© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/01 26. Oktober 2001

 
An ihren Taten sollt ihr sie erkennen
Hamburg: Koalitionsvertrag unter Dach und Fach / CDU dominiert den Senat / „Schill-Angst“ bei SPD im rot-roten Sachsen-Anhalt
Peter Freitag / Jörg Fischer

Nach hitziger Debatte hat die Hamburger FDP einer Koalition mit CDU und Schill-Partei am Montagabend zugestimmt. Damit wurde die letzte Hürde auf dem Weg zur bürgerlichen Regierung in der Hansestadt genommen. Streitpunkt unter den Liberalen war zum Schluß die von einigen Delegierten beklagte personelle Unterrepräsentierung der 5,1-Prozent-Partei im Senat. Denn nur ihr Spitzenkandidat Rudolf Lange ist dort als Schulsenator vertreten.

Tatsächlich gilt jedoch das Quertreiben eines Parteifreundes als Grund für die Querelen: Langes Kollege in den Koalitonsverhandlungen, der FDP-Bundestagsabgeordnete Rainer Funke, wäre gern Justizsenator geworden, da nach der Neueinteilung der Bundestagswahlkreise sein Verbleib im Reichstag ab 2002 als unwahrscheinlich gilt. Der Streit zwischen den liberalen Spitzen hatte pikanterweise zwei Verlierer: Lange erhielt kein „Super-Ressort“, da die Zuständigkeit für die Hochschulen ausgegliedert wurde, und Funke ging ganz leer aus.

Der designierte Erste Bürgermeister Ole von Beust (CDU) hatte unmittelbar vor dem Parteitag eine deutliche Warnung an die FDP gerichtet: Sollten sie ihre Zustimmung zum Koalitionsvertrag verweigern, müßten Neuwahlen angesetzt werden - ein Hinweis, der angesichts des knappen Einzugs der Mannschaft des Ex-Admirals in die Bürgerschaft als Schuß vor den Bug gewertet werden konnte. Schließlich stimmten 88 Delegierte des FDP-Parteitags für, 29 gegen den Koalitionsvertrag.

Für die CDU werden dem am 31. Oktober zu wählenden Senat neben Ole von Beust die beiden bisherigen Bundestagsabgeordneten Gunnar Uldall (Wirtschaft) und Birgit Schnieber-Jastram (Soziales) sowie Roger Kusch (Justiz) und Wolfgang Peiner (Finanzen) angehören. Wissenschaftssenator wird Jörg Dräger, ein parteiloser Naturwissenschaftler und Hochschullehrer.

Für die Partei Rechtsstaatlicher Offensive gehören Parteichef Ronald Schill als Innensenator und Zweiter Bürgermeister, Mario Mettbach für das Ressort Bau, Verkehr und Stadtentwicklung sowie Peter Rehaag als Senator für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz der zukünftigen Landesregierung an. Warum die Schill-Partei, die im Wahlkampf damit geworben hatte, kompetente Fachleute von außen in den Senat zu holen, alle von ihr gestellten Senatoren aus der Schill-Fraktion bezieht, bleibt rätselhaft. Die bisher politisch Unerfahrenen haben große Ressorts zu verantworten. Sie treffen auf einen SPD-dominierten Mitarbeiterstab - Schwierigkeiten à la FPÖ in Wien sind so vorprogrammiert. Unbesetzt bleibt nach der Absage von Nike Wagner, deren Ideen man aus fiskalischen Gründen nicht entgegenkommen konnte, weiterhin das Kulturressort: das Vorschlagsrecht hierfür besitzt die CDU.

