© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/01 05. Oktober 2001

 
Der Berliner Urnengang: Von einem der auszog, die Stimmabgabe zu lernen
Ein Oberförster im Schilderwald
Erol Stern

Mitunter sind es ja die einfachen Dinge im Leben, die wirklich zählen - man muß sie nur zu genießen wissen. Zum Beispiel habe ich das Glück, im Westen Berlins zu wohnen und im Osten zu arbeiten. So erlebe ich morgens den Sonnenaufgang über dem Brandenburger Tor und dem „Alex“. Und zum Feierabend fahre ich dem Sonnenuntergang über Berlins Mitte entgegen, erfreue mich der alten Bauten, die malerisch inmitten dieser Metropole Zeugnis für die bewegte Geschichte des Landes und seiner Hauptstadt ablegen. „Klassik-Radio“ sorgt für die passende musikalische Untermalung; ab und an gönne ich mir einen Cigarillo.

Doch in letzter Zeit wird meine pitoreske Idylle von zahlreichen Schandflecken verunstaltet, gemeint sind diese überdimensionalen Werbeplakate, die allerorten die schöne Aussicht verdecken, die im hektischen Berufsverkehr ohnehin selten genug ist, und beim Abbiegen lebensgefährlich sein können. Einmal hielt ich an, um mich mit Passanten über die merkwürdigen Reklametafeln zu unterhalten. Schließlich wollte ich wissen, was daran falsch ist, daß ich bisher meine Kleidung mit dem „Weißen Riesen“ gewaschen habe, denn neuerdings prangt mir ein neues Waschmittel namens „Die Grünen“ entgegen. Oder bin ich gar dadurch, daß ich das falsche Waschmittel verwende, ein Umweltverschmutzer? Ist es vielleicht sogar billiger, mit „Die Grünen“ zu waschen? Mitunter habe ich ja auch Buntwäsche.

Ein Mitbürger macht sich die Mühe, mich darüber aufzuklären, daß doch bald Wahlen anstünden. Leider muß er daraufhin zu seinem nahenden Bus eilen, so daß er mir die Erklärung schuldig bleibt, um was für Wahlen es sich denn handele. Die anderen Fußgänger haben auch kein Verständnis für mein Anliegen, ein älterer Herr im edlen Zwirn tippt sich gar an die Stirn. Komisch, dabei ist mein Pickel doch kaum mehr zu sehen. Oder meinte er, daß ich statt Clearasil lieber CDU benutzen sollte? Einige Meter weiter steht noch eine Werbetafel mit dem Slogan „Mister Wirtschaft statt Misswirtschaft“. Jetzt dämmert es mir, es muß sich offensichtlich um die Wahlen zu Mister und Miss Berlin handeln! Endlich nimmt sich eine ältere Dame geduldig und mitfühlend meiner Misere an. Sie erklärt mir freundlich, daß es sich um die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus handelt, schließlich ginge es ja auch darum, wer Bürgermeister werde beziehungsweise ob der adrette junge Mann, der sich ganz bescheiden SPD nennt, in seinem Amt bleibt. Ja, wer will ihn denn vertreiben? Ob er seine Miete nicht gezahlt habe, frage ich, doch keiner versteht mich.

Ein weiser Mann hat mal gesagt, daß die einzigen, die wissen, wie man die Welt regiert, Taxis fahren und Haare schneiden, und so spreche ich einfach einen Taxifahrer an. Mich interessiert mittlerweile, wer diese ganzen Plakate bezahlt hat, das muß sicher ziemlich teuer gewesen sein. Freundlich und in glasklarem berlinerisch erklärt mir der gemütliche Kraftdroschker, wie sie liebevoll noch heute genannt werden, daß das alles von den Parteien bezahlt wird, die sich nach den Regierungswahlen den größten Teil vom Steuerzahler zurückholen. „Wer jewinnt, kricht det meeste“, meint Paule. Langsam verstehe ich. Mich interessiert nun, wen Paule denn wählt. „Na, ick wähl die …“ - ein frisierter GTI schluckt seine von heftigen Gestikulationen begleiteten Erklärungen - „aba so rischtisch glooben kannste ja eh niemandem mehr!“ Ich frage Paule, inzwischen hat er die Thermoskanne herausgeholt und uns beiden einen ordentlichen Schluck dampfenden Kaffee eingeschenkt, was er davon hielte, wenn man das Geld statt für häßliche Plakate lieber nutzen sollte, um die kaputten Straßen zu reparieren. Paule zeigt sich spontan begeistert von meinem Vorschlag und ruft seine Kollegen herbei. „Der Mann jefällt ma, der hat escht den Durschblick!“ und ähnlichen Beifall kassieren meine Vorschläge zu Themen wie Verkehr, Steuern und staatlich subventionierten Currywürsten. Doch meiner politischen Karriere wird ein jäher Dämpfer verpaßt, als einer von Paules Kollegen mich fragt, ob ich denn schwul sei, Teppichhändler oder zumindest eine Bank pleite gemacht hätte. Ich verneine. „Denn wird det ooch nischt mit de Politik!“ meint jetzt selbst Paule. Man erklärt mir, daß das schon immer so war, wegen der Medienpräsenz und so. Aber ich solle auf jeden Fall wählen gehen, ruft man mir noch nach, als ich wieder weiterziehe.

Während meiner Fahrt studiere ich die Gebilde, die ich ja mittlerweile als Wahlplakate identifizieren kann. Leere Botschaften und farblose Gesichter grinsen mich blöde an. Die sollen für mich regieren? Weder CDU, noch FDP, SPD und PDS scheinen wirklich Neues zu bieten. Doch halt, da ist ja noch die orangene Partei, die hatten sogar bei der Love Parade mitgemacht. „Come to where the Eimer is“ und „We kehr for You“ lauten die Aussagen der eher seltenen Plakate. Dafür haben sie reichlich Wahlmobile, ganz einfache und mit Ladefläche.

Das scheint die Partei des kleinen Mannes zu sein, denke ich mir. Statt die Straßen zu verschandeln, rennen fleißige Wahlhelfer mit Besen herum und fegen emsig die Straßen, leeren Müllcontainer und sammeln Papier auf, statt mit Luftballons und Plastikkulis bestechen zu wollen. Die bewegen wirklich was! Ich beschließe, die BSR zu wählen, die Berliner Stadtreinigungsbetriebe. Das ist auch endlich mal ein origineller Name für eine Partei. Also, bleibt sauber, meine Stimme habt Ihr!


 
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