© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/01 19. Oktober 2001

 
Kolumne
Pyrrhussiege
Andreas Mölzer

Das Vietnam-Trauma sitzt in den USA tief. Nach einem militärischen Engagement im Zuge dessen man alle Kräfte aufgeboten hat, mußte man jämmerlich mit Hubschraubern und Fliegern aus Saigon vor den häufig belächelten Vietcong fliehen. Natürlich wollen die Amerikaner nun auch von der Roten Armee lernen und deren Fehler im Afghanistankrieg der achtziger Jahre vermeiden - einen lange andauernden infanteristischen Krieg im unwegsamen Gebirgsgelände gegen kriegsgewohnte Partisanen.

Deshalb wird wieder ein kosmetisch sauberer Krieg mit punktgenauen Schlägen aus der Luft angestrengt, um selbst den bei Kommandounternehmen möglichen Blutzoll zu vermeiden. Ob dabei das Taliban-Regime insgesamt weggefegt werden kann, scheint fraglich. Die Strategen der „one world“ rätseln allerdings seit Jahren, wie man solcher Konfliktherde Herr werden könnte. Die Illusion, in solchen Gebieten westliche Demokratie zu implantieren und womöglich erfolgreiche soziale Marktwirtschaft, ist ohnehin längst gestorben. Die Frage ist vielmehr, wie schafft man ein Minimum an Existenzmöglichkeiten für die jeweilige Bevölkerung unter einem Regime, das einigermaßen in die Völkergemeinschaft eingegliedert werden kann und nicht als Basis für den internationalen Terror dient. Für die Fehler, die man diesbezüglich in Afghanistan gemacht hat, steht die Person Osama bin Laden als kurioses Beispiel.

In einer Zeit, in der die USA, Rußland, China und die meisten Staaten der Dritten Welt an einem Strang ziehen, sind solche nationalistisch oder religiös motivierten Widerstandszellen, die vom Westen naturgemäß als „Schurkenstaaten“ gebrandmarkt werden, die einzigen unkontrollierbaren Elemente. Ansonsten können die USA - mehr oder minder formal legitimiert durch UN-Mandate oder solche der Nato - schalten und walten, wie sie wollen. Die militärischen Erfolge, sei es auf dem Balkan, sei es im Irak und sei es wohl nunmehr auch in Afghanistan, entpuppen sich da zumeist als Pyrrhussiege, die keinen dauerhaften Frieden schaffen können.

Da muß man sich fragen, ob es auf Dauer nicht notwendig sein wird, religiöse und nationalkulturelle Eigenheiten der Völker zu achten, um ihnen den fanatischen und wahnwitzigen Widerstand gegen die geistig kulturelle Globalisierung zu ersparen und damit auch dem Terrorismus das Wasser abzugraben.

Eine Politik in diese Richtung ist jedenfalls gegenwärtig bei den herrschenden Kräften des Westens, insbesondere in den USA, aber auch in der Europäischen Union, nirgendwo wirklich feststellbar.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der österreichischen Wochenzeitung „Zur Zeit“.


 
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