© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/01 19. Oktober 2001


Zeitgeschichte
Wilhelm Reich und Hitlers Outing
Angelika Willig

Gerade erst erschien das Buch über „Hitlers Frauen“, und nun müssen wir erfahren, daß der Casanova schwul gewesen ist. Nur warum sollte ein prominenter Schwuler solo auftreten und dadurch allen Verdacht auf sein „Geheimnis“ lenken? Die Nazi-Propaganda, die aus verlorenen Schlachten gewonnene machte, hätte mit Leichtigkeit auch einen Stockschwulen mit einer reizenden Ehefrau und fünf blonden Kindern ausstaffieren können. Statt dessen wurde aus dem unbeweibten Parsifal geradezu ein Kult gemacht - etwa um massenhaft Schwule in die NSDAP zu locken? Daß er „keine Zeit“ für eine Familie habe, wie Hitlers eigene Begründung lautete, ist auch Unsinn. Das hätte ein Friedrich II. sagen können, der neben seinen Kriegen noch geistige Interessen pflegte, aber auf dem Obersalzberg wurde bekanntlich die Zeit mit weit weniger relevanten Dingen verplempert als Windelnwaschen und Indianerspielen.

Der propagandistische Grund für den einsamen Wolf, zu dem Hitler sich stilisierte, ist ein ähnlicher wie bei den damaligen Hollywood-Schauspielern, die ebenfalls ihre Frauen versteckten, damit die Zuschauerinnen den kassenträchtigen Gedanken hegen konnten, sie seien die einzige, die den schwergeprüften Helden dereinst glücklich machen könnte. Eva Brauns Lieblingsschauspieler war nicht umsonst Clark Gable, dem sie die Hauptrolle in einem nach dem Muster von „Vom Winde verweht“ gedrehten Leinwandopus über die Jahrhundertromanze im Schatten der großen Politik geben wollte. Wenn es so weitergeht mit der Privatisierung des großen Diktators, wird der Film bald anlaufen - wahrscheinlich mit Julia Roberts.

Worum es dem Bremer Historiker Lothar Machtan mit seinem soeben im Alexander Fest Verlag erschienenen Buch geht, ist jedoch keine Klatschgeschichte. Er will wieder die Geschichte neu schreiben und beweisen, daß Deutschland nicht auf jene grausigen Abwege gekommen wäre, wenn Hitler sich rechtzeitig als Schwuler „geoutet“ hätte. Die These von „Hitlers Geheimnis“ ist originell, aber durchaus zeitgemäß. Bekannt ist seit Wilhelm Reich, daß sexuelle Frustration oft in Aggression umschlägt und daher alles ausgelebt werden muß. Nichts anderes ist ja mit dem Zusatz „Und das ist auch gut so“ des Bürgermeister-Kandidaten in Berlin gemeint, als daß von einem sexuell aufgeschlossenen Politiker keine Verbrechen zu erwarten sind. Bisher fragte man sich: Warum hat Hitler sich 1934 für den reaktionären Parteiflügel entschieden? Endlich wissen wir es: Weil auf der anderen Seite Leute standen, die über sein „Geheimnis“ Bescheid wußten und die deshalb - unter einem politischen Vorwand - vernichtet werden mußten.

Die These von Hitlers Homosexualität ist einfach genial. Das Problem ist nur, daß es für sie kein einziges eindeutiges Indiz gibt, wie der Biograph Ian Kershaw erklärt. Statt dessen spricht historisch alles für die publizistisch völlig unergiebige Eva Braun. Es hat keinen Sinn, aus Hitler unbedingt einen Schwulen machen zu wollen. Netter wird er dadurch doch nicht.


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