© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/01 16. November 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Rechtzeitiger Rückzug
Carl Gustaf Ströhm

Im wilhelminischen Kaiserreich frönte man - ebenso wie in der Habsburger Monarchie - einer Unsitte, die später sehr negative Folgen zeitigen sollte: Staatsdiener, die in Berlin bzw. Wien „aneckten“, wurden im deutschen Fall in den hintersten Winkel der seinerzeitigen Ostgebiete, und bei k.u.k. möglichst auf den Balkan versetzt, wo Füchse und Hasen einander ‚Gute Nacht‘ sagten. Es scheint, als habe sich diese schlechte Gewohnheit bis heute erhalten - diesmal im Zeichen der EU.

Kürzlich haben zwei prominente Sozialdemokraten, von denen mindestens einer, wenn nicht beide, auf einen „hohen Posten“ strafversetzt oder abgeschoben wurden, das bevorstehende Ende ihrer „Balkankarrieren“ angekündigt: Einmal Wolfgang Petritsch, der in wenigen Monaten seinen „Thron“ als „Hoher Repräsentant“ für Bosnien- Herzegowina räumen muß, um sich mit dem relativ machtlosen Posten eines österreichischen Botschafters bei den UN-Organisationen in Genf zu begnügen.

Desweiteren gab Bodo Hombach, der bisherige UN-Bevollmächtigte für den Balkan- Stabilitätspakt, bekannt, nicht nur aus dem Balkan, sondern aus der Politik überhaupt auszuscheiden, weil er einen Schlüsselposten in der Privatwirtschaft anvisiere.

Ganz so „privat“ ist seine neue Karriere aber auch nicht: Der SPD-Politiker wird im Vorstand des Medienkonzerns WAZ (Westdeutsche Allgemeine) agieren, um ihn noch stärker auf SPD-Linie zu trimmen. Der SPÖ-Funktionär Petritsch begann seine Laufbahn im Kabinett des damaligen Wiener Kanzlers Bruno Kreisky. Hombach war erster Kanzleramtsminister von Gerhard Schröder. Doch bereits nach kurzer Zeit mußte er die Machtzentrale verlassen, um auf den Balkan zu verschwinden. Es hieß, gewisse Unregelmäßigkeiten bei seinem Hausbau hätten es Schröder unmöglich gemacht, ihn zu halten. Für den Balkan, von dem er nun keinerlei Ahnung hatte, war er gut genug. Er „koordinierte“ fleißig die nicht vorhandene balkanische Stabilität, verteilte (oder verweigerte) EU-Gelder.

Sowohl Petritsch wie Hombach waren nicht die ersten, die der Illusion erlagen, man könne sich auf dem Balkan inmitten der „wilden Völkerscharen“ billig jenen Ruhm erwerben, der im heimatlichen Westen nur schwer zu haben ist.

Der Österreicher setzte in Sarajevo in erster Linie auf die antinationalen Wende-Kommunisten, die sich nun Sozialdemokraten nannten. Überdies war er eher geneigt den bosnischen Moslems und selbst den Serben entgegenzukommen, als den „westlichen“, katholischen Kroaten. Mit diesen führte er fragwürdige „Balgereien“, ließ Bankgebäude durch SFOR-Truppen stürmen und frei gewählte Abgeordnete und Parteichefs als „Nationalisten“ und „Saboteure“ des Dayton-Abkommens absetzen. Wie kein anderer hat Petritsch den Westen in den Ruf gebracht, in Bosnien eine Art Kolonialregime zu unterhalten.

Auch Hombach, der nach außen weniger hervortrat, besaß für Kernprobleme dieses Raums kein Gespür: etwa für die nationale Frage und die Identität der dort lebenden Völker. Spätestens seit dem 11. September war klar, daß die antinationale „Multi-Kulti-Linie“ gescheitert war. Weder für den Deutschen noch für den Österreicher war hier Ruhm zu gewinnen. Deshalb zogen sie die Notbremse: um auszusteigen, bevor der Zug auf die unvermeidliche Mine fährt. Wenn das Kartenhaus westlicher Balkanpolitik zusammenbrechen sollte, können beide getrost sagen: Wir sind es nicht gewesen. „Wer rechtzeitig flüchtet, wird nicht unter den Trümmern begraben, die er selbst lostgetreten hat.“


 
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