© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/01 02. November 2001

 
„Eine handfeste Lüge“
Theodor Schweisfurth über die Deformation des Rechtsstaates, Hehlerei und Nötigung durch die CDU in Sachen Enteignung
Moritz Schwarz

Herr Professor Schweisfurth, seit der Wiedervereinigung wird von den Alteigentümern der 1945 bis 1949 von den Sowjets enteigneten Grundstücke in der damaligen sowjetischen Besatzungszone eine Rückgabe des Bodens - die sogenannte „Restitution“ - verlangt. Moralisch völlig gerechtfertigt, wie selbst das Bundesverfassungsgericht bestätigt - es spricht von „großem Unrecht“. Allerdings hat die Sowjetunion einen Verzicht auf die Restitution als Bedingung für ihre Zustimmung zur Wiedervereinigung verlangt. Die deutschen Politiker mußten also das kleinere Übel des Unrechts in Kauf nehmen, um das höhere Gut der Wiedervereinigung zu erreichen. Warum akzeptieren die Alteigentümer das nicht?

Schweisfurth: Diese Bedingung hat es tatsächlich nicht gegeben. Die Regierung Kohl hat dies damals zwar behauptet, aber inzwischen haben sowohl Michail Gorbatschow und Eduard Schewardnadse wie auch George Bush bestätigt, darüber sei gar nicht gesprochen worden. Wir haben es also mit einer handfesten Lüge zu tun, kein Wunder, wenn das die Alteigentümer nicht akzeptieren.

Gönnte man es den ehemaligen Großgrundbesitzern nicht, daß sie ihr Land zurückerhalten sollten?

Schweisfurth: Ohne daß es je direkt ausgesprochen wurde, schien das vielleicht zuweilen der Grund gewesen zu sein, doch ist übersehen worden, daß es dabei nicht nur um die vielleicht 1.500 Personen mit Großgrundbesitz, sondern um Millionen Eigentümer geht, weil auch viele kleine Besitzer von diesen Maßnahmen betroffen gewesen sind. Allerdings, selbst wenn es sich nur um jene eineinhalbtausend Betroffenen handeln würde, ist es in einem Rechtsstaat völlig unzulässig, Bürgern ihr Recht vorzuenthalten und sie damit zu diskriminieren, nur weil sie besonders viel Land besessen haben. Aber eigentlich halte ich das gar nicht für den wirklichen Grund.

Sondern?

Schweisfurth: Dahinter standen eindeutig fiskalische Interessen. Der Bund konnte die Grundstücke veräußern und mit dem eingenommenen Geld die Kosten der Wiedervereinigung bezahlen.

Wieso hat das Bundesverfassungsgericht bei seiner erneuten Entscheidung über die Sache nicht härtere Konsequenzen aus den Aussagen der Staatsmänner gezogen?

Schweisfurth: In der ersten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1991 ging das Gericht noch davon aus, daß die Behauptung der Bundesregierung von der sowjetischen Bedingung stimmt. Nach den Äußerungen Gorbatschows und der anderen sprach es in seiner zweiten Entscheidung 1996 nicht mehr von einer der Bundesregierung gestellten Bedingung, sondern davon, daß die Position der Sowjetunion von seiten der Bundesregierung lediglich so gedeutet worden ist, als hätte es eine Bedingung gegeben. Das Gericht argumentierte, es komme nicht darauf an, ob die Bedingung tatsächlich gestellt worden ist, sondern wie die Bundesregierung die Verhandlungslinie der Sowjets eingeschätzt hat. Und die Bundesregierung beharrte einfach darauf, man habe das als Bedingung verstanden.

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht 1996 akzeptiert, daß die Bundesregierung die Position der Sowjetunion damals als Bedingung gedeutet hat. Gleichwohl steht doch nunmehr einer Neuregelung nichts im Wege?

Schweisfurth: So ist es. Es wäre jetzt am Deutschen Bundestag, mit einer gesetzlichen Regelung das vom Bundesverfassungsgericht selbst so bezeichnete „große Unrecht“ wiedergutzumachen. Aber leider versteckt sich der Bundestag hinter den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes, das angeblich das Vorgehen von 1990 auch in seiner zweiten Entscheidung legitimiert hat. Das hat es zwar auch, was aber nichts darüber aussagt, wie in Zukunft damit umzugehen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem neueren Beschluß vom 9. Januar 2001 klar gesagt, daß es „die genannten Enteignungen für ein großes Unrecht hält“. Das muß doch ein rechtsstaatlicher Gesetzgeber als Appell verstehen, dieses Unrecht zu beseitigen. Aber die Bundestagsabgeordneten stellen sich taub.

