© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/01 02. November 2001

 
CD: Rock
Fast ein Abgesang
Silke Lührmann

Wer in diesem „Sommer der Dinosaurier“ den aktuellen Abschnitt von Bob Dylans never-ending tour erlebt hat, mußte wohl oder übel dem Rezensenten des britischen Observer recht geben: Hier wurde auf einem Instrument gespielt, das „fast kaputt“ ist, mit Stimmbändern, die wie Gitarrensaiten zu reißen drohten. Wer - zum Ärger der zahlenmäßig überlegenen Fans von Robbie Williams, dem früheren Take That-Idol, der als Attraktion des Abends im Anschluß an Dylan auftreten sollte - in strömendem Regen vor der Hauptbühne des Roskilde-Festivals ausharrte, um noch eine letzte Zugabe zu hören, wußte, warum: Auch die unendlichste Geschichte klingt irgendwann aus, von unendlichen Tourneen ganz zu schweigen. Dylan selbst ist sich dessen durchaus bewußt, sagt er. „Wenn irgendwas in unserer Welt klar ist, dann ist es die Erkenntnis, daß alles eines Tages zu Ende geht. Unsere Sterblichkeit ist die eine Sache, die uns alle verbindet, und nichts als das Wissen darüber schafft eine größere Nähe zwischen Menschen.“ Bei „Just Like A Woman“, der Liebeserklärung eines wenn nicht mehr jungen, so doch jüngeren Mannes, kratzte ein bißchen Reue in all der Brüchigkeit mit. Wer „liebt wie ein kleines Mädchen“, schreit heutzutage eben nach Robbie Williams.

So viel braucht Dylan nicht zu bedauern. Sicher, die Welt konnte er nicht ändern, und die Zeiten hätten sich wohl auch ohne ihn gewandelt. „I used to care“, sagt er in seinem Oscar-gekrönten „Things Have Changed“: „Früher hätte es mir was ausgemacht, aber heute sieht das anders aus.“

Immerhin scheint Dylan zum ersten Mal Spaß an seinem Dasein zu haben. In Rom vergnügte er sich diesen Sommer damit, einem Rudel ehrfürchtig an seinen Lippen hängender Journalisten Häppchen aus dem Kuriositätenregal zu füttern. Farben finde er „scheußlich“, und in der neueren Literatur könne er „nichts Interessantes entdecken. (...) Speziell die Nachrichtensendungen bieten dem Publikum mehr, als sich die wildesten Dichter erträumen können. Was bleibt da noch für Literaten und Poeten?“ Trotz allem: „Die Realität ist längst nicht so hoffnungslos und finster, wie uns die moderne Medienindustrie vorgaukelt.“

Seine neue CD „Love and Theft“ holt aus dem fast kaputten Instrument alles heraus, was es zu geben hat. Da andere Produzenten ihm mit einer allzu festen Vorstellung arbeiten, wie ein Endprodukt der Marke „Bob Dylan“ zu klingen habe, übernahm Dylan diesmal die Verantwortung selber - unter dem Pseudonym „Jack Frost“, einer Figur, die in der amerikanischen Folklore für den Winter und dann für den Tod steht. Das Schwarzweiß-Porträt auf dem Umschlag knüpft an frühe Dylan-Alben an - bewußt, aber nicht nahtlos; zu lange hat er in diesem dürren Körper, hinter diesem zerknautschten Gesicht gelebt. Dylan, der im Laufe der Jahre vieles ausprobiert hat, wendet sich hier wieder seiner ersten Liebe zu: Obwohl durchweg Eigenkompositionen, bilden die zwölf Stücke eine Hommage an die raue, erdnahe Musik der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Sie sind rockiger, schneller, stärker im Klang als die puristisch eingespielten traditionals auf dem 1992er Album „Good As I Been To You“.

Dylans Welt war nie so hart oder so kalt wie jene, die seine steinige, staubige Stimme besingt, sonst könnte er sich nach Unerbittlichkeit nicht sehnen. Greil Marcus, der zu den ausgewiesensten Dylan-Kennern zählt, spricht von einem „Universum der Ablehnung, (...) der Leere und des Galgenhumors von lebendigen Toten, die nur noch auf Erden wandeln, weil der Friedhof voll ist“, von einer „völlig eigene(n) Art, in der Welt zu leben“. Und doch mache Dylan, „daß du dich in seinem Exil wohlfühlst“.

Wer in der musikalischen Eiswüste der 1980er aufwachsen mußte, dankt den Dinosauriern täglich, daß sie noch nicht ausgestorben sind.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen