© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/01 12. Oktober 2001

 
LOCKERUNGSÜBUNGEN
Bewährungsprobe
Karl Heinzen

Aus den Ereignissen des 11.September weiß auch die PDS ihren Nutzen zu zie­hen. Auf ihrem Dresdner Parteitag sprühte die Partei vor Optimismus und zelebrierte das neue Gefühl eines mora­lischen Führungsanspruches. Wo die Zeit ein Zusammenstehen all jener auf unse­rem Erdball erheischt, die es gut mit diesem und seinen Bewoh­nern meinen, darf eine gesunde Portion Geschlossen­heit auch den Post-Sozia­listen nicht länger verwehrt wer­den. Das tut gut nach all den Jahren, in de­nen man froh über jeden innerpar­teili­chen Queru­lanten sein mußte, der den sozial-demo­kratischen Vorgaben der Füh­rung entge­genzutreten wagte.

Die PDS meint es ernst mit der Verant­wortlichkeit, die sie für unser Land bekundet, und es ist ein Indiz für ihre gewachsene Glaubwürdigkeit, wenn Gregor Gysi sie dafür mit Lob bedenkt. Für ihn hängt, wie für nur wenige in der Partei, viel davon ab, daß sie in der Öffent­lichkeit in Zukunft nicht mehr an ihrer Verantwortung für die Morde an der Mauer von einst, sondern an ihrem Ab­scheu gegenüber dem Terror und dem Krieg von heute gemessen wird. Die Ein­schätzung der Weltlage, auf die sich der Parteitag verständigen konnte, legte in diesem Sinne eine gute Grund­lage für die anstehenden Koalitionsver­handlungen in der Bundeshauptstadt.

Für jene, die noch zweifelten, ob es sich bei der PDS nicht doch um eine Partei handelt, die heimlich an der Vorstellung festhält, die Mensch-heits­entwicklung könnte über den Kapitalis­mus hinaus drängen, sollte der auf dem Parteitag verkündete Dresdner Appell ein Anlaß sein, sich von allzu bequemen Vorurteilen zu verab­schieden. Sicher ist diesem Papier noch ein ganz klein wenig von jener Orientierungslosigkeit anzumerken, den der Verlust einer so prägenden Macht wie der Sowjetunion auch noch nach Jahren zu verbreiten vermag. Die Erkenntnis, daß es zu einer solida­rischen Durchsetzung amerikani­scher In­teressen als Alternative ein­zig und al­lein den guten Willen aller Menschen, die auf unserem Planeten Ver­antwortung tragen, geben kann, wird da­durch aber nicht getrübt. Die PDS hat der Versu­chung widerstanden, von kon­kreten Not­wendigkeiten durch einen Hinweis auf vermeintlich grundlegendere Problem­stellungen abzulenken. Sie er­klärt sich bereit, den Antagonismus zwischen Gut und Böse als den Hauptwi­derspruch anzu­erkennen, solange dies der Konsens in der Bundesrepublik ge­bietet.

Nachdem die SED die kommunistischen Er­wartungen nicht zu erfüllen vermochte, will die PDS den Menschen nun die Hoff­nung auf den Sozialismus nehmen, bevor sie aufs Neue enttäuscht werden könn­ten. „Die Menschheit verfügt heute über alle Möglichkeiten, Kriege, Armut, Un­terent­wicklung dauerhaft zu beseiti­gen.“ Einst konnte dies als ausreichen­des In­diz dafür gelten, daß die Zeit für den Sozialismus wohl reif wäre. Die PDS je­doch hat dazugelernt: „Noch kann die Gegenwart stärker sein als die Mächte der Vergan­genheit. Dazu bedarf es jetzt eines: Frieden.“


 
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