Warum können die Eigentümer nicht in einer erneuten Initiative beim Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung erreichen, die den Bundestag zum Handeln zwänge?

Schweisfurth: Die Alteigentümer können sich lediglich im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde an das Gericht wenden, und das ist bereits passiert: mit dem Ergebnis des Beschlusses von 1996.

Das heißt, das Bundesverfassungsgericht duldet einen objektiven Unrechtszustand, nur weil er aufgrund einer falschen Deutung zustande gekommen ist?

Schweisfurth: In dem Verfahren, das zu dem Ergebnis von 1996 geführt hat, ging es darum, zu prüfen, ob die Verfassungsänderung von 1990 zulässig gewesen sei. Das war nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes der Fall. Was aber natürlich nichts an dem Fortbestand dieser Unrechtssituation ändert.

Sie haben außer auf die erfundene Bedingung der Sowjetunion noch auf weitere gewichtige Fehler in der Argumentation der Restitutionsgegener hingewiesen. Zum Beispiel, daß die Sowjetunion ja gar nicht mehr existiert.

Schweisfurth: Das ist in der Tat die größte Absurdität. Die Sowjetunion gibt es nicht mehr, damit ist der angebliche Bedingungsnehmer schlicht weggefallen. Aber das nehmen die Verantwortlichen offenbar einfach nicht zur Kenntnis. Sie stellen sich schützend vor einen Staat, den es gar nicht mehr gibt.

Sie weisen außerdem darauf hin, daß es der Sowjetunion gar nicht um die Bewahrung des von ihr geschaffenen bodenrechtlichen Zustandes ging, sondern sie sich lediglich vor einem Unrechtsvorwurf schützen wollte.

Schweisfurth: Auch eine Besatzungsmacht kann nicht schalten und walten, wie sie will, sondern hat sich an das Völkerrecht zu halten, insbesondere an die Haager Landkriegsordnung. In deren Artikel 46, Absatz 2 heißt es: „Privateigentum kann nicht konfisziert werden“. Die Sowjetunion hat sich daran nicht gehalten und damit völkerrechtliches Unrecht begangen. Damit ist sie im Prinzip auch zu Entschädigung verpflichtet, und das wollte die Sowjetunion 1990 auf jeden Fall vermeiden. Natürlich hätte die Bundesregierung sowieso nie solche Forderungen erhoben, denn dann wäre die ganze Reparationsfrage wieder auf die Tagesordnung gekommen. Die Sowjets bestanden also darauf, daß die Legitimität der Maßnahmen, die sie damals getroffen hatten, niemals bezweifelt werden würde, damit waren sie zufrieden, eine De-facto-Restitution schloß das aber nicht mit ein. Es war die Bundesregierung, die dann daraus in böser fiskalischer Absicht ein angebliches Restitutionsverbot als Bedingung fabriziert hat.

Haben denn die deutschen Politiker damals ernsthaft versucht, unter Einsatz aller diplomatischen Mittel die Sowjetunion zu Zugeständnissen bezüglich des angeblichen Restitutionsverbotes zu bewegen?

Schweisfurth: Nicht einmal das, denn die Frage der Enteignung ist nur auf Beamtenebene behandelt worden. Das bestätigen die damaligen Staatschefs in ihren Aussagen, und das stellt auch das Bundesverfassungsgericht fest. Es ist also ein massiver weiterer Vorwurf, vor allem an den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, der sich auf höchster Ebene offenbar nicht im mindesten für diese Fragen eingesetzt hat.

Neben der Lüge von der sowjetischen Bedingung ist Ihr gewichtigstes Argument, die Sowjetunion habe mit den „Enteignungen“ keinen rechtskräftigen Zustand geschaffen, da nach der Haager Landkriegsordnung eine Besatzungsmacht keine Konfiskation an privatem Eigentum vornehmen darf. Das heißt, die Eigentümer sind 1945 bis 1949 zwar ihres Besitzes, nicht aber ihrer Eigentumsrechte enthoben worden, das ist erst 1990 mit dem Einigungsvertrag geschehen. Die eigentliche Enteignung fand also erst durch die Bundesregierung statt?

