© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/01 02. November 2001

 
Zwischen Notwendigkeit und Anmaßung
Eine Mahnung vor dem Mißbrauch des Verfassungsschutzes als Gesinnungspolizei
Georg Willig

Der schockierte Bürger konnte es kaum fassen, als er kurz nach den verheerenden Terroranschlägen in Amerika erfuhr, daß die dabei aktivsten Täter, islamistische Fundamentalisten, jahrelang unbemerkt in Deutschland gelebt und studiert hatten. Der verwirrte Bürger fragt sich: Haben wir hier nicht eine effektive Polizei, das BKA, Einwanderungsbehörden, Ausländerbeauftragte und Geheimdienste, die etwas von dem Tun und Lassen dieser Leute hätten bemerken müssen?

Drei Geheimdienste gibt es in Deutschland: Bundesnachrichtendienst, Militärischen Abschirmdienst und den Verfassungsschutz. Die Aufgaben des letzteren sind: „Sammeln und Auswerten von Informationen über extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen“, also „politische motivierte Aktivitäten gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, gegen den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes ...“

Als nach dem Zusammenbruch der DDR die Hauptverwaltung Aufklärung aufgelöst wurde, geriet die Verfassungsschutzbehörde in eine Legitimationskrise. Sie begab sich, wie es die Herausgeber dieses Sammelbandes, Hans-Helmuth Knütter und Stefan Winckler, im Untertitel des Buches ausdrücken, „auf die Suche nach dem verlorenen Feind“. Dabei kam die Idee bald auf die organisierte Kriminalität, islamistische Gruppen und die „Scientologie“. Bei den „islamischen Gruppen“ scheint man nicht genug aufgepaßt zu haben, obwohl manche schon in derartigen Beobachtungen „die Gefahr einer mißbräuchlichen Tätigkeit“ sehen. In dieser Unsicherheit über Kompetenzen und Zuständigkeiten liegt vermutlich auch ein Grund dafür, daß bestimmte Hinweise auf das Netzwerk fundamentalistischer Vereinigungen vernachlässigt werden.

Der Bundesverfassungsschutz fand einen neuen Feind, nachdem stark angetrunkene und nur oberflächlich politisierte Jugendliche Asylanten brutal angegriffen und damit ein weltweites Medienecho hervorgerufen hatten. So konzentrierte er sich mit akribischer Intensität auf den „Rechtsextremismus“, der bald schon zum „Feind von rechts“ wurde und zum „Aufstand der Anständigen“ führte, zu einer Stimmung, als stände die Machtergreifung der Neonazis unmittelbar bevor.

Während die linksextremistischen Bestrebungen in den Berichten nur dann aufgeführt werden, wenn sie einen anderen Staat, eine andere Grundordnung gewaltsam anstreben, steht auf der anderen Seite bereits eine Intellektualisierung des Rechtsextremismus unter Verdacht, die alles trifft, was rechts von der CDU/CSU steht. So kann man von einer Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes zur Sicherheit der eigenen Machtstellung sprechen.

In seinem Beitrag „Verfassungsschutz ist nicht gleich Schutz der Verfassung“ schreibt der Rechtsanwalt Klaus Kunze: „Es sind nicht nur ehrenwerte antitotalitäre Interessen, die hinter der Bezeichnung ’Verfassungsfeind‘ stehen. Die Parteipolitik färbt das Bild der zu schützenden Verfassung.“

Mit dem zentralen Thema der juristisch festgelegten Grenzen und deren Überschreitung beschäftigt sich der Rechtswissenschaftler Roland Richter, während Heinrich Lummer in seinem Beitrag über „Möglichkeiten und Risiken nachrichtendienstlicher Mittel“ aus seinen reichen Erfahrungen als ehemaliger Berliner Innensenator schöpfen kann.

