© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/01 28. September 2001

 
Finanzpolitische Trittbrettfahrt
Haushaltsdebatte: Unklare Maßnahmen für mehr Sicherheit dienen als Hintertür zu einer massiven Steuererhöhung
Bernd-Thomas Ramb

Der kleine grüne Koalitionspartner wurde über den Beschluß zur Steuererhöhung erst unmittelbar vor der Kabinettssitzung unterrichtet. Die Kanzlerpartei SPD muß sich also ihrer Sache sehr sicher gewesen sein, als sie die Auflage eines drei Milliarden Mark schweren Programms zur Terrorismusbekämpfung quasi im Alleingang durchsetzte. Noch atemberaubender wirkt jedoch das Finanzierungsdekret. Ab dem kommenden Jahr wird die Versicherungssteuer um einen Prozentpunkt und die Tabaksteuer um zwei Euro-Cent pro Zigarette angehoben, um den Finanzierungsbedarf der Anti-Terror-Sofortmaßnahmen abzudecken. Im nachhaltigen Schock angesichts des ungeheuren Terroranschlags in den USA bleibt der Protest der Opposition weitgehend schwach, zumindest im medialen Echo. Bei genauer Analyse der Anti-Terror-Ausgabenvorhaben und der Tragweite des Steuererhöhungsbeschlusses drängt sich jedoch der Eindruck auf, daß die Bundesregierung die weltweite Paralyse zur Bewältigung grundsätzlicher Haushaltsprobleme ausnutzt.

Das von der Bundesregierung beschlossene Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Terrorismus zielt vorgeblich auf die Stärkung der inneren und äußeren Sicherheit. Dabei sind die für das nächste Jahr eingeplanten drei Milliarden keinen konkreten Maßnahmen zugeordnet. Es handelt sich lediglich um eine politisch festgelegte Größenordnung, die zudem in den Haushaltstitel „Allgemeine Finanzverwaltung“ eingestellt wird. Der Innen- und der Verteidigungsminister können dann wöchentlich ihre Finanzierungswünsche vortragen, und der Finanzminister entscheidet, ob die geplanten Vorhaben sicherheitsrelevant sind oder nicht. Willkürlicher kann kaum eine Haushaltführung erfolgen. Über die Vergabekriterien bestehen nur wenige Vorgaben. Die Maßgabe, die Mittel sollen dem Schutz der Bevölkerung vor Terroranschlägen in Deutschland dienen, birgt wenig konkretes. Aufschlußreicher ist da schon das Bestreben, den Zivilschutz zu reorganisieren. Er war nach dem Fall der Mauer und dem Ende der sozialistischen Volkswirtschaften mangels sichtbarer Gefahren aufgelöst worden. Nun zeigt sich, daß diese Vermutung voreilig war.

Nachvollziehbar ist auch die geplante Stärkung des Bundesgrenzschutzes. An eine Verschärfung der Grenzkontrollen an den zu den EU-Staaten offenen deutschen Grenzen wagt sich die Regierung jedoch nicht. Statt dessen wiederholt sie die Forderung nach verbesserter europäischer Koordination der Kriminalitätsbekämpfung. Allein das Vorhaben, zur Identifikation Verdächtiger künftig persönliche Merkmale wie Fingerabdrücke oder die Struktur der Augeniris einzubeziehen, verspricht Aussicht auf Verbesserung. Im Bereich der Flugsicherung dürfte ein zusätzlicher Schutz allenfalls durch die Ablösung der von den Flughäfen privat organisierten Personenkontrolle durch Grenzschutzbeamte erzielbar sein. Die Nachahmung des erfolgreichen israelischen Vorbilds der Flugsicherung durch bewaffnete Flugbegleiter erscheint dagegen in Europa kaum durchsetzbar. Zu befürchten ist allgemein eher eine weitgehend konzeptionslose Aufstockung der Personal- und Sachmittel in den Behörden des Bundeskriminalamts, des Bundesverfassungsschutzes und des Bundesamts für die Sicherung in der Informationstechnik.

Nebulös stellt sich auch die Realisation des Sicherheitspakets im Rahmen der Landesverteidigung dar. Die anfänglichen Hoffnungen Scharpings auf eine grundsätzliche Aufwertung der Verteidigungsaufgaben und eine nachhaltige Aufbesserung des Verteidigungshaushalts wurden schon im Ansatz zunichte gemacht. Die wöchentlichen Bittstellergänge sollen den Ad-hoc-Charakter des Sicherheitsaktionismus prägen. Gewiß sind viele Instrumente der Absicherung vor ausländischen Terrorangriffen bereits vorhanden. Es mangelt jedoch an deren Qualität. Inwieweit Rudolf Scharping eine Aufstockung der Fernmelde-, Führungs- und Aufklärungsmittel aus diesem Topf erhält, bleibt unberechenbar.

Der eigentliche Skandal ist jedoch die Finanzierung solch vager Sicherheitsverbesserungspakete durch eine massive Steuererhöhung. Geschickt wird die momentane Angst der Bevölkerung vor einer Ausweitung terroristischer Aktivitäten ausgenutzt, nachhaltige finanzpolitische Weichen zu stellen. Nach aller Erfahrung ist eine neue Steuer oder Steuererhöhung leichter eingeführt als abgeschafft. Die historischen Vorbilder allein des letzten Jahrhunderts reichen von der Sektsteuer, die zunächst mit der Finanzierung der Kriegsflotte des deutschen Kaisers begründet wurde, bis zum Solidarzuschlag. Was aber passiert mit der Terrorsteuer, wenn die Gefahr terroristischen Anschläge abebbt oder zumindest ihren politischen Stellenwert verliert? Die Tatsache, daß diese Steuereinnahmen nicht zweckgebunden und zeitlich befristet anberaumt sind, läßt Skepsis aufkommen, ob sie nicht letztlich doch nur der Kaschierung verfehlter Wirtschafts- und Finanzpolitik dienen. Diesen Eindruck verstärkt das offensichtlich fehlende Bemühen, solche essentiellen Aufgaben des Staates durch Umwidmung bereits bestehender Steuermittel zu finanzieren.

Erheblich erscheint damit auch die Gefahr, daß der Schock des unglaublichen Terroranschlags zu einer weiteren Trittbrettfahrt benutzt wird. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind aufgrund der weltweiten Betroffenheit zwar global zu spüren und die augenblickliche Lähmung beim Versuch zur Rückkehr zum „normalen Leben“ unübersehbar, eine allgemeine Rezession der Weltwirtschaft läßt sich damit jedoch nicht hervorrufen. Wenn jetzt das Wirtschaftswachstum einzelner Länder in den roten Bereich gerät, sind die Ursachen nach wie vor im früheren Fehlverhalten der Regierungen zu suchen. Die Terrorakte in den USA konnten die rezessiven Kräfte allenfalls verstärken, jedoch nicht alleine verursachen. Jeder mögliche Versuch, die kommende Wirtschaftsdepression in Deutschland den internationalen Terrorgruppen anzulasten, kann dann nur als erbärmlicher Versuch angesehen werden, unter Mißachtung der Toten in den USA von den eigenen Versäumnissen abzulenken. Ein wahres Sicherheitspaket bedarf daher an erster Stelle der Rückkehr zu einer geordneten Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die Verteidigung der Freiheit sollte nicht durch die fortschreitenden Beseitigung einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung zur Aussichtslosigkeit verdammt werden.


 
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