© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/01 26. Oktober 2001

 
„Grüne aus der Koalition drängen“
Der ehemalige FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms über den Berliner Wahlsieg und das Ziel für die Bundestagswahl 2002
Moritz Schwarz

Herr Dr. Solms, die FDP hat bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl am vergangenen Sonntag einen beeindruckenden Sieg errungen. Dennoch drängt sich der Verdacht auf, Ihre Gewinne sind lediglich auf den Zustrom enttäuschter CDU-Wähler und auf jene Berliner zurückzuführen, die eine rot-rote Koalition fürchten und deshalb auf eine Ampel hoffen.

Solms: Mit solchen Konstruktionen werden wir immer konfrontiert, wenn wir Erfolg haben. Tatsächlich aber liegen wir bei den Erststimmen nur einen Prozentpunkt unter unserem Zweitstimmenergebnis. Wir dürfen also getrost davon ausgehen, daß es unsere Wähler ernst mit uns meinen.

In Hamburg hat die FDP allerdings nur mit Heulen und Zähneklappern gerade mal die Fünf-Prozent-Hürde geschafft.

Solms: Das Ergebnis in Hamburg ist in der Tat nicht so glänzend. Wenn Sie allerdings bedenken, daß wir zuvor nicht in der Bürgerschaft vertreten waren und nun den Einzug geschafft haben, können wir wohl auch dieses Ergebnis mit gutem Gewissen als einen Sieg verbuchen, zumal wir obendrein an der Regierungsbildung beteiligt sind.

Bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl 1999 hatte die FDP gerade mal 2,2 Prozent erreicht, da liegt es doch nahe, die besonderen Umstände der Neuwahlen vom Sonntag als ausschlaggebend für Ihren Wahlsieg zu betrachten.

Solms: Seit damals hat die FDP einen Strategiewechsel vorgenommen. Bei der Bundestagswahl 1998 wurde nicht nur Kohl, sondern in der Tat auch die FDP abgewählt. Wir waren nur noch als Juniorpartner der Union erkennbar und unser Profil unscharf geworden. Aber als einzige Oppositionspartei haben wir die Lehre aus dieser Wahlniederlage gezogen und unsere Strategie geändert: Es wurde nicht nur das Personal verjüngt, sondern wir definieren uns heute zudem als eine unabhängige Partei, die sich vor allem ihrer gesellschaftspolitischen Philosophie verpflichtet fühlt.

In Hamburg koaliert die FDP mit dem rechten Schill, in der Hauptstadt mit den Grünen. Es sieht schon wieder aus, als würden Sie auf allen Hochzeiten tanzen?

Solms: Wir wollen in Berlin keine Ampel, aber wenn wir uns verweigern, heißt die Alternative Rot-Rot, und wir haben die Verantwortung, das zu verhindern. Im Vordergrund steht für uns nicht mehr das Schielen, welcher Partner kann uns zur Macht bringen. Daß diese Strategie der Selbständigkeit richtig ist, beweisen unsere Erfolge in den Ländern.

Ihr „Projekt 18“ ist eher eine Art Feldherrenrede vor der Schlacht, als daß es wirklich Substanz hätte. Spekulieren Sie auf Wahlsiege allein aus einer Welle der Hochstimmung heraus?

Solms: Nein, hinter dem „Projekt 18“ steht unser Strategiewechsel, also das neue Selbstverständnis, eine eigenständige Partei statt Anhängsel einer Koalition zu sein.

In der Bundeshauptstadt werden nun FDP und SPD - und natürlich die Grünen - koalieren. Ist das ein gelb-roter Probelauf für den Bund nach der Bundestagswahl 2002?

Solms: Diese Entscheidung liegt bei den Herren Wowereit und Schröder. Wollen sie eine Koalition mit der PDS? Oder werden wir ein ernsthaftes Angebot erhalten? Wir wollen nicht um jeden Preis in die Regierung, sondern nur dann, wenn wir unsere liberalen Grundsätze auch in ausreichendem Maße einbringen und wahren können.

Herr Westerwelle will doch 2002 Rot-Gelb.

Solms: Wir werden ohne Koalitionsaussage in die Bundestagswahl gehen. Wir werden unserer neuen Strategie der Unabhängigkeit treu bleiben. Der Wähler wird entscheiden, welche große Partei den Führungsauftrag erhalten wird.

Spekulieren Sie darauf, bei der Bundestagswahl von der voraussichtlichen Schwäche der CDU zu profitieren?