Schweisfurth: Genau, die Maßnahmen der Sowjetunion zwischen 1945 und 1949 in dieser Hinsicht haben keinen rechtswirksamen Charakter, weil dem die Haager Landkriegsordnung entgegensteht. Das heißt, das Wort „Alteigentümer“ täuscht. Diese Leute waren bis 1990 Eigentümer. Erst seit 1990 durch die Maßnahmen der Regierung Kohl sind sie auch rechtlich enteignet, sprich: zu Alteigentümern geworden. Das ist natürlich ein unglaublicher Skandal.

Würde aber eine Restitution nicht neues Unrecht schaffen und den sozialen Frieden gefährden?

Schweisfurth: Das ist eine der typischen Angstmacherformeln, die aber sachlich völlig ins Leere geht. Es geht ja nicht darum, Menschen, die zu DDR-Zeiten legal Eigentum erworben haben, dies nun wegzunehmen, sondern lediglich um die Grundstücke, die nach 1990 in Staatsbesitz gelangt sind. Ob der Staat nun diese Grundstücke verkauft oder an die Eigentümer zurückgibt, spielt für den sozialen Frieden, so wie es die Frage nahelegt, keine Rolle. Im Gegenteil, es würde dem sozialen Frieden dienen, würde endlich eine rechtsstaatliche Lösung erfolgen. Neues Unrecht hat der Staat begangen, indem er das Eigentum seiner Bürger, ohne diese zu entschädigen, an sich gebracht hat.

Wie hoch ist denn der Anteil an in staatlichen Besitz zurückgefallenen Grundstücken bezüglich der Gesamt-Flächenzahl aller enteigneten Ländereien?

Schweisfurth: Wir sprechen da beinahe vom gesamten Bodenreform-Eigentum und fast vom gesamten gewerblichen Eigentum, denn all das wurde in „Volkseigentum“ überführt.

In der vergangenen Woche äußerte der FDP-Politiker Hermann Otto Solms im Interview mit der JUNGEN FREIHEIT, er sehe keine Chance, heute noch eine Restitution durchzuführen, da inzwischen zehn Jahre Aufbau in den neuen Ländern auf der damals getroffenen Regelung fußen.

Schweisfurth: Das gesamte gewerbliche Eigentum ist natürlich schon veräußert. Das kann man nun nicht mehr zurückgeben. Aber zum Beispiel Äcker, Forstflächen und auch so manches Baugrundstück sind noch im Besitz der Bundesregierung. Der Solms-Äußerung kann ich also nur zum Teil zustimmen.

Die FDP hat 1990 im Bundestag gegen die von der CDU vorgenommene Regelung Einspruch erhoben. War das ein Scheinmanöver, oder hat sich die FDP wirklich um eine gerechte Lösung bemüht?

Schweisfurth: In der Tat hat es eine Reihe von FDP-Abgeordneten gegeben, die mit der damaligen Regelung nicht einverstanden waren und zu Protokoll gaben, sie stimmten dem Restitutionsverzicht nur zu, weil er eine Bedingung der Sowjetunion sei. Die haben sich natürlich nicht vorstellen können, daß die Bundesregierung sie dermaßen belügt.

Muß die FDP, wenn sie es mit ihrem Postulat von „der“ Rechtsstaatspartei ernst meint, sich bei einem Eintritt in die Regierung 2002 nicht vehement für eine Restitution einsetzen?

Schweisfurth: Auf jeden Fall!

Seit dem 17. Mai 2001 verweigert der Bundestag nun auch die Beantwortung von Petitionen der Eigentümer. Warum?

Schweisfurth: Das ist natürlich eine erneute Ungeheuerlichkeit: Tatsächlich wird diesen Leuten nun auch noch das Petitionsrecht verweigert, dabei gehört das zu den Grundrechten. Es gibt einen Beschluß im Bundestag, auf Petitionen in dieser Sache nicht mehr zu antworten. Das zeigt allerdings auch das vorhin schon angedeutete Grundproblem: Die Mitglieder des Bundestages wollen sich damit nicht mehr beschäftigen, das Problem hat ihnen bereits soviel Mühe gemacht. Sie waren froh, als sie glaubten, es zu den Akten legen zu können. Dazu kommt, daß die meisten Abgeordneten die komplizierte Materie nicht richtig durchschauen und auch über die in diesem Gespräch erörterten Hintergründe nicht informiert sind. Ich bin überzeugt, daß die meisten Parlamentarier bis heute gar nicht wissen, was sie da vor zehn Jahren angestellt haben, und nun verschanzen sie sich hinter den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes. Dazu kommt, daß es eben sehr schwer ist, zuzugeben, wenn man etwas falsch gemacht hat. Es gibt also eine erhebliche psychologische Barriere, die dazu führt, daß der Bundestag untätig bleibt.

