© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/01 28. September 2001

 
Polarisierung an der Weichsel
Polen: Die Sejm-Wahlen brachten die Rückkehr der Postkommunisten / Drei Rechtsparteien erreichen fast 30 Prozent
Carl Gustaf Ströhm / Jörg Fischer

Das Ergebnis der Wahlen zum Sejm, dem polnischen Parlament, ist nicht in erster Linie deshalb beunruhigend, weil dort die „Postkommunisten“ - also die gewendeten Nachfolger der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR) - fast die absolute Mandatsmehrheit gewonnen haben. Der designierte neue Ministerpräsident Leszek Miller, der als Chef des „Bundes der Demokratischen Linken“ (SLD) im Wahlbündnis mit der „Arbeitsunion“ (UP) die Regierung übernehmen will, gehörte nicht nur der PZPR an, sondern war sogar ZK-Mitglied. Seine Partei ist in EU-Europa längst akzeptiert: Sie ist in der sozialistischen Internationale - zusammen mit der SPD und anderen Sozialdemokraten.

Zu denken gibt vielmehr die sich andeutende Zersplitterung und Polarisierung der polnischen Innenpolitik. Anstelle der regierenden CDU-nahen „Wahlaktion Solidarnosc“, die im künftigen Sejm wegen zu geringer Prozentstärke nicht mehr vertreten sein wird, rücken jetzt „rechte“ Kräfte in den Vordergrund. So die bäuerlich-radikale „Samoobrona“ (Selbstverteidigung) des Bauernaktivisten und EU-Kritikers Andrzej Lepper, die mit etwa zehn Prozent drittstärkste Kraft im Sejm wurde, oder die nationalkatholische (von ihren Gegnern als rechtsextrem abgestempelte) „Liga der polnischen Familien“ (LPR) mit über sieben Prozent. Nicht nur diese beiden Parteien gelten als „anti-europäisch“. Auch die schon vor 1989 als „Bauern-Blockpartei“ (ZSL) existierende Volkspartei (PSL), die fast zehn Prozent erzielte, macht gegen die EU Stimmung, der Polen demnächst beitreten möchte. Jetzt wird die PSL vom Linksblock allerdings gebraucht - zur Mehrheitsbeschaffung.

Lediglich die rechtsliberale Bürgerplattform (PO) von Ex-Außenminister Andrzej Olechowski, die mit 13 Prozent zweitstärkste Kraft wurde und die erst vor einigen Monaten gegründete Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) des beliebten Ex-Justizministers Lech Kaczynski (die als rechte polnische „Schill-Partei“ gilt) sind im nicht-linkem Lager als EU-freundlich einzuschätzen.

Der späte Triumph der Ex-Kommunisten markiert das Ende der politischen Existenz von „Solidarnosc“ - jener gewerkschaftlich-politischen Bewegung, die Polen seit Beginn der achtziger Jahre aus dem Kommunismus heraus in die Freiheit führte. Die heutigen polnischen Wähler wissen mit den Widerstandshelden von damals wenig anzufangen. Es geht ihnen auch nicht so sehr um große politische Ideale als vielmehr um die eigene wirtschaftliche Situation: also um den eigenen Geldbeutel. Hier aber hat die zunächst - bis zum Ausscheiden der liberalen UP - liberal-konservative Regierung des gescheiterten Premiers Jerzy Busek (übrigens der erste Protestant, der jemals in Polen Regierungschef wurde) ein gerüttelt Maß an Schuld.

Polen befindet sich in einer katastrophalen Wirtschafts- und Finanzkrise. Im Jahre 2002 wird das Haushaltsdefizit etwa 50 Milliarden Mark betragen - elf Prozent des Bruttoinlandprodukts. Man spricht von weitverbreiteter Korruption. 52 Prozent der polnischen Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, neun Prozent gelten als „sehr arm“. Das noch vor wenigen Jahren mit bis zu sieben Prozent legendäre polnische Wirtschaftswachstum ist auf 2,5 Prozent zurückgegangen. Fehlende Inlandskaufkraft erschwert jede wirtschaftliche Erholung.

Es ist interessant, daß Brüssel der künftigen polnischen Linksregierung mehr Vertrauen entgegenbringt als den gescheiterten „Rechten“ unter Buzek. Die neue Regierung wird äußerst unpopuläre Maßnahmen durchpauken müssen, wenn das Ziel, Polen mit der „ersten Fuhre“ in die EU zu bringen, erreicht werden soll. Aber auch hierfür gibt es Vorbilder: in Ungarn führte ab 1994 die postkommunistische Regierung des Ex-KP-Funktionärs Gyula Horn eine brutale Sanierungspolitik durch, bis die Sozialisten 1998 abgewählt und durch die Mitte-Rechts-Regierung Viktor Orbáns ersetzt wurden.

Auch in Polen sind viele Überraschungen möglich, aber hier sind die nicht-linken politischen Kräfte derart zerstritten und gespalten, daß auf absehbare Zeit nichts in dieser Richtung zu erwarten ist. Wie so manches andere postkommunistische Land wurde auch Polen zu einem Opfer des „Turbo-Kapitalismus“. Die sozialen Gegensätze zwischen Arm und Reich sind so groß wie nie zuvor. Ob Polen selbst unter größten Anstrengungen den ursprünglich für 2003 geplanten EU-Beitritt wird vollziehen können, ist mehr als fraglich. Schon spricht man in Warschau von einer Verschiebung auf mindestens 2005.

Auch die Verhandlungen mit dem neuen Ministerpräsidenten Miller dürften in Brüssel hart werden. Die Polen wollen viel Geld von der EU - und das kann Brüssel ihnen nicht geben. Auch unter einer polnischen Linksregierung wird die Europa-Skepsis vieler polnischer Wähler steigen. Das aber ist Wasser auf die Mühlen der „wirklichen“ polnischen Rechten.


 
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