© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/01 23. November 2001 |
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LOCKERUNGSÜBUNGEN Cui bono? Karl Heinzen Mit seinem Elfmetertor am vergangenen Samstag hat Viktor Skripnik nicht nur allen Menschen, die jemals vom FC Bayern München gedemütigt wurden, für einen kurzen Augenblick Genugtuung verschafft, sondern, wie schon bei seinem mehr als unterdurchschnittlichen Auftritt im Trikot der ukrainischen Nationalmannschaft nur wenige Tage zuvor, der ökonomischen Vernunft ein Gesicht gegeben. Das 1:0 des SV Werder Bremen kam gerade noch zum rechten Zeitpunkt, um den Fußballkonsumenten wenigstens vorübergehend den Eindruck zu vermitteln, der deutsche Marktführer sei verwundbar. Immer wieder im Verlauf einer Saison kann so etwas nötig sein, um das Zuschauerinteresse, das die Voraussetzung aller Einnahmen ist, wachzuhalten. Je größer die Spannung ist, die suggeriert werden kann, desto günstiger stellt sich im Durchschnitt auch für den Rekordmeister die Ertragslage dar, selbst wenn er in irgendeinem Herzschlagfinale dann doch einmal nicht die Nase vorn haben sollte. Sogar vitale Interessen der Unterhaltungsbranche berührt hingegen das 4:1 des letzten, gerade einmal in Reisebus-Stärke verfügbaren Aufgebotes deutscher Staatsbürger männlichen Geschlechts im Alter zwischen 18 und 35 Jahren, die noch den Ball mit der Brust stoppen können, gegen eine ukrainische Auswahl, die, wenn es nicht um so viel gegangen wäre, Katz und Maus mit ihrem doch sonst zu jeder Niederlage fähigen Gegner hätten spielen müssen. An diesem Abend aber gab es zu einem Ergebnis dieser Art keine vernünftige Alternative. Die Ukraine ist ja sicher ein irgendwie auch ganz nettes Land und als ein Markt der Zukunft, sofern diese nicht weiterhin vertagt wird, dereinst vielleicht sogar ökonomisch interessant. Heute ist sie dies nicht. Das Erscheinen ihrer Nationalmannschaft auf dem ostasiatischen Schauplatz im kommenden Jahr hätte ungleich niedrigeren finanziellen Nutzen gestiftet als man nun von jenem der DFB-Auswahl, wie erbärmlich ihre Leistung dann letztlich auch sein wird, erhoffen darf. Diesen Nutzen kann nun insbesondere Leo Kirch ziehen, und er dürfte durch die Ereignisse im Westfalenstadion nicht allein vor Problemen bewahrt, sondern auch für seine Verhandlungen über angestrebte Partnerschaften gestärkt worden sein. Ein kleines Dankeschön an den ukrainischen Fußball für sein kooperatives Versagen wäre da schon angebracht. Es sollte möglich sein, aus der WM-Qualifikation zu lernen. Der Fußball kann auch als Spiel nicht bestehen, wenn seine ökonomische Existenzgrundlage durch zu viele undurchdachte Resultate unterminiert wird. Im Dialog mit allen Verantwortlichen der an einer Partie oder gar an einem Turnier Beteiligten sollte das rechte Maß zwischen dramaturgisch unabdingbaren Außenseitererfolgen und dem Kaufkraftargument der großen Fußballnationen gefunden werden. Im Konsens über die Ergebnisse ließen sich vielleicht auch die Spielverläufe wieder attraktiver gestalten. Vor allem aber wäre die Krise des deutschen Fußballs überwunden. |