© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/01 16. November 2001


Südtirol erstmals in der Verfassung
Interview: Der Südtiroler Landtagsabgeordnete Pius Leitner über die Regionalisierung Italiens und die Folgen für seine Heimat
Beatrix Madl

Herr Leitner, kürzlich haben die Südtiroler in einem Referendum mit 85,6 Prozent einer Änderung der italienischen Verfassung zugestimmt.Was bedeutet diese Verfassungsänderung für Ihr Heimatland?

Leitner: Die jüngste Verfassungsänderung bedeutet einen zaghaften Schritt in Richtung mehr Föderalismus. Deshalb haben wir Freiheitlichen das Referendum auch unterstützt. Daß der Name Südtirol erstmals in der Verfassung erscheint, ist vor allem psychologisch nicht unbedeutend, de facto war er bereits durch das Autonomiestatut, welches den Rang eines Verfassungsgesetzes hat, verankert. Unser ‚Ja‘ zu dieser Reform beinhaltet aber auch Vorbehalte. Zum einen wurde die Region Trentino-Südtirol nicht abgeschafft und eine Reihe von Bereichen bleibt im ausschließlichen Zuständigkeitsbereich des Staates, wie etwa die Einwanderungsfrage und die Sicherheitspolitik. Positiv ist die Abschaffung des Regierungskommissariates, das wir als Wachhund des Staates sehen, und die Abschaffung des römischen Sichtvermerkes für Landesgesetze. Es bleibt zu hoffen, daß man nicht „all’italiana“ auf halbem Wege stecken bleibt.

Was hat es mit dem Regierungskommissariat und den Sichtvermerken auf sich?

Leitner: Das bedeutet, daß die vom Südtiroler Landtag beschlossenen Gesetze nicht mehr über das Regierungskommissariat an die römische Regierung zur Überprüfung weitergeleitet werden müssen, sondern daß sie nach der Unterschrift durch den Landeshauptmann direkt in Kraft treten. Allerdings kann jedes Gesetz nach wie vor beim Verfassungsgerichtshof angefochten werden. Das Regierungskommissariat kann man mit den aus Frankreich bekannten Präfekturen vergleichen. Der Zentralstaat hält sich in jeder Region eine Außenstelle. Weiterhin koordiniert es in Südtirol einige Bereiche, wie etwa die Asylpolitik.

Die seit 1948 regierende Südtiroler Volkspartei (SVP) trat bei den Wahlen mit dem Linksbündnis „Ulivo“ gemeinsam an. Doch in Rom regiert jetzt Silvio Berlusconi, der eine Verfassungsreform ablehnte. Wie macht sich das in Südtirol bemerkbar?

Leitner: Ich habe vorausgesagt, daß die SVP nach den Wahlen auf jeden Fall bei den Siegern zu finden sein wird. Den anfänglichen Schnupperkontakten folgten biedere Annäherungsversuche, dann mehr oder wenige offene Angebote bis hin zur Unterstützung der von der Regierung vorgeschlagenen Vorsitzenden der Autonomiekommissionen. Sicher, die Ankündigung vom neuen Sicherheitsminister Franco Frattini (Forza Italia), die Autonomie einzuschränken, hat in Südtirol für Aufsehen gesorgt - und der SVP genützt. Der Wahlkampf ist eine Sache, die Alltagspolitik eine andere. Die Autonomie ist sicherlich nicht in Gefahr und die neue Regierung hat mehrmals erklärt, die Errungenschaften der Autonomie nicht anzutasten. Man darf nicht vergessen, daß auch die Alleanza Nazionale (AN) den ethnischen Proporz verteidigt, weil er immer mehr auch die italienische Volksgruppe schützt.

Wie gestaltet sich denn das Verhältnis der drei Sprachgruppen Südtirols?

Leitner: Der Umgang der drei Sprachgruppen in Südtirol kann durchweg als normal und friedlich bezeichnet werden. Probleme gibt es aber dort, wo versucht wird, die jeweilige Eigenständigkeit aufs Spiel zu setzen. Dies gilt beispielsweise für die Versuche, das muttersprachliche Prinzip an den Schulen auszuhebeln. Bisher ist es gelungen, die gemischtsprachige Schule zu verhindern. Hierin haben wir Freiheitlichen immer wieder Anträge im Landtag eingereicht, die auch die Zustimmung der SVP gefunden haben. Im täglichen Leben sehe ich kaum Probleme. Solche sind eher im Zusammenhang mit der in den letzten Jahren vehement angewachsenen Einwanderung zu erwarten. Die Anträge der Freiheitlichen für eine geordnete und zumutbare Einwanderungspolitik wurden lange Zeit belächelt, abgelehnt und zerredet. Seit kurzem kommt aber auch Rom nicht mehr um Maßnahmen herum. Die Einwanderungsfrage könnte dazu beitragen, die drei Volksgruppen im Lande näher zusammenzuführen.

Eine neue Volkszählung steht bevor.Was sagen Sie denen, die sich weigern, eine bestimmte Zugehörigkeit anzugeben?

Leitner: Eine nationale Minderheit existiert nur dann und kann nur dann geschützt werden, wenn eine entsprechende Anzahl sich dazu bekennt und damit den Schutz beansprucht. Nachdem in Südtirol die öffentlichen Stellen, die Gelder für den sozialen Wohnungsbau und weiteres aufgrund der Stärke der Sprachgruppen vergeben werden, ist eine Zugehörigkeitserklärung notwendig. Das ist eine der Voraussetzungen für die Beseitigung faschistischen Unrechts und für das friedliche Auskommen miteinander. In diesem Zusammenhang von ethnischen Käfigen zu sprechen, wie es etwa die interethnischen Grünen tun, finde ich geradezu politisch pervers. Für die Südtiroler ist es in der Regel ein Ausdruck des Stolzes, sich zur eigenen Volks- oder Sprachgruppe zu bekennen. Es ist wohl auch klar, daß ich die Zugehörigkeit nicht beliebig ändern kann, nur um eventuell Vorteile zu haben. Die Versuche der Sprachgruppenverweigerer zielen letztendlich darauf ab, den ethnischen Proporz aus den Angeln zu heben und den Minderheitenschutz zu begraben. Da machen wir natürlich nicht mit.

Welche Probleme zieht die neue Einwanderung speziell in Südtirol nach sich?

Leitner: Auf eine Landtagsanfrage meinerseits hat die Schullandesrätin erklärt, daß an Südtirols Schulen 53 verschiedene Nationalitäten lernen. Die erste Einwanderungswelle in den achtziger Jahren kam aus Nordafrika, dann aus dem Balkan und mittlerweile aus aller Herren Länder. Die Einwanderung spielt in Südtirol deshalb eine besondere Rolle, weil das Autonomiegefüge auf die drei im Lande lebenden Volksgruppen ausgerichtet ist. Da Südtirol Vollbeschäftigung hat und immer öfter Arbeitskräfte von außen anwirbt, entstehen neue Probleme. Das wird ein Thema sein, das wir am 17. November auf unserem Parteitag diskutieren. 

 

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