© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   47/01 16. November 2001


Rot-Grün am Ende
Ist die Vertrauensfrage des Kanzlers der Anfang des Ausstiegs aus der Koalition?
Paul Rosen

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) stellt die Vertrauensfrage. Verknüpft wird dieses bisher nur zweimal angewandte Instrument -1982 jeweils von Bundeskanzler Helmut Schmidt und Bundeskanzler Helmut Kohl - an diesem Freitag im Bundestag mit der Abstimmung über die Bereitstellung von 3.900 Soldaten für einen Einsatz in Afghanistan. Damit könnten zwei Optionen beabsichtigt sein: Einerseits könnte auf diesem Weg der grüne Koalitionspartner zur Räson bei der Abstimmung gerufen werden. Andererseits würde eine von den Grünen negativ beantwortete „Gretchenfrage“ neue politische Konstellationen anbahnen.

Ungünstiger, so scheint es jedenfalls auf den ersten Blick, könnte die Lage für Schröder kaum sein: Zum ersten Mal muß der Kanzler Soldaten in einen militärischen Einsatz schicken, gegen den alle bisherigen Bundeswehr-Einsätze wie ein Kinderspiel wirkten. Der Niedersachse ist drei Jahre nach dem triumphalen Wahlsieg der rot-grünen Koalition auf Stimmen der damaligen Wahlverlierer Union und FDP angewiesen, um seine Politik durchzusetzen. Doch bei näherem Hinsehen erweist sich dieser Eindruck als falsch: Schröder braucht nicht im Stile Brüningscher Notverordnungen zu regieren (was rechtlich heute gar nicht mehr möglich wäre), sondern kann sich aus einer Position fast unangreifbarer Stärke heraus seine Mehrheiten im Bundestag nach Belieben zusammenstellen.

Für das Phänomen Schröder spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Der wichtigste ist die Zockermentalität des Niedersachsen, der nicht in einer gradlinigen, auf wirtschaftliche und soziale Erfolge orientierten Politik sein Heil sucht, sondern in günstigen Gelegenheiten. Beispiele in der Innenpolitik waren die Rettung des Holzmann-Konzerns oder die Spontan-Idee der „Green Card“ für ausländische Computerexperten. Auch die Ereignisse des 11. September in New York und Washington dürfte Schröder nach anfänglicher, schockbegründeter Zurückhaltung innenpolitisch als neue Spieloption in der Pokerrunde begriffen haben: Da die Wirtschaft einer Rezession entgegentaumelt, die Zahl der Arbeitslosen wieder steigt und die von Schröder und seinem britischen Freund Tony Blair gemeinsam propagierte globale New Economy mit ihren Dot-Com- und Internet-Phantasien erwartungsgemäß wie ein Kartenhaus zusammengebrochen ist, setzt Schröder mit der Vertrauensfrage auf ein anderes Blatt: die Außenpolitik und - das mag bitter klingen, ist aber so - den Krieg.

Als der Kanzler im Bundestag die „uneingeschränkte Solidarität“ mit den USA verkündete, dürfte er sich über die Folgen bereits im Klaren gewesen sein. Egal, ob die Amerikaner nun konkrete deutsche Hilfe angefordert haben oder ob das Berliner Echo in diesem Fall vor dem Ruf kam, am Einsatz deutscher Soldaten irgendwo zwischen Khartum und Kabul führt für Schröder kein Weg mehr vorbei. Längst hat er begriffen, daß das erste so weitreichende deutsche militärische Abenteuer seit dem Ende des Kaiserreiches die Öffentlichkeit faszinieren und beschäftigen wird - mindestens bis zum 22. September nächsten Jahres, dem Tag der Bundestagswahl.

Bis dahin kann seine rot-grüne Koalition vielleicht halten, wahrscheinlich aber nicht. Die Grünen stehen, was niemand überrascht, vor einer Zerreißprobe. Der Rostocker Parteitag der einstigen Pazifisten-Partei Ende November wird vielleicht das Ende der Koalition beschließen. Doch dürfte die Weltlage keine Rücksicht auf eine Partei deutscher Studienräte und Soziologen nehmen. Und Schröder auch nicht. Wenn die Regierungsgrünen Joseph Fischer, Jürgen Trittin und Renate Künast ihren Abschied nehmen wollen - bitte sehr. Wollen sie gegen den Willen der Mehrheit der eigenen Fraktion bleiben, dürfte es Schröder auch nicht weiter stören. Seine Mehrheiten sind sicher.

Im nächsten Bundeshaushalt steht eine erhebliche Erhöhung der Mittel für die Bundeswehr um 1,5 Milliarden Mark. Die Verabschiedung dieses Haushalts ist die einzige noch wirklich wichtige Abstimmung bis zur Bundestagswahl. Will die CDU/CSU etwa diesen Haushalt ablehnen, wenn die Grünen Nein sagen, und damit die Einsatzfähigkeit der deutschen Soldaten gefährden? Schon mal was von der „Dolchstoßlegende“ gehört, Herr Merz?

Vor diesem Hintergrund konnte Schröder es sich leisten, die Notwendigkeit der eigenen rot-grünen Mehrheit für den deutschen Unterstützungsbeitrag im amerikanischen Kampf gegen bin Laden und alles andere Böse auf diesem Planeten herunterzureden - oder herunterreden zu lassen. Dies ging so weit, daß es bis Anfang dieser Woche noch in Koalitionskreisen hieß, es reiche doch völlig, daß es eine Mehrheit für den deutschen Einsatz in den beiden Regierungsfraktionen gebe. Eine Posse, mit der ein Kanzler Helmut Kohl nie durchgekommen wäre.

Schröder kann sich dieses Possenspiel nur leisten, weil es an einer Alternative zu ihm mangelt. Im Bundestag kann seine SPD zwar mit jeder anderen Fraktion koalieren, aber eine Regierungsbildung gegen die SPD ist nur theoretisch möglich. Da müßten sich schon Union, FDP, Grüne und vielleicht noch die PDS zusammenfinden, was man getrost ausschließen kann. Natürlich hat der Grünen-Haushaltsexperte Oswald Metzger recht, wenn er die Auffassung vertritt, ohne eigene Mehrheit beim Bundeswehr-Einsatz sei die Koalition am Ende, und die Grünen könnten mit einer „Ohne-uns“-Mentalität nicht in der Regierung bleiben.

Sollte Metzger recht haben, müßten die Grünen am Ende dieser Woche aus der Regierung aussteigen - oder zumindest der größere Teil von ihnen. Was würde Schröder passieren? Nichts. Der SPD-Parteitag in Nürnberg wird ihn so oder so in der nächsten Woche mit einer übergroßen Mehrheit von Fall zu Fall zusammenstellen. Besonderer Verlaß ist auf die mindestens 100köpfige Gruppe der „Atlantiker“ in der Unionsfraktion, die in Treue fest an der Seite der USA stehen und jedem taktischen Spiel der schwachen Merz/Merkel-Führung die rote Karte zeigen dürfte.

Schröder hat alle Optionen: Eine sozialdemokratische Minderheitsregierung mit oder ohne grüne Minister ist ebenso denkbar wie eine sozialliberale Koalition, obwohl deren Mehrheit sehr dünn wäre. Auch eine Große Koalition mit der CDU/CSU ist nicht ausgeschlossen. Darauf spekuliert der ehemalige CDU-Chef Wolfgang Schäuble, der noch einmal ins Steuerhaus des Regierungsschiffes will. Und was hat die Opposition dagegen anzubieten? Nicht einmal einen Kanzlerkandidaten.


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