© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
Zweifelhafte Verbündete
Afghanistan: Auch die Führer der Nordallianz haben massive Menschenrechtsverletzungen zu verantworten
Michael Wiesberg

Die Einnahme von Kabul durch die Taliban-Milizen am 26. September 1996 hat sehr schnell zu einem Revirement der politischen Kräfteverhältnisse in Afghanistan und der Region insgesamt geführt. Die nicht-paschtunischen Kräfte (Bevölkerungsanteil der Paschtunen: 40 Prozent) vereinigten sich erneut, wie bereits im Jahre 1992, zur sogenannten Nordallianz. Die gegen die Taliban gerichtete Nordallianz wird von dem vertriebenen ethnischen Tadschiken Burhanuddin Rabbani geführt, der bereits einmal Präsident von Afghanistan war und von den Taliban vertrieben wurde. Weitere führende Köpfe der Nordallianz waren der Anführer der bewaffneten Jamiat-i-Islami, der im vergangenen Monat mit ziemlicher Sicherheit von den Taliban ermordete Ahmad Schah Massud und der Usbeken-General Abdul Raschid Dostum, der die Organisation Junbish-i-Milli (Nationalislamische Bewegung) befehligt, die usbekischen Ursprunges ist und sich nach dem Zerfall der Sowjetunion im Jahre 1991 formiert hat. Deren Nachschubbasen liegen vor allem in dem von sunnitischen Muslimen bewohnten Usbekistan. Die Nordallianz wird politisch von Rabbani vertreten, der nach der Ermordung des de-facto-Verteidigungsministers Massud allein die politische Macht innerhalb der Nordallianz in Händen hält. Militärisch steht die Allianz mehr oder weniger unter der Führung des Generals Abdul Raschid Dostum, nachdem die Nordallianz unter Ahmad Schah Massud am 2. August 1999 die Kontrolle über die Provinzen Kapisa und Perwan an die Taliban verloren hat. Dies gilt nach Massuds Tod um so mehr.

Eine große Zahl der Mitglieder der nationalislamischen Bewegung, deren Stärke zwischen 15.000 und 160.000 schwankt, haben den Ruf, zu den am besten ausgerüsteten Kämpfern in Afghanistan zu gehören. Dies kommt nicht von ungefähr. General Abdul Raschid Dostum erhält aktive Unterstützung von Usbekistan und Rußland. Er bildete eine Allianz mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Gulbuddin Hekmatyar und war zunächst Teil einer Allianz, die gegen Rabbani gerichtet war. Dostum übte zusammen mit dem Armeegeneral Abdul Malik die faktische Kontrolle über fünf der sechs nordafghanischen Provinzen aus.

1997 wurde Dostum in einer Schlacht von Malik besiegt, der kurz vorher zu den Taliban überlief und schließlich aus Afghanistan floh. Den Taliban gelang es nach schweren Straßenkämpfen in der Folge das Zentrum der Nordallianz, die Stadt Mazaar-i-Sharif zu erobern. General Dostum mußte aus Afghanistan fliehen, und seine Bewegung fiel auseinander. Dostum kehrte jedoch schon bald aus seinem Exil aus der Türkei zurück.

Burhanuddin Rabbani, ursprünglich Dozent für islamisches Recht an der Universität von Kabul, wurde 1973 zum Vorsitzenden der Islamischen Gesellschaft (Jamiat-i Islami) ernannt, einer überwiegend aus tadschikischen Islamisten bestehenden Organisation, die sich zur dominierenden Partei in den persisch sprechenden Regionen des nordwestlichen bzw. westlichen Teiles von Afghanistan entwickelte. Rabbani erhielt zuerst materielle und finanzielle Unterstützung von der saudi-arabischen Regierung, die aber 1993 eingestellt worden zu sein scheint. Der frühere Präsident Rabbani erhebt den Anspruch, der legitime Regierungschef zu sein, und kontrolliert die meisten der afghanischen Botschaften im Ausland. Rabbani ist es zuzuschreiben, daß der afghanische Sitz in der Uno erhalten geblieben ist.

