© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/01 19. Oktober 2001

 
Frankfurt im Schatten des Terrors
Buchmesse: Der Schwerpunkt Griechenland ist von den Ereignissen verdrängt worden
Kurt Wolff

Die Frankfurter Buchmesse ist übersichtlich geworden. Das liegt an den breiteren Gassen zwischen den Ständen und am 11. September, der bekanntlich oder anscheinend nichts so gelassen hat, wie es einmal war. Etwa fünfzig Verlage haben ihre Anmeldung zurückgezogen, etwa 20 Prozent weniger Besucher wurden verzeichnet.

Für viele Bereiche ist das nicht wirklich wichtig, weil die Veränderung des Nichts bloß ein anderes Nichts ergibt. Für Griechenland ist es tragisch, weil es als Messeschwerpunkt eigentlich im Mittelpunkt des Interesses stehen sollte, nach den New Yorker Anschlägen jedoch nicht in der Lage war, die Entmannung des Kronos als mythische Matrize an die Aufarbeitungsfront zu werfen und so verlorenen Öffentlichkeitsboden durch bildhaftes und mythisches Gegenzuhalten wieder gutzumachen.

Allgemein aber hat die Fieberwelle der großen Attacke Gehirnregionen in einer Breite angegriffen, die selbst mit Feuilletonvokabeln wie „Totalkonditionierung“ oder „selbstmanipulativer Endsieg“ nur tendenziell, nicht umfassend beschrieben werden können.

Erstes Beispiel: Ullstein wirft eine Biographie über Osama bin Laden auf den Markt. Sie war für Dezember vorgesehen, wurde jedoch aus naheliegenden Gründen bereits zur Buchmesse gebracht. Zunächst werden100.000 Exemplare ausgeliefert, selbst für einen großen Verlag eine große Sache. Während der Buchmesse nun spielt Ullstein das ganz große Verbrämungstheater. Ein leicht feister Verlagssprecher bemüht sich, seinen inneren Reichsparteitag über den unverhofften Bestseller nicht vor laufenden Kameras abzufeiern. Vielmehr wählt er eine abwägende Miene und gesteht, daß es sich der Verlag nicht leicht gemacht habe mit der Entscheidung, die Biographie überhaupt zu bringen: ethische Gründe, der (mündigen/interessierten/zivilen) Öffentlichkeit nichts vorenthalten, aber darf man verdienen am Leid der Opfer, und wann siegt der Terror: wenn das Buch kommt oder wenn es gestrichen wird? Es ging aber eher um Korrekturen von Auflagenzahlen, Neuorganisation des Drucks, rasend schnelle Endlektorierung des Buchs und Erarbeitung eines stimmungszugeschnittenen PR-Konzepts, das unter anderem für den Verlagssprecher die Verbrämungsstrategie nebst Argumentationshilfe festlegte.

Zweites Beispiel: Im Dezember 2001 läuft in den Kinos das erste Buch von „Der Herr der Ringe“ an, bis Dezember 2003 folgen die anderen beiden Teile von Tolkiens großem Phantasieepos über den Ringkrieg der Guten gegen die Bösen. Vor der Merchandising-Welle, die bereits angelaufen ist, graut es jedem, der im Kopf den Film, die Bilder zum Buch längst sieht und in ihnen lebt. Der 11. September jedoch verpaßte der ganzen Sache eine weitere Dimension: Auf der Buchmesse wird der „Herr der Ringe“ am extra dafür aufgebauten Stand von Besuchern als Analogie des Kampfs der zivilisierten Welt gegen den internationalen Terrorismus, verortet im mordornen Afghanistan, interpretiert, wobei kenntnisreich Analogien bis ins Detail verfolgt werden. Dies alles wird jedoch dem Absatz von Hobbit-Whoppern mit Sauron-Soße oder Funny Frodo und Gollum Glitschi in jedem siebtem Ei nicht schaden.

Drittes Beispiel: Selbst christliche Verlage rücken in ihrem Verlagsprogramm die vermittelnden Texte zum eigentlichen, also friedlichen, Islam in den Vordergrund. Das wäre an sich sehr lehr- und aufschlußreich, wenn es aus echtem Wissen und nicht aus Schwäche geschähe: Leider zeigen Gespräche, daß lediglich mangelnder Mut zum Ja zur neuen Front dahintersteckte. Daneben die kleinen Buchten der islamischen Verlage, in denen junge Männer beinahe übereinander sitzen und in einer Mischung aus Aufforderung und Argwohn nach draußen in den Gang sprechen. Das Gespräch beginnt mit einem Wortschwall des Dementis, der Beteuerung und der Distanzierung, Floskeln, die man bisher nur von Deutschen im Dialog über historische Themen gewohnt war. Derweil liest Cem Özdemir bei Klett „Romeo und Julia“ auf schwäbisch vor.

Und dies alles ermüdet viel mehr als der endlose Rundgang durch alle Hallen und an tausend Büchern vorbei. Man weiß: Es ist etwas passiert. Man spürt: Noch nicht einmal das hat die Gemüter entgleisen lassen. Man sucht: den Ausgang.


 
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