© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/01 16. November 2001

 
Der Terror und die Folgen: Unter der Erde wird weitergefeiert
Bunkerparty ohne Ende
Eva-Maria Storch

Wann kracht’s denn nun endlich? Kriege werden langweilig, wenn die Fernsehbilder ausgehen. Passieren tut jetzt ohnehin nix mehr. Spezialeinheiten hin, Bean Laden her: ganz so einfach wird es wohl kaum gehen. Die Nato sollte sich auf einen langen Winter vorbereiten - vielleicht sogar auf einen atomaren.

Das meint zumindest Friedhelm und ist entsprechend beschäftigt. Er will nicht abwarten, sondern sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Kaliumjodid und Valium hortet er schon seit geraumer Zeit. Das erste Präparat verhindert die Einlagerung von radioaktivem Jod 131, das zweite bewahrt vor dem Durchdrehen. Ebenso wie Ciprobay (ein Antibiotika-Hammer) sind diese Medikamente nirgends mehr zu haben. Ausverkaufte Apotheken nach dem Pharma-Kaufrausch. Auf Friedhelms Einkaufszettel stehen noch andere Kleinodien: Eine ABC-Schutzmaske bestellte er bei „TOTAL-Sicherheit“ in Ladenburg; wo man geruchsneutralisierende Lösungen für Bautoiletten bekommt, hat er über die Leitseite von www.toitoi.de  erfahren. Ein Geigerzähler gehört seit Tschernobyl zum familiären Inventar.

Wertvolle Dienste leistete heuer auch die Broschüre „Für den Notfall vorgesorgt“ samt „Checkliste - Prüfen Sie ihren Vorrat vom Bundesamt für Zivilschutz“, welches zwar im Rahmen des Haushaltssanierungsgesetzes vom 22. Dezember 1999 aufgelöst wurde, seit dem 5. Oktober 2001 aber wieder unter der Fernsprech-Nummer 0 18 88 / 35 80 zu erreichen ist. Ein schmuckes Logo haben die auch: blaues Dreieck auf orangenem Kreis. Da kann ja nichts mehr schief gehen.

Zufrieden streicht Friedhelm über eines der Fünfer-Stock-Betten, die bis vor wenigen Wochen noch alle (un)möglichen Sperrmüllsouveniers beherbergten. Ende September hat er tabula rasa gemacht: Mit Ausnahme der Blumenkästen schmiß er den ganzen Krempel aus den improvisierten Regalen und führte den Bunker wieder seinem eigentlichen Zweck zu. Ein Relikt der achtziger Jahre, für das er jetzt dankbar ist. Seinerzeit gab es noch Zuschüsse.Kalter Krieg und so - das war noch was. Seine Übungen in der CS-Gas-Kammer der Bundeswehr wollte Friedhelm jetzt nicht missen: Liegestütze mit Poncho und ABC-Maske samt Filtertausch und Firlefanz. Allein das Jucken beim Dekontaminieren war immer so lästig.

Noch während Friedhelm in Erinnerungen schwelgt, geht plötzlich die Sirene los. ABC-Alarm! Davor hatte er als Kind immer Angst. Rasch ein Blick in die Unterlagen des Bundesamtes für Zivilschutz: „Bleiben Sie im Gebäude - nehmen Sie gefährdete Personen vorübergehend auf - informieren Sie andere Hausbewohner.“ Trotz Panik versucht sich Friedhelm ordungsgemäß an die Vorschriften zu halten. Durchs geschlossene Fenster winkt er Passanten zu und will ihnen mit Gesten begreiflich machen, daß sie bei ihm geborgen sind. Beim Nachbarn hat er mehr Erfolg

