© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/01 19. Oktober 2001

 
Tristesse des Erwachsenseins
Kino: In „Ghost World“ von Terry Zwigoff wechseln Melancholie und Komik
Ellen Kositza

Während die alberne Teenie-Komödie „American Pie 2“ derzeit deutsche Kinosäle füllt und dort zeigt, wie witzig-spritzig amerikanische Adoleszenten „Party machen“, nähert sich „Ghost World“ auf völlig andere Weise jungem US-Leben nach der High-School. Der Film basiert auf dem in Amerika sehr populären gleichnamigen Comic von Daniel Clowes, der im vergangenen Jahr auch in Deutschland als Bildergeschichte aufgelegt wurde und bereits auf eine erhebliche Anhängerschaft verweisen kann.

Die Freundinnen Enid (Thora Birch aus „American Beauty“ und, jüngst, „The Hole“) und Rebecca (Scarlett Johansson) haben gerade die Schule abgeschlossen und sind auf der Suche nach einem Job, einer gemeinsamen Wohnung und nebenbei dem Sinn des Lebens. Enid, die leicht exzentrische Hauptperson der Geschichte, besucht nebenher eine Kunstschule und lebt mit ihrem ultraliberalen Papa zusammen. Der nennt sie liebevoll „Pummelchen“ und hat großes Verständnis für die Launen seiner Tochter.

Enid ist der Typ Mädchen, den man sich selbst in der Jugendzeit zur Freundin gewünscht hätte, immer in Bewegung, voller verrückter Ideen und mit einem kalten Lächeln für die gängigen Mädchenthemen Mode, Diät, gerade angesagte Musik und vor allem Jungs, Jungs, Jungs und wie man ihnen am geschicktesten gefallen könnte. Enid ist anders, wechselt wöchentlich ihren jeweils sehr eigenen Kleidungsstil und inszeniert sich selbst als immer neue Person. Die Frage, die sie in allerlei Variationen umtreibt, ist die, wie sich’s bloß leben läßt als Erwachsene, und das in einer Vorstadt-Szenerie, die durch endlose Einkaufspassagen und gesichtslose Konsumidioten dominiert erscheint.

Kann man, wenn man sich selbst ernst nimmt, fetten Leuten fettiges Popcorn verkaufen und dabei lächeln? Warum haben dicke Mütter dicke Kinder und ziehen denen Sportschuhe mit Blinke-Blinke-Lämpchen an? Kann man sich auf Gespräche mit spitzbärtigen Möchtegern-Avantgardisten einlassen, deren Coolness nur den Vorgaben gängiger Szenezeitschriften Folge leistet? Gibt es überhaupt Männer, die einem würdig sind? Dabei verbirgt sich hinter Enids oft schrillen, aber immer mit gewissem „Stil“ durchgeführten Auftritten eine ganz stille, bisweilen traurige Geschichte vom Erwachsenwerden in einer Welt, in der das „Normale“ unbefriedigend und leer erscheint und selbst Exzesse ihren gesellschaftlichen Rahmen haben. Das stellt sich für Enid in ihrem Kunstkurs dar; hier sind Sozialpädadogik und „Selbsterfahrung“ die Norm des Ästhetischen, und Anerkennung erhält nicht der Talentierte, sondern derjenige, der sein „Und das habe ich mir dabei gedacht“, die Anleitung zum Kunstwerk also, am politisch korrektesten zu formulieren vermag.

Es ist Enids Idee, auf Kontaktanzeigen zu antworten und derbe Scherze mit den inserierenden Männern zu treiben. So lernt sie gemeinsam mit der spröde-hübschen Rebecca den verschrobenen, schon älteren Seymour (Paraderolle für Steve Buscemi) kennen, einen fanatischen Jazzplattensammler, behaftet mit den für Sammler typischen Kontaktproblemen. Seymour merkt wohl, daß Enid gemeinen Spott treibt mit seiner ungelenken Art, aber Enids Blick auf ihn hat sich bereits gewandelt, sie hat in dem verklemmten Außenseiter einen Seelenverwandten gefunden.

Zur Krise kommt es, als Seymour plötzlich Blue Jeans trägt, eine langweilig-hübsche Blondine kennenlernt - eine, die ihn, wie Enid ihn kennt, gar nicht wirklich interessieren dürfte - und gleichzeitig die Kluft zwischen Enid und Rebecca unüberbrückbar wird. Rebecca hat fleißig in verschiedenen Cafes und Imbissen bedient und bezieht nun allein eine Wohnung im spießigen Vorortmilieu von Los Angeles. Nicht ohne Stolz führt sie der Freundin ein aus der Schrankwand klappbares Bügelbrett vor - hier ist sie also, die von Enid so gefürchtete Tristesse des Erwachsenseins ... So wechseln sich in „Ghost World“ melancholische Stimmungen und vitale Komik ab und ergeben ein sehr sehenswertes filmisches Kleinod.


 
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