Solms: Wir rechnen damit, daß die Bindungskraft der Volksparteien insgesamt zurückgeht. Das hat sich auch schon am Sonntag in Berlin gezeigt, denn das Ergebnis der vorschnell als Sieger gefeierten SPD ist ja mit lediglich 29,7 Prozent alles andere als gut. Tatsächlich ist es immer noch eines der schlechtesten Ergebnisse, die die Berliner SPD je hatte. Wenn Sie also davon ausgehen, daß die Volksparteien sich einem Wählerstamm von nur noch 30 Prozent nähern, ergeben sich für die FDP natürlich ganz neue Perspektiven.

Ist die SPD denn der richtige Partner für die FDP, die ja wirtschaftlich modernisieren will?

Solms: Die CDU war auch nicht besser; was Norbert Blüm und die Sozialausschüsse nicht zugelassen haben, war unmöglich. Da nehmen sich die beiden Volksparteien nichts, beide sind unflexibel. Inzwischen sind aber die Probleme so groß geworden, daß den Volksparteien auch die für sie üblichen halbherzigen Reformen nicht mehr über die nächste Wahl hinweghelfen. Auch deshalb haben wir nun ganz neue Spielräume, unsere Vorstellungen endlich zu verwirklichen. Egal, mit wem wir regieren, die FDP wird sich immer als der Motor für Verschlankung und Modernisierung erweisen. Das ist unser Auftrag.

Um eine Koalition mit der SPD zu zimmern, müssen Sie nächstes Jahr die Grünen in der Gunst Gerhard Schröders ausstechen. Außerdem werben FDP und die Alternativen teilweise um dasselbe postmaterialistische Wählerpotential. Sind 2002 also die Grünen der Gegner?

Solms: Natürlich sind die Grünen unser Hauptgegner, weil wir die Mitte besetzen und sie auch in der Tat aus der Koalition verdrängen wollen. Die Grünen haben am Sonntag die dreißigste Wahl in Folge verloren, auch wenn sie in Berlin mit nur einem Prozentpunkt Verlust vergleichsweise milde davongekommen sind.

Zwischen dem vergangenen Sonntag und der Bundestagswahl 2002 liegt allerdings noch die Wahl in Sachsen-Anhalt. Droht die besondere politische Unwägbarkeit dieses Landes nicht Ihren Siegeszug kurz vor der Bundestagswahl noch jäh zu unterbrechen?

Solms: Nein, wir sind auch für diese Wahl zuversichtlich. Die Schlappen von früher werden sich nicht wiederholen.

Bislang gelang es der FDP kaum, in den neuen Ländern Fuß zu fassen.

Solms: Die Wahl in Berlin macht uns zuversichtlich, denn wir haben nicht nur in ganz Berlin 9, 9 Prozent geholt, sondern im für uns traditionell sehr schwierigen Ostteil der Stadt immerhin 5, 2 Prozent. Wenn Sie nun die Zusammensetzung der Wählerschaft in Ost-Berlin mit der in Sachsen-Anhalt vergleichen, dann können wir dort getrost mit sieben bis acht Prozent rechnen. Wir haben bereits bei den Kommunalwahlen dort gute Ergebnisse erzielt. Und in Sachsen zum Beispiel stellen wir mehr direkt gewählte Bürgermeister als SPD und PDS zusammen! Das ist außerhalb Sachsens noch gar nicht so richtig bekannt und sollte zur Kenntnis genommen werden. Mit der FDP muß man künftig auch in den neuen Ländern rechnen.

Zu ihren Kernkompetenzen zählt die FDP gerne das Thema Recht und Gesetz und versteht sich selbst als „die“ Rechtsstaatpartei. Innenminister Otto Schily plant nun diesbezüglich im Namen der Terroristenbekämpfung eine Reihe schwerster Einschnitte.

Solms: Wir bemühen uns in dieser Sache um eine sehr differenzierte Position, natürlich werden wir wirklich effektive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zum Schutz der Bürger mittragen. Wo es aber andererseits zu weit geht, werden wir klar widersprechen. Wenn Herr Schily endlich seinen zweiten Maßnahmenkatalog auf den Tisch legt, werden wir jeden Punkt kritisch durchleuchten und abwägen.

Der ehemalige FDP-Bundesinnenminister Gerhard Baum schlägt da aber wesentlich härtere Töne an.

Solms: Erst wenn die Vorschläge endgültig auf dem Tisch liegen, werden wir sie im einzelnen bewerten können.

Es steht zu befürchten, daß die FDP unter dem Druck der politischen Korrektheit in Sachen Terrorismusbekämpfung in ihren rechtsstaatlichen Überzeugungen einknicken wird.

Solms: Die Bilder des 11. September beeindrucken uns alle sehr, aber wir werden sehr nüchtern prüfen, was notwendig ist und was nicht. Eine staatliche Zentrale zur Kontrolle der Bankkonten haben wir bereits abgelehnt, weil die Banken diese Aufgabe tatsächlich selbst erfüllen können.