Die inhaltlichen Bereiche der Koalitionsverhandlungen, die zum Teil schon in den vorigen Wochen ohne größere Schwierigkeiten zur Deckung gebracht worden waren (JF 43/01), sind nun im vierzigseitigen Koalitionsvertrag manifestiert. In der Präambel steht, daß sich alle Partner zu den „hanseatischen Tugenden“ der Weltoffenheit und Toleranz bekennen, und deshalb die Diskriminierung von Minderheiten ablehnen. Daß man es aber doch nicht allen Wächtern der politischen Korrektheit recht machen kann, beweist der Streit um den Teil der Justizvollzugsanstalt in Neuengamme, der einer Ausdehnung der dortigen KZ-Gedenkstätte entgegensteht. Die Koalitionäre lehnen im Vertrag eine Schließung der Anstalt ab, allerdings hatte in der vergangenen Legislaturperiode die CDU-Fraktion unter von Beust noch gemeinsam mit der rot-grünen Bürgerschaftsmehrheit einer Schließung zugunsten der Gedenkstättenerweiterung zugestimmt. Ob der neue Senat sich dem Druck entsprechender Interessengruppen beugt, bleibt abzuwarten.

Zum Thema Innere Sicherheit heißt es im Vertrag, die „uniformierte Präsenz“ werde massiv erhöht. Eine genaue Zahl der neu einzustellenden Polizeibeamten ist jedoch - anders als von Schill gefordert - nicht festgeschrieben worden. 50 Millionen Mark stehen zur Anwerbung von etwa 500 Polizisten zur Verfügung, ob sich aber tatsächlich so viele aus anderen Bundesländern bewerben, ist ungewiß. Hier ist zudem Widerstand anderer Innenminister zu erwarten, die nur ungern Beamte abgeben werden und Abwerbemaßnahmen schon jetzt als unsittlich bezeichnen.

Durchsetzen konnte sich Schill mit der Forderung, daß der Polizeischutz bei Großveranstaltungen wie Fußballspielen vom Veranstalter bezahlt werden muß. Auch das Vorhaben, unter Deutschen ausländischer Herkunft verstärkt für einen Eintritt in den Polizeidienst zu werben, entstammt dem Schill-Programm. Zur aktuellen Terrorismusbekämpfung beschloß der Bürgerblock die Regelanfrage beim Verfassungsschutz vor der Einbürgerung sowie die personelle Aufstockung der Behörde. Als verfassungsfeindlich eingestufte Organisationen und Einrichtungen sollen keine Fördermittel mehr bekommen.

Am 28. Oktober wird die Schill-Partei ihren Landesparteitag durchführen - Anlaß, auch über eine Ausdehnung der Partei nach Sachsen-Anhalt zu sprechen. Die bisherige Zahl an Beitrittsgesuchen, die allesamt ohne gezielte Werbemaßnahmen der Partei erfolgten, sei beeindruckend, verlautbarte die Parteiführung.

Und Manfred Püchel, dem dortigen SPD-Innenminister, schwant Böses: „Die Schill-Partei hat in der Bundesrepublik ein Wählerpotential, was nach Umfragen auf 20 Prozent geschätzt wird, dieses darf man nicht unterschätzen“, erzählte er dem MDR-Magazin „Fakt“. Dieter Klenke, SPD-Bürgermeister von Oschersleben, ahnt, was auf ihn zukommt. Er meinte in derselben Sendung: „Ich gehe ganz stark davon aus, daß Schill noch größere Stimmenergebnisse als 1998 die DVU erreichen wird, weil das ein Mann ist, der ein entsprechendes Charisma hat, er ist gebildet. Und wenn er das organisatorisch hinkriegt, nehme ich eine Größenordnung von 20 bis 25 Prozent an.“

Innerhalb von drei Monaten muß nun ein Landesverband entstehen. Allerdings - so hieß es aus Hamburg - seien unter den Schill-Aspiranten auch einige, die über politische Erfahrung verfügen. Wie etwa der 51jährige Biochemiker Jörg Rische, bislang CDU-Stadtrat in Wernigerode. Der Parteienforscher Peter Lösche bleibt im Spiegel jedoch skeptisch und verweist auf die Intergrationskraft von Otto Schily und CDU/CSU. Vielleicht sollte er mal von Göttingen fünfzig Kilometer in Richtung Osten fahren.


 
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