© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/01 16. November 2001

 
Die Töne werden schärfer
Zuwanderung: Der „Anti-Terrorkrieg“ und der nahende Bundestagswahlkampf heizen die Debatte an
Alexander Barti

Um das Thema Zuwanderung ist in den letzten Tagen und Wochen ein heftiger Streit entbrannt, der mit immer härteren Bandagen ausgefochten wird. Motiv für das wortreiche Gerangel dürfte nicht nur der „Krieg gegen den Terror“ sein, sondern in zunehmendem Maße auch die geschwind herannahende Bundestagswahl 2002. Mit dem Erfolg der Schill-Partei in Hamburg und der beschlossenen Ausdehnung auf andere Bundesländer sowie den für die Union beängstigenden Umfrageergebnissen ist ein weiterer Faktor ins Spiel gekommen, der CDU/CSU Politiker wieder auf die konservative Linie zu bringen scheint. Das ist zumindest der Eindruck, wenn man die hitzige Debatte um das geplante Zuwanderungsgesetz und die Innere Sicherheit verfolgt.

Entgegen den Hoffnungen von Rot-Grün will die CSU die Einwanderung zum Wahlkampfthema machen. Im niederbayerischen Pocking sagte Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), daß das Thema die Menschen auch im Wahlkampf interessieren werde. Er kritisierte außerdem das geplante Einwanderungsgesetz, weil es zahlreiche Anreize für eine zusätzliche ungesteuerte Zuwanderung biete. Auf die Kommunen kämen dadurch immense Integrations-Kosten zu. Natürlich müsse man die Diskussion „ruhig und sachlich“ führen, beeilte sich Stoiber die Leidenschaften zu dämpfen.

Der CDU-Politiker Christian Wulff sieht angesichts der Flaute auf dem Arbeitsmarkt und den fast vier Millionen Arbeitslosen keinen weiteren Spielraum für Zuwanderung. Ein Mehr an Zuwanderung werde die Probleme nicht lösen, sagte Wulff der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Damit legte sich der niedersächsische CDU-Politiker auch mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) an, der die Union davor gewarnt hatte, die Pläne der rot-grünen Regierung zu durchkreuzen. Auf die Forderung der Industrie angesprochen, stellte Wulff klar, daß der BDI nicht der richtige Ratgeber in Fragen der Zuwanderung sei, da der Verband als Wirtschaftsführer dafür sorgen müsse, daß es genügend billige Arbeitskräfte gäbe.

Das Volk will schon lange keine Zuwanderung mehr

Auf die kulturellen Probleme einer weiteren Zuwanderung wies die CDU-Politikerin Sylvia Bonitz in einem bemerkenswerten Beitrag im Focus hin. Dort klagte die 35jährige, die im Innenausschuß des Bundestages sitzt, daß jemand, der „unser Gastrecht mißbraucht und kriminell wird, deswegen noch längst nicht Gefahr läuft, Deutschland verlassen zu müssen“. Zudem habe „die Bevölkerung schon lange kein Verständnis mehr dafür, daß integrationsunwillige Ausländer trotz zum Teil massiver Rechtsverstöße hier bleiben dürfen. Wer jedoch in Deutschland derartige Mißstände offen beim Namen nennt, läuft Gefahr, sogleich in die Rechtsaußen-Schmuddelecke gestellt zu werden. Die vermeintliche Political Correctness fordert immer noch ein romantisierendes Verkleistern von Integrationsdefiziten und kulturellen Unterschieden.“ Sogar der Spiegel griff die Debatte an einem heiklen Punkt auf und berichtete unverblümt über deutsch-islamische Heiratsfälle, die für Frauen „die Hölle sein“ könne. Durch die Heirat mit einer deutschen Frau seien die Vorteile offenkundig: „Arbeitserlaubnis, unbegrenztes Bleiberecht nach zwei Jahren Ehe und die Möglichkeit, einen deutschen Paß zu beantragen, mit dem es sich problemlos reisen läßt. Die Frauen freilich geraten oft in moderne Sklaverei.“ Ist ein Kind aus der Ehe hervorgegangen, wird der Ausweisungsschutz noch verstärkt. Man befürchtet, so der Spiegel weiter, „daß viele westliche Ehefrauen islamischer Extremisten gegen ihren Willen in Afghanistan, im Sudan oder in Ägypten festgehalten werden“.