Rabbanis ehemaligem Militärbefehlshaber Ahmad Schah Massud gelang es, eine der raffiniertesten militärisch-politischen Organisationen aufzubauen, das Beratende Direktorium des Nordens (Shura-yi Nazar-i Shamali, SNC). Das SCN koordinierte die jamiatischen Befehlshaber in etwa fünf afghanischen Provinzen und schuf darüber hinaus eine bewaffnete Einheit, die sich schließlich in Massuds Islamische Armee verwandelte (Urdu-yi Islami). Diese kontrollieren den Nordosten, die ländlichen Regionen und das stategisch wichtige Panjschir-Tal im Norden von Kabul. Diese Region umfaßt auch die Opiumanbauregion Badakhshan. Es wird berichtet, daß einige von Massuds Befehlshabern sich immer wieder der Folter bedienten, um aus Gefangenen oder politischen Gegnern Informationen herauszupressen bzw. deren Willen zu brechen. Einige ihrer Opfer sollen zu Tode gefoltert worden sein. Der Konflikt in Afghanistan hat nicht erst seit dem 11. September eine internationale Dimension angenommen, die sowohl politische als auch ökonomische Aspekte aufweist.

Den USA ging es bisher darum, den iranischen Einfluß bei der Ausbreitung des Terrorismus und der Expansion der Märkte in dieser Region einzudämmen. Rußland hat die Regierung Rabbani in Kabul unterstützt und fürchtet, daß eine von Pakistan unterstützte Taliban-Bewegung expansionistisch werden könnte, was die russischen Interessen in Zentralasien empfindlich tangieren könnte. Rußland hat General Dostum deshalb 500 T 55 und T 62-Panzer und Raketen geliefert. Der usbekische Präsident Islam Karimov hat seinen Landsmann General Abdul Raschid Dostum bisher heimlich mit Panzern, Flugzeugen und technischen Personal unterstützt.

Dies tat er wohl vor allem mit der Erwartung, daß eine usbekisch dominierte Provinz im Norden von Afghanistan einen Puffer gegen die Ausbreitung des afghanischen Fundamentalismus darstellen könnte. Tadschikistan - von einem Bürgerkrieg geschüttelt und von einer Regierung beherrscht, die von Rußland gestützt wird -, hat des öfteren Sympathien für eine Regierung unter der Herrschaft des Tadschiken Rabbani erkennen lassen. Viele afghanische Tadschiken (Bevölkerungsanteil: 25 Prozent) unterstützten die Idee eines Groß-Tadschikistan, das die tadschikisch bewohnten Teile Afghanistans mit Tadschikistan vereint.

Auch Indien hat in den frühen neunziger Jahren der Regierung Rabbani und dem militärischen Oberbefehlshaber Massud technische und finanzielle Unterstützung zukommen lassen. Indien, so die Klage der Taliban, werbe Afghanen an, die terroristische Anschläge gegen afghanische Männer, Frauen und Kinder ausführten.

Menschenrechtler in den USA haben darauf hingewiesen, daß die Führer der afghanischen Nordallianz massive Menschenrechtsverletzungen zu verantworten hätten. Sie sei daher ein zweifelhafter Partner für die USA. Der Nordallianz werden Massenhinrichtungen, Plünderung und Brandstiftung vorgeworfen, weshalb ihre Legitimität in Afghanistan in Frage zu stellen sei. Opfer seien vor allem Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Paschtunen und Afghanen, die der Unterstützung der Taliban verdächtigt würden. Die Vorwürfe der Menschenrechtsorganisation richten sich konkret gegen Abdul Raschid Dostum, den Kommandeur der Hisb-i Wahdat, Hadschi Muhammed Muhakkik, sowie gegen Abdul Rasul Sajaf und Abdul Malik Pachlawan.


 
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