© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/01 05. Oktober 2001

 
Eine Jobmaschine für Parlamentarier
Verkehrspolitik: Ende des Großflughafens Schönefeld? / Privatisierung gescheitert / Projekt wird zum Milliardengrab
Ronald Gläser

Die Einwohner von Selchow und Diepensee lernen gerade eine politische Mischung aus fahrlässiger Ungenauigkeit einerseits und überraschender Liebe zum Detail andererseits kennen. Die beiden kleinen Gemeinden südlich von Berlin werden in den nächsten Wochen umgesiedelt. Die Dorfbewohner tragen die Ausbaupläne für den Flughafen Berlin-Schönefeld mit Fassung. Die Berlin-Brandenburg-Flughafen-Holding (BBF) entschädigt in Millionenhöhe. Der neue Kindergarten und die neue Feuerwache sind auch schon eingeweiht.

Dabei ist noch nicht einmal klar, ob jemals ein einziger Jumbo in der märkischen Heide zur Landung ansetzen wird. Die exakte Umsetzung einzelner Details des Projekts steht im Gegensatz zu Grundsatzfragen, auf die niemand eine Antwort kennt. So glaubt beispielsweise keiner mehr an eine Inbetriebnahme im Jahr 2007. Primär aber steht die Finanzierung auf wackeligen Beinen.

Die Kosten werden mit bis zu acht Milliarden Mark veranschlagt. Berlin, Brandenburg und der Bund sind die Gesellschafter der BBF. Diese Holding sollte privatisiert werden. Nur ein einziger Anbieter, das Konsortium aus IVG und Hochtief, hat sich bei der Kommission eingefunden. Fünfzig Millionen Mark boten die Unternehmen für die BBF, deren Existenz die private Finanzierung ermöglichen soll. Vor dem Hintergrund des zehnstelligen Investitionsvolumens für den Ausbau sind die 50 Millionen natürlich völlig indiskutabel.

Am Erwerb der Holding scheinen die beiden Konzerne kein echtes Interesse zu haben, obwohl sie den Bauauftrag erhalten haben. Auch sonst möchte niemand die geforderten rund 700 Millionen Mark bezahlen. Ein „Ultimatum“ an das Bieterkonsortium verstrich am Freitag ungenutzt.

Die Länder träumen von einer „Jobmaschine“, die der Bauindustrie zugute kommen soll. Sie können die Investitionen angesichts ihrer prekären Finanzlage aber nicht tätigen. Dagegen ist das Baukonsortium an dem Auftrag interessiert, der satte Gewinne und Kapazitätsauslastung für Jahre verspricht. Den beiden Firmen scheint aber schon jetzt klar zu sein, daß die Milliarden für Schönefeld in den märkischen Sand gesetzt werden. Wäre der Großflughafen ein erfolgversprechendes Projekt, hätte sicher jemand mehr geboten. Für Banken, Baukonzerne oder andere mögliche Investoren steht fest, daß Schönefeld ein Milliardengrab sein wird.

Nach der Wiedervereinigung beider Berliner Stadthälften stand zunächst fest, daß die innerstädtischen Flughäfen Tempelhof und Tegel der Vergangenheit angehören würden. Legionen von Stadtplanungsingenieuren und Architekturstudenten erarbeiteten auf dem Reißbrett Pläne für die zentral freiwerdende Fläche. Der Ausbau Schönefelds war für jedermann die logische Konsequenz.

Doch bis heute ist der Flughafen noch nicht einmal an die Berliner Stadtautobahn angebunden. Schon kippten Konzept und Stimmung zugunsten der beiden Flughäfen im Westteil Berlins. Politiker wechselten die Fronten, und Bürgerinitiativen schossen wie Pilze aus dem Boden. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Schönefeld liegt vor den Toren der Stadt, während ein Taxi vom Flughafen Tempelhof nur fünf Minuten bis ins Regierungsviertel benötigt. Für den innereuropäischen Flugverkehr ist der kleine Flughafen optimal. Andere Metropolen beneiden die Stadt um ihr Kleinod mitten im Zentrum. Und Tegel fertigt trotz Kapazitätsschwierigkeiten täglich Tausende ab.

Trotzdem hielten sozialdemokratische Minister in Berlin und Potsdam an der „Jobmaschine“ fest. Dafür wollten sie in Kauf nehmen, daß Milliarden verschwendet werden. Verdächtigungen hinsichtlich vermeintlicher Korruptionsfälle und offensichtlicher Vetternwirtschaft sowie die Millionenverluste im Zusammenhang mit Bodenpreisspekulationen wurden vom Tisch gefegt. Letzte Woche stellte schon der zweite „Schönefeld-Untersuchungsausschuß“ des Berliner Parlaments seinen Bericht vor. Allein die Fotokopien dieses Gremiums haben den Steuerzahler 100.000 Mark gekostet. Das einzige substantielle Ergebnis lautete, man sehe einem dritten Ausschuß mit Freude entgegen.

Langsam beginnt nun die Suche nach Alternativen. Auch der abwegige Plan, im Niemandsland zwischen Berlin und Leipzig einen Flughafen zu bauen, lebt wieder auf. Das dürfte ein Feldversuch in Sachen Keynesianismus werden. Jeder Wirtschaftsstudent kennt dessen Ideen aus seiner ersten Vorlesung: John Maynard Keynes hatte während der Weltwirtschaftskrise gefordert, Geld einzugraben und - auf Kosten des Staates - wieder auszubuddeln. Dadurch sollte Wirtschaftswachstum erzeugt werden. Aber der Wissenschaftler hat hier ein Gleichnis genutzt, um seine These anschaulich darstellen zu können. Angesichts der in Brandenburg praktizierten Mißwirtschaft weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll.

Den beiden SPD-Regierungschefs Manfred Stolpe und Klaus Wowereit dämmert langsam, daß das Ausmaß eines Schönefeld-Desasters die Krise der Bankgesellschaft Berlin übertreffen wird. So sucht gerade jeder nach einem optimalen Ausweg. Immerhin wurde letzte Woche ein neues Flughafen-Terminal in Betrieb genommen - in Tegel.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen