© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/01 09. November 2001

 
Früchte des Zorns
Das Dilemma der USA
Michael Wiesberg

Als die Sowjetunion Anfang der neunziger Jahre kollabierte, rühmten sich Mitglieder der damaligen US-Regierung damit, daß sie diesen Untergang beschleunigt hätten. Sie verwiesen auf die exorbitanten Kosten und auf das Maß der Demoralisierung, das die Besetzung Afghanistans den Sowjets beschert hätte. Sie unterschlugen, daß es die USA waren, die durch direkte verdeckte Unterstützung der Mudschaheddin eine sowjetische Invasion maßgeblich provoziert hatten. Der Verantwortliche für diese Politik war der ehemalige Sicherheitsberater der Regierung Carter, Zbigniew Brzezinski. Daß die US-amerikanische Außenpolitik maßgeblich zum Aufbau eines weltweiten Netzwerkes von islamischen Extremisten beigetragen hat, hat Brzezinski kein großes Kopfzerbrechen bereitet. „Was wichtiger in der Weltgeschichte sei“, fragte Brzezinski damals, „einige fanatische Muslime, oder die Befreiung Zentraleuropas und das Ende des Kalten Krieges?“

Hätte sich Brzezinski näher mit der Geschichte des US-amerikanischen Engagements am Persischen Golf und in Afghanistan beschäftigt, wäre er unter Umständen zu ganz anderen Ergebnissen gekommen. Das Engagement der USA hatte eine Kettenreaktion von unerwünschten Konsequenzen zur Folge. Jede dieser Interventionen wurden mit mehr oder weniger plausiblen Rechtfertigungen bemäntelt, die verdecken sollten, daß die USA zunächst ihre eigenen Interessen verfolgten.

Zu unerwünschten Konsequenzen wird mit Sicherheit auch der gerade laufende Krieg der USA gegen Afghanistan führen, den US-Präsident Bush als Krieg gegen „das Böse“ definiert hat. Dieser Überzeugung ist zum Beispiel Robert Pfaltzgraff, Politikprofessor an der Tufts-Universität in Medford/Massachusetts: „Wir haben eine optimistische Auffassung über den Ausgang dieses Konfliktes“, erklärte Pfaltzgraff. „Wenn wir den Terrorismus ausmerzen, werden wir eine friedfertigere Welt haben. Wir müssen optimistisch sein, aber wir müssen gleichzeitig im Auge behalten, daß wir neue Probleme schaffen werden. Um hier nur einige dieser zukünftigen Probleme zu nennen: Destabilisierung von Staaten, die an Afghanistan angrenzen; nachhaltige Störung des Machtgleichgewichtes in der Region; Entfachung eines pan-islamischen Aufstandes.“

Die Erfahrungen der Vergangenheit lehren, daß mit dem Ende der heißen Phase eines Krieges das militärische Engagement der USA keineswegs zu Ende ist. So dauerte der Golfkrieg gegen den Irak knappe sechs Wochen. Die Bodenoffensive vier Tage. Dennoch hält die militärische Präsenz der USA, insbesondere in Saudi-Arabien, bis heute an. Diese Präsenz hat zu erheblichen Negativreaktionen in der arabischen Welt geführt. Viele Araber waren ernüchtert über den hohen Blutzoll, den die irakische Armee im Golfkrieg zu leisten hatte. Dazu kommen bis heute die Leiden, die der irakischen Zivilbevölkerung durch die Sanktionen der UNO auferlegt worden sind. Untersuchungen wie die von UNICEF im Jahre 1998, die die Sanktionen für den Anstieg der Kindersterblichkeit und der Unterernährung im Irak verantwortlich gemacht haben, haben große Wirkung in der arabischen Welt hinterlassen und zu einer erheblichen Entfremdung von den USA beigetragen.

Insbesondere die militärische Beziehung der USA mit Saudi-Arabien hat die inneren Spannungen in diesem Land vertieft. Saudi-Arabien hatte eine Rechnung von 60 Milliarden Dollar zu begleichen, die die Amerikaner für den Krieg gegen Irak aufmachten. Nochmals an die 40 Milliarden Dollar brachte Saudi-Arabien im Laufe der neunziger Jahre für den Kauf amerikanischer Waffen auf. Derart verschwenderische Militärausgaben haben zu erheblichen Etatkürzungen in einem Land geführt, das bisher großzügige Sozialleistungen seitens der Regierung gewohnt war.

Massive Drohungen von islamischen Extremisten blieben deshalb nicht aus. Bereits 1998 kursierte ein Manifest, das den USA und seinen Alliierten einen „Heiligen Krieg“ androhte, mit dem Ziel, diese aus allen islamischen Staaten herauszuwerfen. Die Beschwerdeliste dieses Manifestes umfasste sowohl die Besetzung der arabischen Halbinsel als auch die US-Aggression gegen das irakische Volk. Mitunterschrieben war dieses Manifest von Führern militanter islamistischer Führer aus Ägypten, Pakistan und Bangladesh. Der Verfasser dieses Manifestes war Bin Laden.

Für Richard Perle, Berater des US-Verteidigungsministeriums, liegen die Fehler bei den Regierungen der Golfregion. Er deutet die unerwünschten „Rückstöße“ („blowbacks“) für die USA in erster Linie als Ausdruck eines grassierendes Neidkomplexes gegenüber den USA. „Wenn man heute in die arabische Welt schaut, die einst große Zivilisationen hervorgebracht hat, dann ist diese, trotz allen Reichtums aufgrund der Ölvorräte, von einem Niedergang geprägt. Es gibt nichts, auf das junge Araber stolz sein könnten.“ Die USA seien nicht die Ursache dieses Problems, meint Perle. Wenn Araber von der Arroganz der USA redeten, sprächen sie im Grunde genommen über den Erfolg der USA.

Perles Auffassung ist keine Einzelmeinung; ähnliches war auch von anderen Experten zu lesen und zu hören. Angesichts einer derartigen Deutung der Dinge steht nicht zu erwarten, daß die USA dem Dilemma entkommen werden, das Robert Pfaltzgraff in die Worte faßte: Die Lösung eines Problems erzeugt ein neues.


 
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