Auf das geistig-kulturelle Umfeld, in dem es erst möglich wurde, daß es in Verfassungsschutzbehörden zu Fehlentwicklungen gekommen ist, richtet Hans- Helmuth Knütter, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Bonn, seine konzentrierte Aufmerksamkeit. Dabei sieht er nicht den Verfassungsschutz selbst als Wurzel des Übels: dieser reagiert nur auf das, was ihm zugetragen wird. Die Herausgeber fragen, ob es nicht in Deutschland eine besondere Neigung zur Gesinnungskontrolle durch eine Gedankenpolizei gibt, ein Klima der „verklemmten Obrigkeitshörigkeit, kombiniert mit dem Wunsch nach weltanschaulicher Orientierung. Wer nicht so will, wie er soll, wird denunziert. Diese Mentalität ist das Übel, das zum Mißbrauch führt.“

Deutlich wird, daß es diesen Mißbrauch zu kritisieren gilt, um zu vermeiden, daß Konservatismus und demokratische Rechte zu Verfassungsfeinden gemacht werden. Diese Anthologie enthält dann auch folgerichtig neben einer umfassenden Kritik die Gliederung eines besseren, „alternativen“ Verfassungsschutzberichtes, der den Rechtsstaatsprinzipen entspricht. Dies ist das Thema von Josef Schüßlburner, dessen Berufsweg über Bundesverwaltung, uno-Rechtsabteilung und EG-Kommission führt und der hier unter anderem anregt, den bisherigen Verfassungsschutz durch eine „Grundgesetzpolizei“ zu ersetzen.

Caspar von Schrenck-Notzing, Leiter des Instituts für konservative Bildung und Forschung (IKBF), konzentriert sich in seinem Beitrag auf die historische Herleitung der Zensur, wobei er im aktuellen Zusammenhang zu der Einsicht gelangt, daß sie heute nicht offen, sondern gleichsam verdeckt ausgeübt wird. Und vor einer Ausweitung der Aufgaben des Verfassungsschutzes warnen der Bundestagsabgeordnete und Jurist Martin Hohmann und Gunnar Digutsch.

Der Haupteinwand gegen die Berichte des Verfassungsschutzes richtet sich gegen die ungleiche Gewichtung des linken und rechten Extremismus. So wurden in einer Übersicht zum Thema „politisch motivierte Straftaten“ ( begangen zwischen Januar und Mai 1999) 1.173 linksextremistische Straftaten 2.839 rechtsextremistischen gegenübergestellt. In diesen Zahlen eingeschlossen waren sogenannte „Propagandadelikte“. Davon gab es nun auf der linken Seite null - auf der rechten 2.471! Dabei wird jedes gemeldete Hakenkreuz auf einer Parkbank mitgezählt. Zieht man diese „Propagandadelikte“ von der Gesamtzahl ab, dann stehen 368 rechte Straftaten 1.173 linken gegenüber. So läßt sich politisch-propagandistisch manipulieren. Weiter beschäftigt sich Knütter mit der „Intellektualisierung des Rechtsextremismus“, der in den Berichten seit 1994 Jahr für Jahr zugenommen hat. Hier findet auch die JUNGE FREIHEIT einen „Ehrenplatz“. Nordrhein-Westfalens Behörde hat herausgefunden, daß bei der JUNGEN FREIHEIT „tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebung“ zu finden seien: „Anhaltspunkte für einen Verdacht!“ - ein interessanter Beobachtungsbeweggrund.

Manfred Brunner, Jurist und ehemaliges Mitglied der EU-Kommission, schreibt unter dem Titel „Wer schützt Grundrechte vor dem Verfassungsschutz?“: „In Deutschland leisten viele Dienststellen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes den notwendigen Abwägungsprozeß in einer Weise, der man nur mit Respekt begegnen kann. Ein bedrückendes Gegenbeispiel ist das Vorgehen der Verfassungsschützer in Nordrhein-Westfalen gegen die JUNGE FREIHEIT.“ Ein Mißbrauch liegt dann vor, wenn Bekämpfungsmaßnahmen gegen solche Organisationen ergriffen werden, die in Wirklichkeit keine verfassungswidrigen Ziele verfolgen, sondern nur unter einem, in Wirklichkeit nicht begründeten, Verdacht stehen. Daß sich ein solcher Verdacht leicht konstruieren läßt, der dazu führt, bloße Meinungen und Ansichten zu kontrollieren, ist die bedrückende Einsicht, zu der dieses Buch reichlich Belege liefert.

Hans-Helmuth Knütter / Stefan Winckler (Hrsg.): Der Verfassungsschutz. Auf der Suche nach dem verlorenen Feind. Universitas-Verlag, München 2000, 441 Seiten, geb., 49,90 Mark


 
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