© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/01 23. November 2001


Geopolitik
Die Hölle auf Erden
Wolfgang Müller

In Springers Welt ist der Historiker Michael Stürmer für geopolitische al fresco-Entwürfe zuständig, die sich lesen, als hätte der Weltgeist persönlich den Herrn Professor erkoren, um uns in seine tiefsten Geheimnisse einzuweihen. Umso erstaunlicher ist es dann, wenn Stürmer nach dem Fall Kabuls nebulös resümierte, die USA hätten „in die Hölle geblickt“. Was soll das heißen? Steht Hölle hier nur als Inbegriff von Terror und Krieg, die mit der Vertreibung der Taliban vielleicht enden? Oder meint Hölle mehr als ein solches Bündel temporärer Unannehmlichkeiten, nämlich permanente Qual, ausgemalt im schaurigen Bild vom Ort ewigen Schreckens? Dann hätten die vergangenen Wochen den USA nahe gebracht, was sie im Urteil vieler Globalisierungskritiker mit einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung ihrem Opfer alltäglich bescheren: die Hölle auf Erden. Die plötzliche Begleichung der UN-Schulden, moderate Töne beim Klima-Gipfel in Marakesh und während WTO-Konferenz in Khabar, verrieten immerhin Washingtoner Sensibilität für den Kontext der Afghanistan-Operation.

Daß die Berliner Polit-Elite diesen Zusammenhang ausblendete und lieber für einen isolierten „Krieg gegen den Terror“ trommelte, überraschte nicht. Ebenso wenig das lange Schweigen linksliberaler Medien. Die FAZ zog sich aus der Affäre, indem sie US-Globalisierungskritik von Ausländern wie Susan Sonntag, Arundhati Roy oder Gore Vidal besorgen ließ. Wer dagegen von Anfang an auf den Konnex zwischen Globalisierung, Interventionismus und Terror aufmerksam machte, wurde „anti-amerikanischer Reflexe“ - so das Hamburger Wochenblatt Die Zeit zum JF-Interview mit Arundhati Roy - geziehen. Acht Wochen benötigte der Stern bevor Heinrich Jaenicke die US-Interventionen geostrategisch einbettete, „dunkle Motivation und verborgene Ziele“ nannte: Es sei ein „Feldzug zur Wiederherstellung der westlichen Hegemonie“, zur Absicherung der US-Interessen am Öl des kaspischen Meeres. Noch grundsätzlicher argumentierte jetzt Oliver Fahrni in der Woche: Eine Gruppe exterritorialer Konzerne, „in der Mehrzahl vom amerikanischen Kapital beherrscht“, teile im Zeichen der Globalisierung die Welt neu auf. Im Prozeß der „Deregulierung“ würden seit 1975 nationalstaatliche Reservate aller Art abgebaut. Heute zeige sich die neue Weltkarte mit Wohlstandinseln, um die sich bevölkerungsstarke Nationen als Absatzmärkte und Arbeitskraftreservoire gruppieren, während sich in den ausgepowerten Regionen Lateinamerika, Afrikas und Asiens die „Revolte gegen den Norden“ vorbereite.

Die kriegerischen Interventionen der USA weisen darum nur voraus auf anstehende globale Verteilungskämpfe, die den Planeten nach dem Modell des Kongo umgestalten, wo heute exterritoriale Konzerne einen ethnisch und religiös aufgeladenen Bürgerkrieg finanzieren, um ihre Hand auf Öl, Uran oder Diamanten legen zu können. Ungeachtet der weiteren Entwicklung Afghanistans sind dies die wahrhaft höllischen Perspektiven, die man in Berlin endlich „uneingeschränkt“ wahrnehmen sollte.


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