig auf Lesereise geschickt werden.

Das Gehabe erinnert an eine Erzählung von Heinrich Bebel, wo ein Mönchlein, das am Karfreitag Fleisch essen möchte, die Wurst durch den Weihwasserkessel zieht und dazu beschwörend murmelt: „So, nun bist du ein Fisch, nun bist du ein Fisch!“ Auch Leute wie Klier haben einen Weihwasserkessel, wenn es auch ein Entweihwasserkessel ist. Dorthinein schmeißen sie alles Unheil, das ihnen Appetit auf Polemik macht, und murmeln dazu: „So, nun bist du rechts, nun bist du rechts...“ So stillen sie ihren Appetit und bleiben dennoch in der rechten Lehre, behalten ihr warmes Plätzchen bei den Medien.

Den Schaden hat, wieder einmal, die politische Diskussion im Lande, deren Niveau immer mehr absinkt und kaum noch zu unterbieten ist. Selbstverständlichkeiten, die auszusprechen man sich früher scheute, um nicht in den Ruf eines Banalitätenredners zu kommen, werden zu staatsgefährdender rhetorischer Konterbande, für deren bloßes Andeuten man den Haß und den Zorn sämtlicher Diskursteilnehmer auf sich zieht. Was früher in den Protokollen allenfalls unter „einleitende Worte“ verbucht wurde, ist heute in Deutschland zur öffentlichen Mutprobe geworden.

Zu den Selbstverständlichkeiten zählt ja zweifellos, daß sich das politische Spektrum, wenn es überhaupt eines geben darf und soll, nicht in gut und böse aufteilen läßt. Es gibt die verschiedensten Optionen, rechte und linke, wobei die rechten immer ein gewisses Prä gehabt haben, denn sie waren die historisch originären, diejenigen, die den Gedanken des Gemeinwesens hochhielten, der „Polis“ (wovon sich ja Politik ableitet), während die Linken auf energische Veränderungen aus waren, manchmal sogar auf radikalen Umsturz und Zerstörung der Polis.

Nicht die rechte, sondern die linke Option hatte sich üblicherweise zu rechtfertigen. Denn die Rechten standen für Kontinuität, für behutsame Anpassung des Bestehenden an eventuell unabweisbare neue Konstellationen, auf jeden Fall für „organisches“ Verhalten und für Respekt vor Göttern, Gesetzen und Traditionen. Die Linken setzten dagegen auf Revolution, zumindest Totalreform, auf am Schreibtisch ausgedachte, abstrakte Prinzipien und mit schönen Verheißungen ausstaffierte Sozialutopien.

Beide Optionen sind legitim, erst in ihrem Zusammenspiel entfalten sich Politik, Debatte und Dezision. Beide können freilich in Polizeiregime, Geistes- und Straßenterror, Pöbelherrschaft und Gewaltexzeß umschlagen. Mustert man die Strecke des zwanzigsten Jahrhunderts, so muß man konstatieren, daß die Linke damals sehr viel öfter und folgenreicher entartet ist als die Rechte. Die mitten im Frieden jahrzehntelang aufgetürmten Leichenhalden im Sowjetreich, in China, Kambodscha und Jugoslawien überragen die von rechten Tyranneien um ein Vielfaches, und das gilt selbst dann, wenn man die zwölf Jahre nationalsozialistischer Diktatur in Deutschland unter „rechts“ abheftet.

War das Hitlerregime eine rechte Option? Man könnte eine Gegenrechnung zu Freya Klier aufmachen und die Frage verneinen. So mancher Historiker und übrigens auch viele Funktionsträger des NS-Regimes selbst haben auf die vielen ausgesprochen linken Komponenten der Bewegung hingewiesen, beispielsweise auf ihre revolutionäre Dynamik und „proletarische“, plebejische Rhetorik. Und festzuhalten bliebe auch, daß nennenswerter, aktiver innerer Widerstand nur aus rechten Kreisen kam, aus dem preußischen Offizierskorps und aus der katholischen Kirche.

Aber es geht im Falle Klier gar nicht um Rechnungen und Gegenrechnungen, nicht um Historikerstreit, sondern um aktuelle Politik. Seit der im vorigen Jahr von der Berliner Regierung mit ungeheurem Aplomb angezettelten „Kampagne gegen Rechts“ ist klar, daß es hierzulande gar kein herkömmliches politisches Spektrum aus linken und rechten Positionen mehr geben soll, daß die Rechten in toto kriminalisiert werden sollen. Die nationale Politik wird - neuerem internationalem Brauch folgend - gewissermaßen theologisiert, in schwarz und weiß, gut und böse aufgeteilt, und den Rechten ist die Rolle der Bösen zugedacht.

CDU und CSU setzen der Kampagne keinen Widerstand entgegen, heizen sie im Gegenteil noch zusätzlich an, kämmen ihre eigene angestammte Klientel auf „rechte Abweichler“ durch (man denke an die jüngste Beckstein-Kampagne gegen die Burschenschaften) und marschieren in Fackelzügen „gegen Rechts“ eifrig in vorderster Linie mit. Nicht einmal die neue weltpolitische Lage seit den Terroranschlägen in Amerika hat an diesem lemminghaften Verhalten der Berliner „Opposition“ etwas geändert.

Die Ausführungen Freya Kliers über den „rechten“ Robespierre und die „rechte“ DDR passen genau in diesen Lemmingzug hinein. Aber noch viele Personen und Ereignisse wären von ihr einzuordnen. Was ist mit George Bush jun., was mit Osama bin Laden? Wer von den beiden ist wirklich rechts? Und warum? Die moderne Politologie wartet auf Handreichung.


 
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