© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/01 16. November 2001

 
Von Walküre zu Radetzky
Der Soldat Szokoll
Matthias Bäkermann

Er jubelte nicht, nicht beim Eintritt in die österreichische Armee 1934, welcher einer künstlerischen Karriere den Weg verstellte, schon gar nicht beim „erneuten Schwur“ auf seinen neuen Befehlshaber Hitler, auch nicht bei den jubilierenden Fanfarenklängen der Lisztschen Preludien nach immer neuen Siegesmeldungen vom „Kreuzzug gegen den Bolschewismus“. Carl Szokoll, 1938 zum Offizier befördert, macht den Polen- und den Frankreichfeldzug mit. Eine Verwundung durch einen Anschlag der Résistance verschlägt ihn nach seiner Genesung in die „Etappe“ zurück nach Wien. Als Ordonanzoffizier im Generalkommando XVII kommt er in Kontakt mit dem nach schwerer Verwundung ebenfalls „Garnisonsverwendungsfähig-Heimat“-arbeitenden Oberst Graf Stauffenberg. Szokoll wird schnell Mitwisser der „Operation Walküre“ am 20. Juli 1944, bei der er als einer der Organisatoren Wien mehrere Stunden unter der Kontrolle des Widerstandes halten kann. Sein Tun bleibt unentdeckt, so daß er statt einer erwarteten Hinrichtung die Beförderung zum Major erhält.

Interessant aber umstritten ist Szokolls weitere Entwicklung. In seiner Rolle als zweiter Generalstabsoffizier im Festungsbereich Wien versucht Szokoll, nach dem Zusammenbruch an allen Fronten, ein verlustreiches Halten der Festung und einen sinnlosen Kampf um Wien zu verhindern (Operation Radetzky). Allerdings reiht sich die Art und Weise seiner folgenden Handlungen kaum in die Absichten des 20. Juli ein. Die offene Zusammenarbeit mit der Roten Armee zum Nachteil der noch kämpfenden Wehrmacht könnte den Eindruck des Verrats erwecken, bestärkt durch die Begründung, mit diesem Schritt nicht dem Wohl des Vaterlandes und seiner Menschen zu dienen, sondern „Wien von den Deutschen zu befreien“, was der Mär von der Opferrolle Österreichs neue Nahrung gibt.

Störend sind Szokolls ständige Anreicherungen seiner ohnedies interessanten Erlebnisse mit Bewertungen aus unserer Gegenwart. Dabei wird die Trennung seiner heutigen mit der damaligen Auffassung unnötig erschwert. Matthias Bäkermann

Carl Szokoll: Die Rettung Wiens 1945. MoldenVerlag, Wien 2001, 416 Seiten, geb., 54,50 Mark


 
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