© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
Pragmatische Christen
Parteien II: CDU und Ring Christlich-Demokratischer Studenten veranstalteten Wertekongreß in Göttingen / Schäuble plädiert für religiöse Erziehung
Christian Vollradt

Am vergangenen Samstag hatten die niedersächsischen Landesverbände der CDU und des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) zu einem Wertekongreß nach Göttingen eingeladen. Der RCDS-Vorsitzende Udo Zolleis betonte in seiner Einleitung, daß eine in permanenter Veränderung lebende Gesellschaft „Identität, Kultur, Tradition und einen verläßlichen Wertekanon“ brauche.

Mit Wolfgang Schäuble eröffnete ein prominentes Parteimitglied die Veranstaltung, zu der sich etwa 130 meist jüngere Teilnehmer eingefunden hatten. Zu den „Quellen der christdemokratischen Programmatik“ wollte der ehemalige Parteivorsitzende vordringen, begann beim christlichen Verständnis von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen und kam schließlich über das Nächstenliebe-Gebot zur Sozialen Marktwirtschaft, deren Eckwerte Solidarität und Subsidiarität der katholischen Soziallehre entnommen seien.

Wichtig sei, so Schäuble, daß man im Dialog mit anderen Kulturen einen eigenen festen Standpunkt besitze. Er betonte den Wert religiöser Erziehung, da der freiheitlich-pluralistische Staat die Voraussetzungen seiner Freiheit nicht selbst erschaffen könne. Obwohl Schäuble ausdrücklich eine Wertneutralität für die Partei ablehnte, betonte er immer wieder, daß das „C“ der Partei niemanden ausschließen oder gar Wähler verprellen dürfe. „Das gute an unseren Werten ist, daß sie auch für Nichtchristen akzeptabel sind!“, so Schäubles Schlußfolgerung für eine säkularisierte Union. Kritisch wurde Schäuble von einem Teilnehmer die unklare Linie der Partei in Fragen der Bioethik entgegengehalten; jener entgegnete, er sei „stolz auf die Nichtgeschlossenheit der CDU“, da dies auf eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema schließen lasse.

In der anschließenden Podiumsdiskussion debattierten der Göttinger Parteienforscher Peter Lösche, Stephan Eisel von Konrad-Adenauer-Stiftung und der CDU-Kreisvorsitzende Harald Noack aus Göttingen über das Thema „Was ist mir wichtig an der Christdemokratie?“ Ursprünglich waren dazu noch als Repräsentanten unterschiedlicher Parteiflügel der Bundestagsabgeordnete Friedbert Pflüger und der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm geladen, die jedoch absagen mußten. Lösche hob die Verdienste der Union um eine Versöhnung von Liberalen und Konservativen in den fünfziger Jahren hervor („Es gibt keine Nationalkonservativen mehr!“), lobte ihre organisatorische Vielfalt („lose verbundene Anarchie“) und forderte einen pragmatischen Umgang mit den Grundsätzen: „Das ’C‘ darf nicht präzisiert werden, wenn die Partei erfolgreich sein will!“ Seinem Lob des Pragmatismus setzte Stephan Eisel vorsichtige Bedenken entgegen, während Harald Noack die größere Bedeutung der die Grundsätze verkörpernden Personen betonte, ohne allerdings zu erwähnen, wer dies momentan erfolgreich tue.

Christian Wulff, der 42jährige Rechtsanwalt und CDU-Fraktionschef aus Osnabrück, überraschte nicht wenige Teilnehmer, als er präzise die Schwachpunkte seiner Partei in Grundsatzfragen kritisierte: In der Frage der beibehaltenen Enteignungen von 1945/49 habe die Union eine Fehlentscheidung zu verantworten, außerdem forderte er ein kompromißloseres Eintreten der Christdemokraten für den Schutz ungeborenen Lebens. Lobend äußerte er sich zum eigenen Parteinachwuchs, der mit dem Anti-68er-Kongreß und einem sicherheitspolitischen Papier angesichts der aktuellen Lage großen politischen Weitblick habe erkennen lassen.

In allen Diskussionen beschlich den aufmerksamen Beobachter der Verdacht, daß es den Christdemokraten doch nicht um die Werte als Selbstzweck ging, denen man im politischen Ringen zu allgemeiner Gültigkeit verhelfen müsse, sondern daß man sich in erster Linie ihrer Nützlichkeit zum Machtgewinn versichern wollte. Immer wieder wurde die Abwehr von zu großem Idealismus oder gar Fundamentalismus in den eigenen Reihen beschworen, so als säßen schon bärtige Gotteskrieger vor den CDU Geschäftstellen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen