© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/01 26. Oktober 2001

 
Sein als Design
Kino: Ralf Huettners „Mondscheintarif“ handelt von entsinnlichter Einsamkeit
Werner Olles

Daß der deutsche Film auf den Hund gekommen ist, weiß man spätestens seit Rainer Werner Fassbinders mißglückten Versuchen, in die Fußstapfen Douglas Sirks zu treten. Aber während Fassbinder bei allem Geschmäcklerischen, das seinen Filmen anhaftete, aus Problemen immerhin noch eine Art Stilform entwickelte - Kritiker bezeichneten das ein wenig euphemistisch als Manierismus -, kranken deutsche Melodramen, von den Komödien ganz zu schweigen, heute an ihrer inszenierungspolitischen Bedeutung, die, einer Zwangsneurose gleich, noch das unwichtigste Alltagsdetail zum Baustein eines Gesamtkunstwerks stilisiert.

In Ralf Huettners („Der kalte Finger“) Film „Mondscheintarif“ wartet die junge Fotografin Cora Huebsch (Gruschenka Stevens) schon seit drei Tagen vergeblich auf einen Anruf ihres Traummannes. Mit ihm, Dr. med. Daniel Hoffmann, hatte sie am Mittwoch den besten Sex ihres Lebens. Aber jetzt ist Samstag, schlimmer noch, Samstag abend, und sie hat nur noch sechs Stunden Zeit, um von ihm zu hören. Denn laut ihrem platonischen Freund Big Jim muß der Mann allerspätestens nach drei Tagen anrufen, weil es sich sonst für ihn nur um einen kurzfristigen Ausgleich seines Hormonhaushaltes gehandelt hat. Coras beste Freundin Jo (Jasmin Tabatabai) rät der Liebeskranken, den Kerl einfach zu vergessen. Doch wer hört in so einem Fall schon auf seine liebsten Freunde? Besonders wenn man noch fast sechs Stunden Zeit hat, um sich abzulenken mit Rauchen, Lesen, Baden, Fernsehen, Essen, Musik hören oder Seilspringen, alles natürlich in Reichweite des Telefons.

Schon Ende der siebziger Jahre sprachen Historiker vom „Zeitalter des Narzißmus“, der die ganze Welt zur Bühne immer offener produzierter Selbstdarstellungen erklärte. In „Mondscheintarif“ leben die Singles unter Berliner Dächern in riesigen, aber dürftig bis lieblos möblierten Altbauwohnungen. In der Sommerhitze macht ein Paar in der Wohnung unter Cora einander das Leben zur Hölle. Der Mann, ein arbeitsloser Grafiker, bricht schluchzend an Coras Schulter zusammen, weil seine Ehefrau ein Kind erwartet. Überhaupt fällt in diesem Film die völlige Abwesenheit von Kindern und alten Menschen, ja sogar von Tieren auf: von allem, was irgendwie Verantwortung oder Verpflichtungen erfordern würde und der eigenen Subjektivität im Wege stehen könnte. So ist Cora etwa Ende zwanzig und ihre Freundin Jo noch ein paar Jahre älter, also in einem Alter, in dem eine Frau in aller Regel zumindest mit einem unerzogenen Hund, zwei mißratenen Kindern und einem langweiligen, fremdgehenden Ehemann geschlagen ist. Und natürlich haben all diese Singles kreative Berufe: Cora ist Fotografin und Jo Rundfunkmoderatorin, gehören also beide zur medienkompetenten Informations- und Kulturarbeiterklasse. Bei Fassbinder tauchten wenigstens noch gestreßte Supermarktkassiererinnen mit Pickeln und frustrierte Verwaltungsangestellte in geschmacklosen Cordhosen auf.

Ralf Huettners auf den äußersten Punkt der Abstraktheit zusammengeschnurrte Individuen, die in ihrem Narzißmus vor allem zu einem unfähig sind, zur Intimität nämlich, leben in einer fidelen, aber dennoch irgendwie trostlosen und entsinnlichten Einsamkeit. Im Vergleich zu ihrem erotischen Elend wirken die Doktorspielchen von Sechsjährigen geradezu erwachsen und von sinnlichem Raffinement erfüllt. Daß es sich dabei um keine Ausnahmesituation handelt, sondern um ein alltägliches, massenhaftes Verhalten, bestätigen die „Mondscheintarif“-Protagonisten bereits meilenweit vor jeder erotischen Aktion mit der falschen Unmittelbarkeit und der scheinbaren Naivität eines Lebensgefühls, das die Grenze zur realen Beziehungsunfähigkeit überschritten hat.

Es ist dieser Geschmack am Immergleichen, der den Besucher des deutschen Films auf eine vertrackte Art an die verkorksten Stilleben eines untalentierten, aber billigen Genremalers erinnert. Was als Satire auf den narzißtischen Privatismus, auf die Krise der elementarsten sozialen Beziehungen der Menschen oder den psychischen Horror dieser Beziehungslosigkeit vielleicht nicht einmal so übel wäre, scheint in mißglückten Komödien wie „Mondscheintarif“ als Abbild einer lebensästhetischen Konstruktion auf, die in der Realität bloß paradoxe Verkehrung ist. 


 
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