© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/01 19. Oktober 2001

 
Von Spannung keine Spur
Berlin-Wahl I: Dominanz der linken Parteien frustriert CDU-Anhänger / PDS stagniert / FDP könnte Grüne überholen / Rechtsparteien ohne Chance
Markus Schleusener

Wenige Tage vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus am kommenden Sonntag schwankt die Stimmung in Berlin zwischen Desinteresse und Langeweile. Obwohl die Stadt zwei gewaltige Skandale hinter sich hat, verlief der Wahlkampf in der geamten Schlußphase ausgesprochen zähflüssig. Die Krise der Bankgesellschaft erregte genauso wenig die Gemüter wie der Wortbruch der SPD, die die PDS hoffähig gemacht hat. Die Sozialdemokraten sammeln in der weltpolitischen Krisenstimmung die Reste der Grünen-Wähler ein. Die FDP profitiert von einer spürbaren Verärgerung der CDU-Wähler. Die PDS konnte überraschenderweise auch mit ihrem Joker Gysi nicht punkten.

Würde Richter Schill mit seiner Partei Rechtstaatlicher Offensive zur Berlin-Wahl antreten, so erhielt er fast 20 Prozent. Dies besagte eine Meinungsumfrage. Aber eine Schill-Partei gibt es in der Spree-Metropole genauso wenig wie einen gnadenlosen Richter. Der ehemalige CDU-Abgeordnete Wolf-Dieter Zupke, der eine „Pro-Partei Berlin“ ins Leben gerufen hat, wartet bis heute auf den Ritterschlag durch die Hamburger Parteiführung. Diesen hat Schill bislang verweigert. Die Minigruppe tritt nur in einem Bezirk an und repräsentiert alles andere als eine politische Erneuerung Schill’scher Prägung.

Auch die anderen kleinen Parteien spielen keine nennenswerte Rolle. Weder die Republikaner unter ihrem Spitzenkandidaten Konrad Voigt (80) noch die NPD mit ihrem Parteichef Udo Voigt (49) an der Spitze dürfen sich allzu großen Hoffnungen hingeben. Für die Republikaner wäre es schon ein Erfolg, wenn sie ihr Ergebnis der letzten Wahl am 10. Oktober 1999 von 2,7 Prozent annähernd halten könnten. Die NPD hofft auf ein Resultat, daß ihr eine Wahlkampfkostenrückerstattung garantiert; vor zwei Jahren kam die Partei gerade auf 0,8 Prozent.

Vor einer Wahlschlappe steht auch die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Frank Steffel (35). Von ihren 40,8 Prozent bei der letzten Wahl ist sie laut Umfragen mehr als zehn Prozentpunkte entfernt. Ihre aussichtslose Situation hängt mit der überwältigenden linken Mehrheit in der Stadt zusammen. Seit die SED-Nachfolgeorganisation nunmehr als bündnisfähig angesehen wird, kann sich die CDU im Westteil der Stadt zu Tode siegen. Sie wird keine eigene Mehrheit erreichen und steht ohne Koalitionspartner auf verlorenem Posten. Dies demotiviert ihre CDU-Anhängerschaft stärker als die Krise der Bankgesellschaft.

Einzig die FDP käme als Partner in Betracht. Die politische Großwetterlage müßte sich aber schon deutlich verschieben, damit eine CDU/FDP-Koalition in erreichbare Nähe rückt. 1995 und 1999 - in einer für die CDU positiven Stimmung - haben die Liberalen darauf gesetzt. Die CDU aber beteuerte ihre Treue zum Partner SPD und zeigte der FDP stets die kalte Schulter. So erlitten die Liberalen zwei demütigende Niederlagen. Diesmal hat die Partei wohlweislich auf eine Koalitionsaussage verzichtet.

Mit Sprüchen wie „Lieber Rexrodt als Rot-Rot“ präsentiert sich die FDP in diesem Wahlkampf selbst als das geringere Übel. Dazu zeigt ihr Wahlplakat ein rotes und ein blaues Ampelmännchen auf gelbem Hintergrund. Diese blaue Figur sucht man auf deutschen Straßen vergeblich. Ein grünes Ampelmännchen hätte aber wohl nicht so richtig ins Konzept gepaßt. Besser als anhand dieser Farbspielerei läßt sich die organisierte Beliebigkeit auf der politischen Bühne der Hauptstadt kaum darstellen.