Bei der Debatte um Zuwanderung und Innere Sicherheit ging Erwin Marschewski, Sprecher der CDU im Bundestag, im Deutschlandradio präziser auf die eigentliche Problematik der geplanten Regelungen ein. Er verwies auf Paragraph 53 des Ausländergesetzes, der eine Abschiebung, auch von überführten Terroristen verbietet, „wenn die Gefahr besteht, daß der Terrorist im Ausland erniedrigend und unmenschlich behandelt wird“. Diese Regelung sei, so Marschewski, „Ausfluß der europäischen Menschenrechtskonvention und auch mehr oder weniger der UN-Folterkonvention“. Die Forderung des CSU-Chefs und Juristen Edmund Stoiber, die mehr als 30.000 Extremisten müsse man ausweisen, entpuppt sich damit indirekt als unseriöses Wahlkampfgedöns.

Auf die Frage, was man denn machen könne, wenn eine Abschiebung juristisch nicht durchsetzbar sei, antwortete Marschewski, man müsse „darüber nachdenken, diese Leute in Einrichtungen zu bringen, in denen sie eben nicht ihr schmutziges Handwerk weiter ausüben können“. Auf die irritierte Frage des Reporters, was denn unter den „Einrichtungen“ zu verstehen sei, präzisiert Marschewski, er meine „gefängnisähnliche Einrichtungen oder Kasernen“. Ähnliche Überlegungen, so Marschewski weiter, würde man auch in England anstellen, zum Beispiel durch den britischen Innenminister Blunkett.

Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) erklärte bereits am 5. November, Bayern plane die Schaffung zentraler Ausreiseeinrichtungen. Darin sollen illegal Eingereiste bzw. Personen mit ungeklärter Identität bis zur Ausreise wohnen und auch den Vernehmungen durch die Ausländerbehörden zur Verfügung stehen. Am 9. November sprach der evangelische Beckstein vor der Herbstvollversammlung des Landeskomitees der Katholiken in Bayern über die „fatalen Folgen für den Inneren Frieden in Deutschland“, wenn die Zuwanderung fortgesetzt werde.

Wieviel Unterschiedlichkeit kann ein Land vertragen?

Ähnlich wie Sylvia Bonitz warnte der bayerische Innenminister bei der Veranstaltung in Nördlingen vor falschen Illusionen: „Viele wollten und wollen wesentliche Unterschiede und manche Unvereinbarkeit nicht sehen, die Unterschiede im Menschenbild, in zentralen Werten wie der Stellung des Individuums oder der Frauen in Staat und Gesellschaft.“ Beckstein rief die Deutschen auf, „schärfer und selbstbewußter“ zu fragen, wieviel Unterschiedlichkeit ein Land vertrage und wieviel Gemeinsamkeit vorhanden sein müsse, damit die Bindungskraft nicht verloren gehe. „Multikulturelle Beliebigkeit, in der die verschiedenen Kulturen in Paralellgesellschaften nebeneinander leben ist kein Modell der Zukunft“, erklärte der CSU-Politiker, auch im Hinblick auf die Pläne zur Zuwanderung der rot-grünen Bundesregierung. Im übrigen erwartet Beckstein auch von den geplanten Integrationskursen nicht die Lösung der Probleme, da es sich nur um einen „Mosaikstein“ der Integration handeln könne. Auch der späte Nachzug von Jugendlichen, etwa im Alter von 18 Jahren, sei für die Integration „keineswegs förderlich“, da der Einstieg in eine Berufsausbildung eher unwahrscheinlich sei.

Ähnlich scharf formulierte der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann seine Kritik an Schily und Schröder. Er nannte das im Rot-Grünen Entwurf zur Zuwanderung neu eingeführte Merkmal „geschlechtsspezifischer Verfolgung“ ein „potentielles Einfallstor für die Masseneinwanderung muslimischer Frauen“, da die Benachteiligung der Frau im Islam systemimmanent angelegt sei. Hohmann forderte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) auf, den „beschönigenden Schleiertanz“ zu beenden, denn es ginge in der aktuellen Auseinandersetzung eben nicht um einen neutralen „internationalen Terrorismus“. Vielmehr entspringe „der Mut der Terroristen, ihr Leben für ihre Ziele einzusetzen, religiösen Dimension des Islamismus“. Der Gegner müsse endlich klar benannt werden, sonst habe man „den Kampf schon verloren“.

Bestätigung fanden Martin Hohmanns Äußerungen durch ein Interview mit Saif al Islam Gaddafi, Sohn des Lybischen Staatschefs Muammar al Gaddafi, in der Welt am Sonntag vom 11. November. Dort bezeichnet Gaddafi Junior den Krieg in Afghanistan als „Religionskrieg“ und warnt die Europäer vor dem Volkszorn „auf den Straßen der islamischen Länder“. Die islamische Bevölkerung betrachte den Feldzug gegen die Taliban als „eine Aktion gegen alle islamischen Länder“.

Sollten die ersten deutschen Soldaten im Kampf gegen den Islam gefallen sein, dürfte sich auch das Klima für die Moslems in Deutschland weiter verschlechtern.


 
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