Die FDP hat maßgeblich an der Liberalisierung des Einwanderungsrechtes mitgewirkt. Haben Sie heute ein schlechtes Gewissen, wenn Sie sehen, daß damit auch Terroristen und Extremisten die Tore geöffnet wurden?

Solms: Nein, wir wollen die Einwanderung, allerdings nach eigenem Bedarf. Natürlich müssen wir aber sicherstellen, daß unser Land nicht zum Sammelplatz von Fundamentalismus und Terrorismus wird. Da muß in Zukunft eine schärfere Kontrolle der Einwanderer erlaubt sein.

Die andere Herausforderung für die FDP in puncto „Rechtsstaatpartei“ ist natürlich die Partei Rechtsstaatlicher Offensive des Richters Schill.

Solms: Wenn Sie sich die Koalitionsvereinbarungen in Hamburg ansehen, dann stellen Sie fest, daß wir uns weitgehend durchgesetzt haben. Herr Schill hat viele seiner Forderungen zurücknehmen müssen, und bei der jetzt getroffenen Vereinbarung handelt es sich tatsächlich um ein liberales Ergebnis.

Hat die FDP vielleicht nicht das Attribut „Rechtsstaatspartei“ zu lange nur im Sinne der Besserverdienenden, als Schutz vor dem Staat, statt auch im Sinne des kleinen Mannes, als Schutz durch den Staat, interpretiert?

Solms: Nein, diesen Aspekt haben wir schon Anfang der neunziger Jahre aufgegriffen. Doch als Hauptproblem erwiesen sich damals nicht fehlende Gesetze, sondern der mangelhafte Vollzug derselben. Da müssen die Defizite behoben werden - in diesem Punkt hat Richter Schill ja auch völlig recht, und die FDP drängt ja seit langem auf Fortschritte.

Fürchten Sie die bundesweite Ausdehnung der Schill-Partei?

Solms: In Hamburg haben wir es mit einem neuen Phänomen zu tun, nämlich einer Ein-Thema-Partei. Ihr Erfolg erklärt sich daraus, daß sie dort mit ihren Parolen auf eine spezifische Situation gestoßen ist. Die rot-grüne Hamburger Regierung hat seit Jahren die Verbrechensbekämpfung sträflich vernachlässigt.

Die Schill-Partei verliert also außerhalb Hamburgs ihren Humus?

Solms: Und ist daher kein Faktor für eine bundesweite Partei wie die FDP.

Sollte es Schill allerdings gelungen sein, die Wähler auch in ihrer Politikverdrossenheit anzusprechen, so wäre sein Erfolg jederzeit überall wiederholbar, da dieses Phänomen überall in der Bundesrepublik zu beobachten ist.

Solms: Es ist natürlich möglich, daß Herr Schill auf diesen Effekt spekuliert.

Dann wäre - als eine der etablierten Parteien - auch die FDP betroffen.

Solms: In diesem Falle werden wir die Schill-Partei politisch bekämpfen, aber ich glaube nicht, daß wir uns vor Schill fürchten müssen.

Wenn die FDP ihr Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit ernst meint, muß sie dann bei einer Regierungsbeteiligung 2002 nicht für eine Revision des CDU-Unrechts bezüglich der Enteignungen sorgen?

Solms: Wir waren ja diejenigen, die damals schon widersprochen und einen Gegenantrag im Bundestag eingebracht haben. Die CDU muß in der Tat ein schlechtes Gewissen dafür haben, was sie damals gemacht hat. Natürlich hoffen wir, daß den Betroffenen hier und da noch entgegengekommen wird, aber die Entscheidung ist damals so gefallen, und zehn Jahre Aufbau in den neuen Ländern fußen mittlerweile unwiderruflich darauf.

 

Dr. Hermann Otto Solms geboren 1940 in Lich, Kreis Gießen. Nach Abitur und Wehrdienst absolvierte er zunächst eine Banklehre. Anschließend studierte er Wirtschaftswissenschaften und Landwirtschaft an den Universitäten Frankfurt, Gießen und Kansas State. Von 1973 bis 1976 war er persönlicher Referent der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Liselotte Funcke. Danach arbeitete er als selbständiger Unternehmer. 1971 trat Hermann Otto Solms in die FDP ein, seit 1987 ist er Schatzmeister der Liberalen. 1980 wurde er das erste Mal in den Bundestag gewählt. Von 1985 bis 1991 war er Vize-Chef und danach bis Oktober 1998 Vorsitzender der FDP-Fraktion. Seither ist er Vizepräsident des Deutschen Bundes-tages und Mitglied im Fraktionsvorstand.

 

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