Der Erfolg ist der Partei von Ex-Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (60) dennoch genauso sicher wie die Beteiligung an einer Ampelkoalition. Dies setzt allerdings die Bereitschaft der SPD dazu voraus. Rexrodt hat sich bereits entsprechend geäußert, mit Widerstand aus den eigenen Reihen ist kaum mehr zu rechnen. Die letzten Nationalliberalen hat der „Mister Wirtschaft“ gespalten, indem er sie teils eingekauft, teils mundtot gemacht hat. Zudem lechzt die ganze Partei nach den einträglichen Senatorenposten und dem Rückkehr an die Macht.

Der Wahlkampf der Liberalen erinnert nicht im entferntesten an das Erfolgkonzept von Richter Schill oder an die erfolgsverwöhnte FPÖ. Im Gegenteil: Günter Rexrodt ließ verkünden, er stehe dem ehemaligen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl skeptischer denn je gegenüber und wolle ihn im Wahlkampf in der Hauptstadt nicht sehen. Einzig der CDU-Kandidat Markus Roscher versucht sich im Erfolg Haiders zu sonnen. Der ehemalige nationalliberale FDP-Frontmann empfing vergangene Woche öffentlichkeitswirksam eine hochrangige Delegation aus der österreichischen Hauptstadt.

Die SPD hält sich bislang bedeckt, was die Mehrheitsbildung nach der Wahl angeht. Bürgermeister Klaus Wowereit (48) hofft noch auf eine rot-grüne Mehrheit. Sein Parteivorsitzender Strieder hat sich dagegen für ein rot-rotes Bündnis ausgesprochen. Alle Umfragen sehen die Genossen mit einem guten Drittel aller Stimmen als stärkste politische Kraft in der Stadt. Vor zwei Jahren lag sie mit 22,4 Prozent noch weit hinter der Union. Mit einem Abstand von zehn oder mehr Prozent zur CDU ist aber nicht zu rechnen, obwohl SPD-nahe Institute wie Forsa dies immer wieder prognostizieren.

Die Stärke der SPD liegt im Bundestrend und ist nur mit den Anschlägen von New York und Washington sowie deren Folgen zu erklären. Die steigende Zahl der Befürworter einer Bundeswehr-Beteiligung an den Vergeltungsaktionen scheint zudem mit dem Absinken der PDS in der Wählergunst zu korrelieren. Deren Haltung zu dem Thema ist allerdings weitestgehend eindeutig.

Gregor Gysi (53) hat alle Register in diesem Wahlkampf gezogen. Trotzdem steht auch er vor einem bestenfalls stagnierenden Ergebnis seiner Partei. Er hat sich weit aus dem Fenster gelehnt und sogar US-Militäraktionen bejaht. Er hat in einem Prozeß gegen einen Kindermörder seine Rolle als Vertreter der Nebenklage medienwirksam genutzt. Vorige Woche hat er 130 prominente Unterstützer mobilisiert, darunter Künstler wie Konstantin Wecker und sogar die Kinder des DDR-Regimekritikers Havemann.

Trotzdem sinkt der Stern des aufgeplusterten Ost-Volkstribuns. Vielleicht wirkt sich jetzt das negativ aus, was ihm die Popularität erst eingebracht hat: seine zahllosen medialen Auftritte. Im Fernsehzeitalter werden die Zuschauer irgendwann müde, wenn sie dieselbe Person immer und immer wieder zu Gesicht bekommen. Der PDS-Star hat die Grundregel, seine Präsenz in der Öffentlichkeit wohl zu dosieren, grob verletzt und den Bogen überspannt.

Gysi hat außerdem seinen Bonus bei der Linken verspielt, indem er sich für Militärschläge ausgesprochen hat. Hinzu kommt, daß die neue weltpolitische Lage Ängste bei anderen Wählerschichten hervorruft, so daß sie sich lieber der staatstragenden SPD anvertrauen. Wowereit setzt gezielt auf solche Empfindungen. Als das Bombardement auf Afghanistan begann, wurden die Sicherheitsmaßnahmen in der Stadt sichtbar verschärft. Der Regierende Bürgermeister kündigte Kontrollen auf der Straße an und forderte die Berliner auf, ihre Personalpapiere stets bei sich zu tragen.

Andere Inhalte bestimmen kaum mehr den anstehenden Urnengang. Der Parteienstreit reduziert sich insgesamt auf Belanglosigkeiten. So wurde beispielsweise die FDP an den Pranger gestellt. Der Grund der Aufregung: Die Freidemokraten waren nicht autorisiert, das Ampelmännchen auf ihren Wahlplakaten zu drucken.


 
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