© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/01 26. Oktober 2001

 
Den Hahn des zusätzlichen Konsums zudrehen
Ökologie: Der SPD-Sozialpolitiker Friedhelm Farthmannn erhielt den Herbert-Gruhl-Preis
Edgar Guhde

Anläßlich des 80. Geburtstags des ökologischen Vordenkers und Politikers Herbert Gruhl (1921-1993) richtete die Herbert-Gruhl-Gesellschaft gemeinsam mit der Stiftung für Ökologie und Demokratie vom 19. bis 21.Oktober im Adam-Stegerwald-Haus Königswinter eine Tagung aus, um sein Werk wieder in Erinnerung zu rufen.

Bemerkenswert war schon der Auftakt, begann das Symposium doch mit der Verleihung des Herbert-Gruhl-Preises an den früheren SPD-Sozialpolitiker Friedhelm Farthmann - in Würdigung von dessen 1996 erschienenen Buch „Blick voraus im Zorn“. Dieser „Auftakt zu einem radikalen Neubeginn der SPD“ verdeutlichte, daß die traditionelle SPD-Sozialpolitik an ein Ende gekommen und nun ökologische Politik, also auch der Abschied vom fortwährenden wirtschaftlichen Wachstum angesagt sei. „Jeder Tausendmarkschein, der den Bürgern zusätzlich zur Verfügung steht und in den Konsum wandert, führt zu einer zusätzlichen Belastung unserer Umwelt.“ An anderer Stelle kritisiert der frühere SPD-Fraktionschef in NRW die „grüne“ Einwanderungspolitik, weil die Verhinderung weiterer Umweltbelastungen mit dem Streben nach Einwanderung von Menschen in großer Zahl im Widerspruch stehe. Mehr Menschen bedeuteten nun einmal mehr Zersiedelung, Verkehr, Abfall: „Wer diesen Zusammenhang nicht wahrhaben will, verabschiedet sich von rationaler Politik.“

In seiner Dankesrede mahnte der 70jährige, daß alle Energiesparmaßnahmen durch steigende materielle Ansprüche ad absurdum geführt würden. „Man muß den Hahn des zusätzlichen Konsums zudrehen - so einfach ist das. Ende der Durchsage. Ich glaube fast, es ist nicht politisch durchzusetzen, sondern es gilt das, was Herbert Gruhl offenbar in seinem letzten Buch ’Himmelfahrt ins Nichts‘ geschrieben hat. Das heißt, die Menschheit geht mit wehenden Fahnen ihrem Ende entgegen.“

Den Zusammenhang zwischen „Bevölkerungsdichte und irdischem Gleichgewicht“ betonte auch der nächste Referent, Wolfram Ziegler, Ingenieur an der TU München. Er wies die Bestimmung der anthropogenen Umweltbelastung durch die Energiefreisetzung pro Kopf und Flächeneinheit auf. Mit Hilfe eines hierauf fußenden Analyseverfahrens stellte er fest, daß die Anzahl der Menschen und der Konsum pro Kopf weltweit viel zu hoch sei. Bescheidenheit und Bevölkerungsschrumpfung müßten auch in Deutschland das Gebot der Stunde sein.

Gruhl hatte 1970 in seiner „Jungfernrede“ im Bundestag den Umweltschutz eingebracht und schon 1985 als erster die ökologische Steuerreform thematisiert, so daß das Thema „Die aufkommensneutrale ökologische Steuerreform: Herbert Gruhls Pionierleistung und die heutige Praxis“ nahelag. Darüber sprach Kai Schlegelmilch, Beauftragter des Bundesumweltministeriums für Klimaschutz und die ökologische Steuerreform, während Hans Christoph Binswanger von der Universität St. Gallen die Frage nach der pauschal positiven Bewertung aller regenerativen Energien aufwarf.

Kontroverser ging es zu, als Peter Paziorek, Umwelt-Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, über „Herbert Gruhl - ein CDU-Umweltpolitiker der ersten Stunde und seine Aktualität heute“ referierte. Gruhl war gewissermaßen einer seiner Vorgänger in dieser Position: „Mir hat Herbert Gruhls Vaterlandsliebe gefallen. Für mich war nationalkonservativ nie ein Schimpfwort.“ Paziorek sagte, die Aussagen des 1978er Programms „Grünes Manifest“ der von Gruhl gegründeten „Grünen Aktion Zukunft“ seien nahezu identisch mit den Aussagen des CDU-Grundsatzprogramms von 1994. Er bedauerte aber, daß der Begriff der „sozialen und ökologischen Marktwirtschaft“ im CDU-Programm durch „neue soziale Marktwirtschaft“ ersetzt wurde. Er mußte sich allerdings vorhalten lassen, daß die Unionsparteien von Struktur und Mentalität her unfähig seien, vom wirtschaftlichen Wachstum und damit der Umweltzerstörung und Tierausbeutung loszukommen; ihre Klientel und ihre Geldgeber müßten entsprechend bedient werden. Der Vorsitzende der Gruhl-Gesellschaft, Heinz-Siegfried Strelow, zitierte aus Gruhls Autobiographie „Überleben ist alles“ (1987): „Leider ist der Konservatismus in den letzten Jahren korrumpiert worden, indem sich die Industriellen hauptsächlich auf die Seite der Konservativen geschlagen haben. Eine eigenartige Verkehrung. Ausgerechnet diejenigen, die tagtäglich die Welt mit Neuerungen überschwemmen und den Leuten immerzu modernere Lebensgewohnheiten einreden, als Konservative zu bezeichnen. In Deutschland ist dies das Dilemma der C-Parteien; denn diese können ihrer Herkunft nach konservative und soziale Parteien sein, aber sie befinden sich fest im Griff ihrer geldmächtigen Förderer.“

Auch der Vorsitzende der Stiftung für Ökologie und Demokratie, Hans-Joachim Ritter (nach 1989 Nachfolger von Gruhl im Vorsitz der Ökologisch-Demokratischen Partei), würdigte die geschichtliche Bedeutung seines Vorgängers. Zwischen Ritter und seiner ÖDP-nahen Stiftung und den Vertretern der Gruhl-Gesellschaft herrschte Übereinstimmung in der Auffassung, daß Herbert Gruhl mit seiner Natur- und Heimatliebe „urkonservative Forderungen“ vertreten habe, die im ökologischen Sinn richtig waren und richtig bleiben.

Die Gruhl-Gesellschaft beschloß ihren Beitritt zur internationalen Dachorganisation EPOC, der Konföderation der Europäischen Pherologischen Organisationen, die sich wissenschaftlich mit der menschlichen Tragfähigkeit der Erde oder einzelner Regionen befaßt und meint, daß langfristig große ununterbrochene Räume freigemacht werden sollen, in denen sich die Ökosysteme der Welt ungestört entwickeln können und die Ressourcen sowie die wirtschaftliche, soziale und politische Stabilität dauerhaft gesichert werden. Das bedeutet: weniger Menschen.


 
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