Nach einem Kammergerichtsurteil vom Dezember 2000 darf der Staat für sein Vehalten in dieser Frage der „Hehlerei“ bezichtigt werden.

Schweisfurth: Das bedeutet zweifelsohne einen ersten großen Sieg gesellschaftlicher Art. Nur rechtlich bringt das keinen Fortschritt.

Müßten denn nicht die Politiker, die 1990 für die Lüge von der sowjetischen Bedingung und für den Rechtsbruch der Enteignung verantwortlich waren, zur Rechenschaft gezogen werden?

Schweisfurth: Strafrechtlich wird das wohl kaum möglich sein. Denn es handelt sich zwar zweifelsohne um eine Nötigung des Bundestages, aber solch eine Nötigung muß nach dem Strafgesetzbuch mit Gewalt oder der Androhung von Gewalt verbunden sein. Und das kann man in diesem Fall nun doch nicht sagen.

Wie wahrscheinlich ist es, daß den Eigentümern noch Gerechtigkeit widerfährt?

Schweisfurth: Im Bundestag herrscht bis heute eine Blockade in dieser Sache. Die Argumente der Eigentümer finden im direkten Gespräch mit den Abgeordneten durchaus Anklang, aber dann heißt es: „Dafür gibt es aber eben keine Mehrheit.“ Das ist das Problem. Wir haben es eben mit Politikern zu tun und nicht mit Staatsmännern. Es muß endlich auch Artikel 25 des Grundgesetzes in die Debatte kommen. Danach sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor. Eine solche allgemeine Regel ist das Verbot der Konfiskation privaten Eigentums im Sinne der Haager Landkriegsordnung. Die Nicht-Rückgabe der Vermögen widerspricht diesem Verbot, denn die Nicht-Rückgabe ist die Aufrechterhaltung der völkerrechtlich verbotenen Konfiskation. Und darauf ist das Bundesverfassungsgericht bei seinen Entscheidungen überhaupt nicht eingegangen. Versucht wird außerdem auch eine Klage vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Allerdings gestaltet sich dies schwierig, weil es dort nur um Diskriminierung gehen kann und diese nur im Falle der Verletzung eines materiellen Grundrechtes vorliegt. Die Chancen in Straßburg sind aber immerhin noch offen. Ich würde es mal mit der alten Weisheit umschreiben: „Vor Gericht und auf hoher See sind Sie in Gottes Hand.“

Verantwortlich für den Betrug sind CDU-Spitzenpolitiker. Ist damit nicht das demokratische Vertrauen in diese Parei zutiefst erschüttert?

Schweisfurth: Aber natürlich, ich kann es inzwischen nicht mehr hören, wenn sich die Union - und zum Teil gilt das auch für die FDP - heute immer wieder als die Rechtsstaatspartei hinstellt. Wer sich so gegen alle rechtsstaatlichen Grundsätze vergangen und darüber hinaus durch das unbeirrte Festhalten an diesem Vergehen eine so schwere Deformation des Rechtsstaates zu verantworten hat, der kann sich heute wohl kaum noch als Verteidiger des Rechtsstaates aufspielen.

 

Prof. Dr. Theodor Schweisfurth geboren 1937 in Cottbus, studierte Theodor Schweisfurth Rechtswissenschaften in Marburg, Bonn und Tübingen. Danach absolvierte er ein ostwissenschaftliches Ergänzungsstudium für Juristen an der Freien Universität Berlin. Von 1972 bis 1993 arbeitete er am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Zuletzt war er bis zu seiner Emeritierung Professor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Im vergangenen Jahr veröffentlichte er die Studie „SBZ-Konfiskationen privaten Eigentums 1945 bis 1949. Völkerrechtliche Analyse und Konsequenzen für das deutsche Recht“.

 

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