Bald sitzen beide Familien im Schutzraum. Die Türen sind verriegelt. Draußen klopft jemand und winselt, man möge ihn einlassen. Zu spät. Das geht unter die Haut. Unschlüssig schauen sich die Insassen an. Wie um den Bann zu brechen, besteigt Friedhelm den umgebauten Hometrainer. Nebenbei bemerkt er, er wolle die Frischluftzufuhr sicherstellen. Andere Bunker haben lediglich eine Handkurbel vorgesehen, bei der einem bald die Lust vergeht, wenn nicht schon vorher der Arm erlahmt. Friedhelm & Co. wird das Radeln zum Zeitvertreib. Man erfindet Wettbewerbe, um sich gegenseitig anzuspornen. Aber die Motivation hält nicht lange vor. Dann wird Skat gezockt. Schließlich lesen die Erwachsenen aus Kinderbüchern vor, denn den Kleinen ist es freilich auch langweilig. Endlich spendiert Friedhelm eine Runde Rotwein. Er will schlafen. Die anderen auch. Es ist unerträglich schwül, die Pritschen sind unbequem. Erst stöhnt einer hier, dann ein Seufzer dort. „Mama, ich will raus!“ Obgleich todmüde, besteigt der Nachbar den Hometrainer und bringt etwas Frischluft in die Bude. Dies belebt die Stimmung. Von Müdigkeit übermannt träumt Friedhelm von einer strahlenden Zukunft.

Windows XP wird er nicht mehr erleben. Das neue Betriebssystem von Microsoft wurde eben erst mit dem Lied „Ray of light“ von Madonna eingeführt. Paßt irgendwie - ist aber auch egal, denn Friedhelm ist ohnehin eingeschworener Mac OSX-Benutzer. Daß er allerdings nie einen iPad von Apple in der Hand halten konnte (ein MP3 Player samt Feuerdraht für 1000 Songs in der Hosentasche), wird er nicht so leicht verschmerzen. Hier im Bunker bekommen die Dinge ohnehin eine andere Priorität. Vielleicht sollte er ein Kochbuch schreiben: „Kulinarische Genüsse aus dem EPA“. Als Mitte der neunziger Jahre zahlreiche Vorratslager des Zivilschutzes geräumt wurden, hatte Friedhelm voll zugelangt. Hackfleisch-Risiko, Panzer-Kekse, Pulvergetränke, Brot in Dosen. Schmecker lecker. Alles ist vorhanden - nur kein Hustensaft. Immer wieder wacht Friedhelm auf, weil sein Hals kitzelt. Die anderen gucken schon doof. Auf Mehrheitsbeschluß wird Friedhelm in die Eingangsschleuse verbannt - schließlich könnte es Milzbrand sein. Dort sitzt er nun im Dunkeln auf einer üppigen Kiste an Vorräten. Mit der Taschenlampe wirft er neckische Schattenbilder an die Wand. Von oben hört er merkwürdige Geräusche: Wird seine Wohnung geplündert? Hat man schon seine Briefmarkensammlung entdeckt? Friedhelm versucht gelassen zu bleiben. Er hätte sich lieber rechtzeitig einfrieren lassen sollen. Was ist das für eine Welt, die dort draußen auf ihn wartet? Wenn er jetzt rausgeht, kippt er sicher sofort tot aus der Hose. Also noch einige Tage warten und eventuelle Plünderer vergessen.

Friedhelm kratzt sich am Kopf: Sind das Schuppen oder Anthrax-Pulver? Niemand kann sich mehr seines Lebens sicher sein. Moment. Zwischen seinem Bücher-Vorrat entdeckt er eine Bibel und schlägt prompt Psalm 91 auf: „Du brauchst Dich nicht vor der Pest zu fürchten, die im Finstern schleicht, nicht vor der Seuche, die wütet am Mittag. Ob Tausend fallen zu deiner Seite und Zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen“. Friedhelm erinnert sich, daß im Trümmerfeld um das World Trade Center einzig und allein die St. Paul Kirche stehen geblieben war. Unbeschadet inmitten des Schutts. Sein eigenes Schicksal hat er jedenfalls nicht in der Hand - auch nicht im Bunker.


 
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