© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/01 05. Oktober 2001

 
Adrienne Goehler
Kriegerin der Worte
von Doris Neujahr

Adrienne Goehler, Jahrgang 1955, hat sich stets erfolgreich als Antityp profiliert. Das entspricht dem Rollenverständnis ihrer Generation genauso wie ihrem Charakter. Wer in einem Schwarzwalddorf namens Kuhbach mit 13 Jahren aus der katholischen Kirche austritt, dem sind Mut und Eigensinn offensichtlich in die Wiege gelegt worden. Den politischen Rahmen für ihren Aufstieg schufen die Bildungsreformen der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt, soziokulturell wurde er von den Umbrüchen nach 1968 begünstigt. Dennoch verdankt sie ihre Karriere ausschließlich sich selbst. Von ihrem bescheidenen Elternhaus konnte sie kein soziales Kapital an Beziehungen und Bildungsgut erwarten.

In Freiburg studierte sie Psychologie und Romanistik. Weitere Stationen waren der Feminismus, die Anti-AKW-, Öko- und Friedensbewegung. Ihr Selbsterfahrungstrip führte sie bis in die Sektierergruppe „Marxistisch-Reichistische Initiative“, die eine Synthese aus politischer Revolution und definitivem Orgasmus propagierte. Als Grüne der ersten Stunde wurde sie in die Hamburger Bürgerschaft gewählt. 1986 verließ sie ihre Partei im Zorn. Ab1989 Präsidentin der Hamburger Kunsthochschule, hatte sie keine Scheu, sich mit gestandenen Professoren anzulegen. Im Wortgefecht um deren Privilegien entfuhr ihr schon mal der Ausruf: „Du Arschloch!“, was 1993 zu einer Abmahnung führte. Seither trägt sie den Titel „die Kriegerin“.

Im Juni 2001 haben die Berliner Grünen die Parteilose als neue Wunderwaffe an die Spree geholt. Im rot-grünen Übergangssenat amtiert sie als Senatorin für Kultur und Wissenschaft. Niemand bezweifelt, daß sie nach den Wahlen Ende Oktober ihren Posten behält.

Einen eigenen Ton hat sie im neuen Amt noch nicht gefunden. Vorerst hält sie am Altbewährten fest, wozu die hexenhafte Haartracht, kapriziöser Modeschmuck und die gehabte Scharfzüngigkeit gehören. Doch ihre Schnoddrigkeit wirkt eher überdreht als souverän. Es macht einen Unterschied, ob man die Institutionen repräsentiert oder sich gegen sie profiliert. Man spürt Goehlers Furcht, vom Politikbetrieb absorbiert werden. Immerhin hat der Berliner Politiksumpf bisher noch jeden Überflieger in die Tiefe gezogen. Der einstige Bürgerschreck muß sich der neuen Bürgerlichkeit stellen, die sich in der Stadt etabliert, und der Frage, wie Berlin als Podium für einen europaweiten, geistig-kulturellen Austausch herzurichten ist, der sich nicht mehr im Kollektivscham-Gelaber erschöpft. Sie muß gegen das Vorurteil ankämpfen, daß ihr liberal-konservativer Amtsvorgänger Christoph Stölzl einfach die zeitgemäßere Besetzung war.

In einer Podiumsdiskussion hat sie die zerstörten Zwillingstürme in New York als „Phallus-Symbole“ abqualifiziert. Das ist weder originell noch richtig geschmacklos oder antiamerikanisch, sondern der übliche Post-68er Biedermeier. Goehlers Generation hat immer nur auf Beschleunigung gesetzt. Gerade deshalb läuft sie Gefahr, vor der Zeit alt auszusehen.


 
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