© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/01 05. Oktober 2001

 
Zeitschriftenkritik: Psychologie Heute
Aus dem Würgegriff befreien
Werner Olles

„Das Magazin für Leib & Seele“, wie sich die Zeitschrift im Untertitel nennt, erscheint bereits im 28.Jahrgang. Da darf man wohl mit Fug und Recht annehmen, daß auch Psychologie Heute letzten Endes ein Spätprodukt der 68er-Studentenrevolte ist, die doch immerhin den Tabubruch höchstpersönlich zur Konvention erklärte und sämtliche religiös-mythischen Begriffe durch ihre marxisierenden soziologischen Analysen ins reaktionäre Abseits stellte.

Inzwischen bescheinigen die Redakteure von Psychologie Heute ihrer Zeit wiederum das Fehlen einer inneren geistigen Einheit und sehen die Gesellschaft ganz im Würgegriff technologischer Mechanisierung. Konservative würden diese Erscheinungen unter den Stichworten „Entseelung“ und „Atomisierung“ bündeln, aber so weit möchte man dann doch nicht gehen. Gleichwohl beobachtet man hier durchaus, daß sich mit dem Ende der alten Seelen- und Stimmungskultur auch das gesamte menschliche Dasein mechanisierte. Zwar speist sich diese Art Zeitkritik nicht aus einer Idealisierung des Vergangenen, dennoch wirkt sie irgendwie merkwürdig zeitlos.

Die Krise des Menschen, der sich agil zwischen gesellschaftlichen Zwängen und subjektiven Selbstverwirklichungsträumen bewegt, wird hier einer pointierten, gelegentlich polemischen Kritik unterzogen, wobei das hinreichend soziale Mitgefühl jedoch nicht zu kurz kommt. Dies vermittelt dem Leser stets das Gefühl, daß ihm in Zeiten des Wertepluralismus zwischen populärwissenschaftlichen Einsichten, persönlichen Empfindungen und ausgewiesenen akademischen Forschungsergebnissen noch einige Wege offenstehen. Was die Menschen alles daran hindert, ihrer Natur gemäß zu leben, wird hier auf einem Niveau diskutiert, das alle Theorien einer gesunden Wechselwirkung zwischen Subjektivität und Sozialität auf ihre Brauchbarkeit abklopft.

Seit Freuds „Unbehagen in der Kultur“, Adornos und Horkheimers Projekt „Autorität und Familie“, Marcuses Theorem von der „repressiven Entsublimierung“ und Lorenzers psychoanalytischer Sozialisationstheorie der „Interaktionsformen“ versucht die Psychologie dort einen festen Anker zu finden, wo sie der gesellschaftlichen Ordnung nachweisen kann, im Widerspruch zu den notwendigen Voraussetzungen von subjektiver Identität und Handlungsfähigkeit zu stehen. Und die Kampffronten und -formen sind wahrlich mannigfaltig. Ob es sich um das ökologische Problem der Umweltzerstörung handelt, den ewigen Kampf zwischen Lebens- und Todestrieb oder dem ungelösten - und wahrscheinlich niemals lösbaren - Verhältnis der Geschlechter: Die Psychologie zeichnet ein vernichtendes Bild des Menschen, der Krieg, Gewalt und Sex gleichermaßen genießt, wenn alles nur ausreichend politisch, kulturell oder pädagogisch korrekt verbrämt ist.Wer sich also über den seelischen Gesundheitszustand unserer Gesellschaft Gedanken macht, sollte vor allem keine Illusionen, aber dafür starke Nerven haben.

Anschrift: Werderstr. 10, 69469 Weinheim. Der Einzelpreis beträgt 10 Mark, das Jahresabo kostet 108 Mark.


 
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