© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/01 23. November 2001


Lösungen mit den neuen Mitglieder finden
Interview: Die grüne EU-Parlamentarierin Mercedes Echerer über die EU-Erweiterung und das erweiterte Asylrecht
Jörg Fischer

Frau Echerer, kürzlich hat die Brüsseler EU-Kommission ihren Zwischenbericht zum Stand der EU-Erweiterung vorgelegt. Wie stehen Sie zur Osterweiterung?

Echerer: Die österreichischen Grünen wollen dieses historische Ereignis möglichst zügig voranbringen. Natürlich im Sinne der Kopenhagener Kriterien: Aber mit Übergangsfristen nur dort, wo es nötig ist.

Die Frage des tschechischen Atomkraftwerks Temelín oder des ungarischen in Paks ist demnach kein Beitrittshindernis?

Echerer: Nein, auf keinen Fall. Die Agitation der FPÖ gegen Temelín hat aber eine schwierige Situation geschaffen. Doch deren Vetodrohung ist nicht in unserem Sinne, das kann so nicht funktionieren. Wir haben erfolgreich dafür gekämpft, daß jeder Nationalstaat seine Energieversorgung selber entscheiden kann, sonst hätte man ja nach unserem EU-Beitritt auch bei uns ein Atomkraftwerk hinbauen können. Eine Lösung sollte nach der EU-Erweiterung zusammen mit den neuen Mitgliedsstaaten gefunden werden. Ausstiegshilfen sind notwendig, da das Kapital nicht vorhanden ist. Unser Ziel muß sein, daß es in der Union insgesamt keine Atomkraftwerke mehr gibt. Das ist unsere Überzeugung.

Sie sind Mitglied der Delegation im gemischten parlamentarischen Ausschuß EU-Ungarn. In Ungarn scheint nach den Parlamentswahlen im kommenden Jahr die rechte „Partei der Gerechtigkeit und des Lebens“ (MIÉP) von István Csurka zu einer Regierungsbildung nötig zu sein. In der Slowakei ist eine Rückkehr des rechtspopulistischen Ex-Premiers Vladímir Meciar möglich. Könnte die politische Situation in den Kandidatenländern ein Beitrittshindernis sein?

Echerer: Ich halte prinzipiell nichts von Boykottmaßnahmen. Über ungelegte Eier möchte ich nicht diskutieren. Man muß abwarten, was bei den Wahlen herauskommt.

Ein weiterer Konfliktpunkt ist die LKW-Lawine, die bei der Osterweiterung befürchtet wird. Seit der Grenzöffnung im Osten ist der CO2-Ausstoß in Österreich um 30 Prozent gestiegen. Wie soll die Transitfrage gelöst werden?

Echerer: Ich bin jetzt gut zwei Jahre hier im Europäischen Parlament und der festen Überzeugung, daß man die meisten dieser Probleme nur europäisch lösen kann und nicht bilateral. Wir können von den Beitrittskandidaten nicht verlangen, unsere Probleme zu lösen. Wir haben das Problem in ganz Europa und wir sollten uns in der EU möglichst rasch um die Wegekostenrichtlinie bemühen. Das ist ein ganz wichtiges Instrument, daß schnell verabschiedet werden und in Kraft treten kann. Wir fordern schon seit langem die unterschiedlichen Verkehrsmittel nach ihren tatsächlichen Kosten für die Gesellschaft zu bemessen. Kostenwahrheit und Anreize für umweltfreundlichere Transportmittel sind Forderungen, die auf europäischer Ebene zu stellen sind.

Viele Konfliktfelder lassen sich also nach einem Beitritt besser lösen?

Echerer: Die Kopenhagener Kriterien müssen erfüllt werden. Alles andere sollten wir gemeinsam lösen. Es wäre völlig falsch, den Beitrittskandidaten unnötige Lasten aufzubürden. Die Hoffnungen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs waren enorm. Inzwischen herrscht in der dortigen Bevölkerung großer Unmut, die Zustimmung zur EU nimmt ab.

Nach dem Terroranschlag in den USA hat sich eine große internationale Allianz zusammengefunden. Das „Netzwerk des Terrors“ soll auch mit militärischen Mitteln bekämpft werden. Die deutschen Grünen sind mehrheitlich für militärische Einsätze, die französischen und italienischen Grünen dagegen. Wie positionieren sich da die Grünen im neutralen Österreich?

Echerer: Ich bin da nicht ganz auf der Linie. Die österreichischen Grünen sind gegen militärische Einsätze. Auch ich finde, Gewalt gegen Gewalt erzeugt wieder nur Gewalt. In diesem Fall verstehe ich jedoch die Gründe, die zu diesem sogenannten erweiterten Polizeieinsatz mit militärischen Mitteln geführt haben. Die EU sollte aber den USA klarmachen, daß die schwerwiegenden Fehler, die die Amerikaner in ihrer Außenpolitik eingeschlossen ihrem Geheimdienst, gemacht haben, endlich korrigiert werden müssen. Aus österreichischer Sicht muß ich sagen: Wir sind ein neutrales Land und ich hoffe auch, daß wir das bleiben. Die Gruppe der neutralen Staaten in Europa kann einen wertvollen Beitrag zur gemeinsamen europäischen Außenpolitik leisten, denn sie können glaubwürdig die Rolle des Mediators in Konfliktsituationen einnehmen.

Überbevölkerung, Armut, soziale, politische und militärische Konflikte führen in zunehmendem Maße zu weltweiten Flüchtlings- und Wanderbewegungen - auch in die EU. Die europäische Asylpolitik steht daher vor neuen Herausforderungen. Der portugiesische EU-Kommissar Antonio Vitorino plädiert daher für eine offenere Einwanderungspolitik. Die Asylgründe sollen auch auf „nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung“ ausgeweitet werden, was zu einem Anstieg der Asylbewerberzahlen führen könnte. Hauptziel sind Deutschland, Frankreich und Großbritannien, aber auch Österreich. Zumeist konservative Politiker in den genannten Ländern warnen, man könne „nicht auf unserem Territorium die Probleme der ganzen Welt lösen“. Was entgegnen Sie?

Echerer: Das ist für mich ein hahnebüchenes Argument. Wenn man zu den zehn reichsten Ländern dieser Welt gehört hat man die Verpflichtung, die Probleme dieser Welt anzugehen - und zwar als erster! Die Ausweitung der Asylgründe begrüße ich natürlich sehr, vor allem im geschlechtsspezifischen Bereich. Bis jetzt galt es ja nicht als Asylgrund, wenn eine Frau aus Angst vor Beschneidung oder aus Angst vor einer Zwangsheirat flüchten wollte. Da muß es eine Lösung auf europäischer Ebene geben, zur Unterstützung für Asylanten und Flüchtlinge muß der EU-Fonds greifen. Das können wir nicht einfach den einzelnen Ländern überlassen.

Im aktuellen „Kampf gegen den Terror“ steht aber auch das Asylrecht auf dem Prüfstand. Wie wollen Sie verhindern, das mit den Asylbewerbern auch Terroristen und ihre Helfer in die EU kommen?

Echerer: Mißbrauch gibt es immer und überall auf dieser Welt. In allen Bereichen. Das kann man nicht verhindern. Im Zweifel immer für den Angeklagten - 100prozentige Sicherheit gibt es nicht. Benjamin Franklin hat schon gesagt: Wenn man versucht Freiheit gegen Sicherheit einzutauschen, wird man am Ende beides verlieren. 

 

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